Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat am Montag überraschend angekündigt, seine Blockade gegen den Nato-Beitritt Schwedens aufzugeben. Stockholm versprach im Gegenzug, die Bemühungen Ankaras um einen EU-Beitritt zu unterstützen – eine Forderung, die Erdogan zuvor erhoben hatte. Wenig später gab die US-Regierung bekannt, der Türkei F-16-Kampfjets liefern zu wollen. Am Wochenende hatte Erdogan den russischen Präsidenten Wladimir Putin düpiert, indem er entgegen einer Vereinbarung mit Moskau mehrere an der Verteidigung des Stahlwerks Azowstal in Mariupol beteiligte hochrangige Offiziere an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj übergab. Die Männer waren nach der Eroberung des Stahlwerks in russische Gefangenschaft geraten, wurden dann aber an die Türkei ausgeliefert. Eigentlich war vereinbart, dass sie erst nach Kriegsende in die Ukraine zurückkehren dürfen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kritisierte die Rückholung der ukrainischen Soldaten als „direkten Verstoß gegen bestehende Vereinbarungen“ sowohl von türkischer als auch von ukrainischer Seite. Offenbar habe die Nato großen Druck auf Ankara ausgeübt, spekulierte der Kreml-Sprecher.
Die jüngsten Entwicklungen werden von der regierungsnahen türkischen Presse als Erfolg gefeiert, die Zeitung Sabah spricht sogar von einem „Wendepunkt“ in den Beziehungen der Türkei mit dem Westen. Erdogan scheint es mit seinen Schachzügen gelungen zu sein, die kriegerische Grundstimmung zwischen dem Westen und Russland für die Türkei zu nutzen. Sein Konzept besteht darin, dass er von der EU Geld haben will, von den USA Waffen und gleichzeitig den wegen der Sanktionen florierenden Handel mit Russland fortführen will. Erdogan setzt für seine militärischen Ambitionen auf das hochmoderne amerikanische Kriegsgerät. Nach dem Kauf von russischen Luftabwehrraketen des Typs S-400 durch die Türkei war die Nato verunsichert. Die US-Regierung stoppte damals die Lieferung von F-35-Jets an die Türkei und schloss die türkische Luftwaffe vom F-35-Programm aus. Nun könnte sich das Verhältnis wieder deutlich verbessern.
Erdogan hatte der Presse am Montag vor seinem Flug zum Nato-Gipfel in Vilnius mitgeteilt, dass er grünes Licht für den Beitritt Schwedens zur Nato geben werde, sofern der Weg der Türkei zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union wieder frei werde. Anschließend traf sich Erdogan mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und dem Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel. Infolgedessen hat die Türkei zugestimmt, das erforderliche Protokoll zur Genehmigung des Beitritts Schwedens zur Nato so bald wie möglich offiziell zu ratifizieren. Schweden hat zugesagt, Anstrengungen zur Verbesserung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei zu unternehmen. Darüber hinaus will Schweden den Prozess der Aufnahme der Türkei in die EU sowie die Gespräche über die Einführung einer Befreiung von der Visumpflicht intensivieren. Außerdem will Schweden nun energisch gegen Gruppen vorgehen, die von der türkischen Regierung als „Terroristen“ eingestuft werden. Dazu gehören die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Gruppe des islamistischen Geistlichen Fethullah Gülen. Die Nato wiederum wird einen Sondermechanismus zur Terrorismusbekämpfung einrichten und den Posten eines Sondergesandten für den Kampf gegen den Terrorismus einrichten.
Präsident Joe Biden sagte, er sei bereit, mit der Türkei zusammenzuarbeiten, um die Verteidigung und Abschreckung in der euroatlantischen Region zu stärken. Der nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, stellte zwar fest, dass die EU-Mitgliedschaft der Türkei und der Nato-Beitritt Schwedens keine miteinander verbundenen Prozesse seien. Laut Sullivan unterstützt Biden jedoch nun die Lieferung von 40 F-16-Kampfflugzeugen an die Türkei, da dieser Schritt im Einklang mit den nationalen Interessen der USA stehe. Bisher wird die Entscheidung von Senator Robert Menendez, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des Senats, blockiert. Doch Menendez spricht bereits mit dem Weißen Haus über das Ende der Blockade. Stoltenberg sagte, dass die Türkei deutlich gemacht habe, dass die Frage der amerikanischen Flugzeuglieferungen nicht Teil des Schweden-Deals sei.


