Marina Owsjannikowa

„Ex-Propaganda gibt es nicht“: Ukrainer protestieren gegen neue Welt-Kolumnistin

Die Journalistin, die im russischen Fernsehen gegen den Krieg in der Ukraine protestierte, schreibt jetzt für die „Welt“. Die ukrainische Community ist empört.

Mitglieder der ukrainischen Community in Berlin demonstrieren am 14. April vor dem Axel Springer-Verlag gegen die Einstellung der russischen Fernsehjournalistin Marina Owsjannikowa als Kolumnistin.
Mitglieder der ukrainischen Community in Berlin demonstrieren am 14. April vor dem Axel Springer-Verlag gegen die Einstellung der russischen Fernsehjournalistin Marina Owsjannikowa als Kolumnistin.Elizabeth Rushton

Berlin-Am 14. März 2022 sorgte die russische Journalistin Marina Owsjannikowa für globale Schlagzeilen. Knapp drei Wochen nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine unterbrach sie eine Live-Nachrichtensendung ihres damaligen Arbeitgebers, des führenden russischen Staatssenders Perwy Kanal (Erster Kanal), um gegen den Krieg zu protestieren. „Glauben Sie der Propaganda nicht“, stand auf ihrem Protest-Plakat. „Hier werden Sie belogen.“ Diese Aktion hätte ihr bis zu 15 Jahre Haft einbringen können – sie wurde jedoch zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel (rund 240 Euro) verurteilt und auf freien Fuß gesetzt.

Diese Woche wurde bekannt gegeben, dass die 43-Jährige jetzt als Kolumnistin für die Zeitung Die Welt aus Russland schreiben wird. Owsjannikowa habe mit ihrer Aktion „die wichtigsten journalistischen Tugenden verteidigt“, so der Chefredakteur der Welt-Gruppe, Ulf Poschardt. Ihre Einstellung hat aber gleichzeitig für starke Kritik gesorgt, vor allem von ukrainischen Medienschaffenden und Mitgliedern der ukrainischen Community in Berlin. Sie sind empört darüber, dass Owsjannikowa, die fast 20 Jahre lang für den streng kontrollierten russischen Staatssender arbeitete, nun eine Plattform hat, um über die Ukraine zu schreiben. Viele halten sie noch für eine „Propagandistin“ und verweisen auf ausländische Fernsehauftritte seit ihrem Protest, in denen sie die Sanktionen gegen Russland kritisiert hat.

„Die Welt hat sich für russische Propaganda entschieden“

So kam es am Donnerstag zu einem Protest von ungefähr 150 Unzufriedenen vor dem Axel-Springer-Haus, dem Verlagshaus der Welt. Die Demonstranten trugen ukrainische Flaggen, bedeckten ihre Münder und fesselten ihre Hände mit Klebeband. „Ukrainische Stimmen werden jetzt von der Welt weggenommen“, so zwei leitende Demonstrantinnen, die abwechselnd auf Deutsch und Ukrainisch über eine Lautsprecheranlage schrien. „Ukrainische Journalisten kämpfen für die Wahrheit und werden dabei getötet. Aber die Welt hat sich für russische Propaganda entschieden.“

Klaus Geiger und Deniz Yücel verteidigten die Einstellung von Owsjannikowa gegen die Demonstranten.
Klaus Geiger und Deniz Yücel verteidigten die Einstellung von Owsjannikowa gegen die Demonstranten.Elizabeth Rushton

Die Anliegen der Demonstranten blieben nicht ungehört: Der Welt-Korrespondent Deniz Yücel und der Ressortleiter für Außenpolitik Klaus Geiger verließen das Springer-Haus, um mit ihnen zu reden. Beide halten Owsjannikowa nicht für eine Propagandistin und glauben ihr, dass ihre Verurteilung  Wladimir Putins und des russischen Kriegs in der Ukraine aufrichtig sei. Über das Mikrofon sagte Geiger: „Ist es nicht besser, das Richtige zu spät zu tun, als nie das Richtige zu tun?“ Er warf den Demonstranten auch Arroganz vor; ihre Forderung, Owsjannikowa nicht zu erlauben, über die Ukraine zu schreiben, käme ebenfalls einer Propaganda gleich.

Welt-Chefs sind überzeugt: Owsjannikowa schreibt keine Propaganda mehr

Yücel sagte der Berliner Zeitung: „Tiefgreifende Veränderung passiert nie, ohne dass sich Angehörige eines herrschenden Blockes davon abspalten. Und wenn sie das auf glaubwürdige Weise tun und das mit einer Selbstkritik verbinden, dann finde ich es falsch, sie dafür zu verurteilen.“ In einer Rede vor den Demonstranten übte er auch scharfe Kritik an Texten  anderer Medien, namentlich auch der Berliner Zeitung, die seiner Meinung nach nicht im Interesse der Ukraine gewesen wären. „Bei diesem Punkt kann die Welt sagen, wir haben recht gehabt“, so Yücel.

„Eine Propagandistin ist keine Journalistin“: Die Demonstrantin Amira Barkhush ist von Owsjannikowa nicht begeistert.
„Eine Propagandistin ist keine Journalistin“: Die Demonstrantin Amira Barkhush ist von Owsjannikowa nicht begeistert.Elizabeth Rushton

Die Demonstranten wollen weiterhin gegen Owsjannikowas Beschäftigung protestieren. Klaus Geiger sagte, er werde sich gerne bei ihnen entschuldigen, sollte die Journalistin in seiner Zeitung Propaganda schreiben. Die Demonstrantin Amira Barkhush war über den Verlauf der Kundgebung enttäuscht. „Ich glaube nicht, dass wir unseren Punkt verständlich gemacht haben“, so die Ukrainerin. „Im Journalismus geht es nicht nur um Redefreiheit, sondern auch darum, die Wahrheit zu vermitteln. Wie kann die Welt einer ehemaligen Propagandistin vertrauen, das zu tun?“ Allerdings sagt Barkhush, sie werde Owsjannikowas Beiträge in der Welt jetzt doch lesen. „Ich werde von nun an jedes Wort prüfen“, sagte sie.