Der Ukraine geht das Geld aus. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass die Regierung in Kiew in den kommenden zwei Jahren weitere 135 Milliarden Euro benötigt. Damit die ukrainische Armee weiter im Abnutzungskrieg mit Russland bestehen kann, braucht sie zusätzliche 83 Milliarden Euro, und um die weitgehend zerstörte Wirtschaft aufrechtzuerhalten, müssten zudem 52 Milliarden Euro nach Kiew fließen. Das geht aus einem Brief der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hervor, den sie diese Woche an die Mitgliedstaaten verschickte.
Aus eigener Kraft kann Kiew das Geld nicht mobilisieren. Von außen fließen zu wenig Finanzmittel. „Die größte strukturelle Schwäche der ukrainischen Wirtschaft besteht in viel zu geringen ausländischen Direktinvestitionen“, teilt das auf die osteuropäische Wirtschaft spezialisierte Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) in einer aktuellen Studie mit. Der Mangel an ausländischen Investitionen verhindere den Aufbau international wettbewerbsfähiger Sektoren mit hoher Wertschöpfung.
Ukraine: Ökonomen kritisieren „mangelnde Rechtsstaatlichkeit und Korruption“
Zwar gebe es durchaus wettbewerbsfähige Bereiche in der Ukraine, vor allem in der Land- und Forstwirtschaft, bei Lebensmitteln, in der Metallproduktion und im IT-Bereich. Selbst Rüstung und Luftfahrt – Stichwort Drohnen – böten „großes Potenzial“. Allerdings scheint das Hauptproblem hausgemacht: „Neben der schwierigen Sicherheitslage durch den Krieg stellen mangelnde Rechtsstaatlichkeit und Korruption einen wichtigen Mitgrund für die geringen Direktinvestitionen dar, weshalb die Lösung dieser Probleme auch aus wirtschaftlicher Sicht essenziell ist“, schreiben die Ökonomen aus Wien.
Dennoch hält Brüssel eisern daran fest, Kiew weiter mit Milliarden zu versorgen. Das benötigte Geld soll aus der EU in die Ukraine fließen. Die militärische Unterstützung und den Verzicht auf diplomatische Initiativen lässt sich die EU viel kosten. Seit Beginn des Krieges Russlands im Februar 2022 hat der Block 66 Milliarden Euro an Militärhilfe und 100,6 Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung geleistet. Hinzu kamen noch 3,7 Milliarden Euro an Zinsgewinnen, die von dem in Belgien verwahrten russischen Zentralbankvermögen abgeschöpft wurden.
Dabei ist die Lage für die Ukraine verheerend. Russland erzielt an der Front weitere Geländegewinne. Die Unterstützung unter den Verbündeten schwächelt, wie zuletzt die Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz zeigten, der ukrainische Flüchtlinge aus dem Bürgergeldbezug drücken will. Ganz zu schweigen davon, dass Trump und Putin immer konkretere Pläne zur Aufteilung der Ukraine aufstellen, worunter auch die Abtretung des Donbass gehört, die Region, die die ukrainische Armee mit europäischem Geld zu verteidigen versucht.
Doch die führenden Politiker in Berlin und Brüssel lassen nichts auf ihren Ukraine-Kurs kommen. Schon seit Kriegsbeginn tüftelt die EU-Kommission an einem Mechanismus, wie das in der EU eingefrorene russische Zentralbankvermögen genutzt werden kann, um es für die weitere Aufrüstung der Ukraine auszugeben. In ihrem Brief an die Mitgliedstaaten schlug von der Leyen hierfür zwei Optionen vor: Entweder die EU-Mitgliedstaaten bürgen für das Geld mit ihren jeweiligen nationalen Haushalten, oder die EU nimmt neue gemeinschaftliche Kredite (sogenannte Eurobonds) am Kapitalmarkt auf. In beiden Fällen würde das Geld als Absicherung für das russische Zentralbankvermögen hinterlegt. Wenn der Krieg einmal beendet sein wird, soll Russland auf das Geld verzichten und es für den Wiederaufbau der Ukraine bereitstellen.
Russische Vermögenswerte: Moskau droht mit Vergeltung
In Moskau hält man davon sichtlich wenig. Das russische Parlament erklärte am Donnerstag, dass jede Beschlagnahme russischer Vermögenswerte durch die Europäische Union rechtliche Schritte gegen Belgien und Euroclear, die in Belgien ansässige Verwahrstelle, bei der die beschlagnahmten Vermögenswerte verwahrt werden, nach sich ziehen müsse.
In einer Entschließung wurde außerdem vorgeschlagen, Vermögenswerte aus „unfreundlichen Ländern“ zur Kompensation der Russland entstandenen Verluste zu verwenden. Die geplante Nutzung russischer Vermögenswerte durch EU-Mitgliedstaaten sei „faktisch eine illegale Beschlagnahme von Eigentum und könne daher, falls sie umgesetzt werde, als eklatanter Diebstahl betrachtet werden“, teilte die Duma mit. „Jegliche Angriffe auf russische Vermögenswerte müssen mit einer angemessenen rechtlichen Antwort beantwortet werden, beginnend mit Schadensersatzansprüchen – verbunden mit der Forderung nach der Beschlagnahme von Vermögenswerten als Sicherheitsmaßnahme – gegen Euroclear und Belgien, wo der Großteil der illegal eingefrorenen Staatsfonds gehalten wird, in jeder Gerichtsbarkeit“, hieß es weiter. „Vermögenswerte von Nichtansässigen aus unfreundlichen Staaten können ebenfalls als Entschädigungsquelle herangezogen werden.“
Belgien, das das russische Zentralbankvermögen verwahrt, ist zutiefst besorgt über die Aussicht auf eine milliardenschwere Klage Moskaus. Die beiden Länder sind durch ein Investitionsabkommen von 1989 gebunden, das im Streitfall ein Schiedsverfahren vorsieht. Ein ähnliches Abkommen wurde bereits von dem russischen Tycoon Michail Fridman genutzt, um in Luxemburg eine Klage über 14 Milliarden Euro einzureichen. Von der Leyen hat die belgische Regierung aufgefordert, das Abkommen mit Russland aufzukündigen.
Doch Belgiens Premierminister Bart De Wever hält dagegen. Er verweist darauf, dass auch andere Länder in der EU russische Vermögenswerte besitzen, dies aber nicht transparent machen. „Das fetteste Huhn gibt es in Belgien, aber es gibt auch andere Hühner“, sagte De Wever vergangenen Monat. „Darüber spricht nie jemand.“
Europaabgeordneter Botenga: „EU könnte sich selbst erheblichen Schaden zufügen“
Der belgische Europaabgeordnete Marc Botenga (Partei der Arbeit) weist im Gespräch mit der Berliner Zeitung auf Risiken hin, die Belgien, aber auch der EU entstehen könnten. Im Falle eines Friedens könne Russland das Geld zurückfordern. „Wenn dieses Geld aber heute zur Finanzierung von Waffenlieferungen der EU an die Ukraine verwendet wird, wie wollen wir das Geld dann zurückgeben?“
Die EU denke zu wenig über mögliche Folgen nach, sagt Botenga. „Andere Länder könnten ebenfalls zögern, ihr Geld weiterhin in Europa anzulegen.“ Dies könne die Glaubwürdigkeit Europas und damit seine Stellung im internationalen Finanzsystem beeinträchtigen. „Die EU könnte sich selbst erheblichen Schaden zufügen.“
