Die Ablehnung ist einhellig. Bei den Mächtigen in Westeuropa hat der amerikanische 28-Punkte-Friedensplan für die Ukraine keine Chance. Das ist nachvollziehbar, obschon nur auf den ersten Blick. Begreift man den Waffenstillstand als Endpunkt eines politischen, mit militärischen Mitteln ausgetragenen Konflikts, wäre die Ukraine zurückgeworfen auf ihr geopolitisches Prekariat. Als maßgeblicher Schutz ihrer Eigenständigkeit blieben allein die amerikanischen Wirtschaftsinteressen und Investitionen; in allem Übrigen wäre die osteuropäische „Schütterzone“ wiederhergestellt, jenes Grau-Grau im Übergang der kontinentalen Machträume.
Warum aber fällt die Reaktion bei den am ukrainischen Sieg festhaltenden Falken, für Deutschland stellvertretend Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Roderich Kiesewetter, ebenfalls negativ aus? Offensichtlich bleibt ihnen verborgen, inwieweit Trumps 28 Punkte ihrer Sache dienlich sind. Oder machen sie sich Illusionen über die Lage an der ukrainischen Front und im Hinterland?
Stand heute wird die Ukraine ihre Kriegsziele nicht erreichen. Eine Generation ist ausgeblutet, die Mehrheit demotiviert, der Staat von Korruption durchseucht. Die Menschen ertragen einen Krieg, den sie nicht gewinnen können; sie wissen es und ertragen ihn trotzdem. Was bleibt, sind der Todesmut der Frontkämpfer und die Euro-Milliarden aus dem Westen; sie motivieren unsere Falken zu den bekannten Durchhalteparolen.
Russland kann den Krieg lange finanzieren
Kaum eine Strategie könnte dümmer sein. Was soll das: einen aussichtslosen Krieg am Laufen zu halten, nur weil es noch Soldaten gibt, die freiwillig in die Blutmühle gehen (und reiche Sponsoren, die diesen Gang finanzieren)? Russland ist bereit, den Krieg über die lange Bahn zu tragen. Die Hoffnung, dass die Sanktionen irgendwann, irgendwie und irgendwo die russische Kriegsmaschine lähmen, gleicht der Hoffnung auf einen Lottogewinn. Und wenn die Russen ihre Gürtel bis zum letzten Loch enger schnallen, Geld für den Krieg wird vorhanden sein.
Und die Hoffnung auf Zerstörungen im russischen Hinterland? Donald Trump wird keine Langstreckenwaffen liefern, die einen amerikanisch-russischen Konflikt provozieren, und Trump ist bis 2029 im Amt. Die fünf oder sieben Taurus-Marschflugkörper der Europäer machen keinen Unterschied. Der gegenwärtig geführte Krieg bringt die Ukrainer dem Sieg nicht näher.
Vor allem festigt er die Macht der Mächtigen in Moskau. Nichts deutet darauf hin, dass die gegenwärtige Konstellation – weißblutende und destabile Ukraine, überlegenes und stabiles Russland – durch ein „Weiter so“ in Gestalt fortgesetzter Kampfhandlungen überwunden wird.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wer an der Rückeroberung der ukrainischen Gebiete festhält, wer die Ordnung von 1991 wiederherstellen und die Ukraine in EU und Nato integrieren will, muss „out of the box“ denken, quer zur etablierten Logik. Wenn Experten wie Nico Lange von der Münchner Sicherheitskonferenz oder Carlo Masala von der Bundeswehr-Uni in Talkshows und sozialen Medien Tag für Tag das „Weiter so“ predigen, ist das kein Ausdruck strategischer Kompetenz. Nichts gegen militärnahe Denker, aber bisweilen fehlt ihnen die Fantasie.
Gesetzt, der Krieg wird an der Kontaktlinie eingefroren, die Ukraine räumt die Gebiete Donbass und Luhansk und reduziert ihre Armee auf 600.000 Mann – Russland wird nicht am nächsten Tag Estland überfallen oder von Kaliningrad aus in die polnischen Masuren einrücken. Russland wird seine Wunden lecken und sich an den 28-Punkte-Vertrag halten. Vor allem beginnt dann in der russischen Elite, nicht länger durch den Krieg zur Eintracht gezwungen, eine Diskussion über das Warum und das Wohin. Dann brechen die Zweifel auf, dann werden Fragen gestellt.
Hinzu kommt die wirtschaftliche Schwächung. Selbst im Fall einer Aufhebung der Sanktionen – die Folgen werden noch Jahre spürbar sein. Wenn der Konjunkturschub ausbleibt, den jede Kriegswirtschaft bewirkt, fordern Inflation und Arbeitslosigkeit ihren Preis. Inwieweit die dann entstehenden sozialen Verwerfungen zu politischen führen, darüber lässt sich nur spekulieren.
Falsches Siegesgefühl auf russischer Seite
Während das Moskauer Machtgefüge nach einem Ende des Krieges Risse zeigen wird, geht parallel Belarus einer Krise entgegen. Dessen Machthaber Alexander Lukaschenko ist zwei Jahre jünger als Wladimir Putin, aber gesundheitlich angeschlagen. Sein autokratisches System steht auf schwächeren Füßen als das russische; nicht zuletzt ist Belarus deutlich exponierter. Polen und Litauer, die USA ohnehin, werden keine Chance auslassen, die belarussische Gesellschaft Richtung Westen zu drehen.
Solange der Krieg andauert und der russische Präsident gesund bleibt, ist seine Macht ungebrochen. Mit dem Tag des Waffenstillstands, den Russland im Fall des 28-Punkte-Plans als Sieg feiern würde, begänne der Niedergang. Besäßen sie strategischen Scharfsinn, so würden unsere Falken erkennen, wie sehr ihnen das falsche Siegesgefühl auf russischer Seite zupasskäme.
Die Szenarien liegen auf der Hand. Machtwechsel in Moskau und Minsk bleiben nicht aus. Auch wenn weder auf Putin noch auf Lukaschenko prowestliche Präsidenten folgen, wird deren Position schwächer sein als die ihrer Vorgänger. Wer mit der Kiesewetter-Fraktion am ukrainischen Sieg festhält, müsste (strategische Fantasie vorausgesetzt) den 28-Punkte-Plan eigentlich umarmen. Das ukrainische Ausbluten wird gestoppt; das falsche Siegesgefühl wird Russland einlullen; für die stillschweigende, nachhaltige Aufrüstung der Ukraine ist Zeit gewonnen; in Moskau und Minsk bahnt sich eine innenpolitische Destabilisierung binnen weniger Jahre an.
Vor dem Hintergrund wird die Möglichkeit einer erfolgreichen ukrainischen Revanche, militärisch und/oder politisch, real. Eine künftige russische Regierung, von der Situation überfordert, kann durchaus willens sein, die Ostukraine im Austausch gegen die völkerrechtliche Anerkennung der Krim als russisch wieder herzugeben. Russland braucht die Gebiete nicht, weder ökonomisch noch zur Selbstverteidigung. Auch ein Nato-Beitritt sowohl der Ukraine als auch Belarus’ wäre eine reale Option. Die nachhaltige Schwächung Russlands in Osteuropa ist also nicht vom Tisch.




