Frederike, 43: Ich habe neulich in der Zeitung gelesen, dass von den Randalierern aus Neukölln alle wieder nach Hause gehen durften. Ich selbst wohne in Neukölln und laufe täglich durch das Gebiet, das für diese Männer zu einer Art Kriegsgebiet wurde. Hätte man sie nicht einsperren können aufgrund dieser Taten, wenigstens in Untersuchungshaft?
Liebe Frederike, vielen Dank für diese spannende Frage, die ich als Strafverteidiger gerne beantworte. Untersuchungshaft setzt voraus, dass neben einem Haftgrund auch ein dringender Tatverdacht vorliegt und die Untersuchungshaft verhältnismäßig ist. Letztere ist keine Strafe, sondern soll lediglich die Durchsetzung des staatlichen Bestrafungsanspruchs sichern – also garantieren, dass sich der Täter einem Strafverfahren stellen wird oder für die Ermittler und das Gericht ladungsfähig und greifbar ist.
Der wohl häufigste Haftgrund ist die Fluchtgefahr. Dabei ist immer ein Vergleich zwischen der zu erwartenden Strafe und den sozialen Bindungen, die der Täter hat, durchzuführen. Die meisten Böller-Chaoten dürften aus Berlin stammen und hier leben und arbeiten. Die Delikte, die den Beschuldigten vorgeworfen werden, wiegen nicht derart schwer, dass von Fluchtgefahr gesprochen werden kann: Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz, tätlicher Angriff und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sind im Mindestmaß zwar mit dreimonatigen oder sechsmonatigen Haftstrafen bedroht. Im allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs ist aber geregelt, dass Haftstrafen unter sechs Monaten in Geldstrafen umzuwandeln sind.
Geldstrafen geben in der Regel keinen „Fluchtanreiz“. Bei Ersttätern wird die Vollstreckung der Haftstrafe meistens zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit beträgt in der Regel drei Jahre. Ist lediglich eine Bewährungsstrafe zu erwarten, ist bei in Berlin verwurzelten Beschuldigten kaum von Fluchtgefahr auszugehen. Täter unter 18 Jahren unterliegen dem Anwendungsbereich des Jugendgerichtsgesetzes. Bei Tätern zwischen 18 und 21 Jahren muss der Richter prüfen, ob sie dem Erwachsenenstrafrecht unterliegen oder dem Jugendstrafrecht.
Das Jugendstrafrecht hat einen eigenen Strafrahmen und ist lediglich auf die Erziehung der Jugendlichen, nicht aber auf deren Bestrafung ausgerichtet. Der Jugendarrest als freiheitsentziehende Maßnahme ist auf maximal vier Wochen beschränkt. Die Jugendstrafe beginnt erst ab sechs Monaten. Daneben hat der Jugendrichter die Möglichkeit, Weisungen und Auflagen zu erteilen. Beschleunigte Verfahren kommen in der Regel nicht in Betracht, weil dazu eine klare Sachlage vorliegen muss. Das kann bei einem Ladendieb der Fall sein, der auf frischer Tat angetroffen wird und geständig ist.




