Landespolitik

Die Berliner Linke fürchtet sich vor dem Gespenst Sahra Wagenknecht

Die Berliner Regierungspartei will auf ihrem Parteitag am Sonnabend ganz normale Linken-Politik machen. Wenn da nicht der ewige Streit um die Partei-Ikone wäre.

Sarah Wagenknecht
Sarah Wagenknechtimago/Xander Heinl

Sie kommt nicht aus Berlin. Sie taucht in keinem Antrag auf. Ja, es kann sogar sein, dass sie nicht einmal in einem der Redebeiträge erwähnt wird: Dennoch muss der Name Sahra Wagenknecht beim Parteitag der Berliner Linke am Sonnabend im Andel’s Hotel in Lichtenberg wohl immer mitgedacht werden. Die bekannteste und nicht nur wegen ihrer notorischen Russland-Versteherei streitbarste Politikerin der Partei steht als Drohung oder Warnung derzeit über allem bei den Linken. Auch in Berlin.

Es kam schon einer grotesken Verniedlichung gleich, als Katina Schubert am Mittwoch auf die Frage, ob die nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete beim Parteitag der Berliner Linke eine Rolle spielen werde, antwortete: „Möglicherweise.“ Denn natürlich weiß auch die Berliner Parteichefin, dass die aktuellen Auseinandersetzungen um Sahra Wagenknecht für die Linke eine gefährliche Zerreißprobe darstellen.

Vor allem Wagenknechts jüngste Rede im Bundestag hatte für neuen Sprengstoff gesorgt. Darin warf sie der Bundesregierung vor, „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen“, und forderte ein Ende der wegen des Ukraine-Kriegs verhängten Sanktionen gegen Russland. Das Problem: Die Parteilinie verurteilt den Ukraine-Krieg klar und trägt viele Sanktionen mit.

Wagenknechts Versuch, Ursache und Wirkung zu vertauschen, hat bereits zu Parteiaustritten geführt. So ist Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands wegen der Wagenknecht-Rede ausgetreten.

Auch Katina Schubert hat zu Wagenknecht eine klare Meinung. Nicht umsonst hat sie zusammen mit anderen Landesvorsitzenden ein Papier unterzeichnet, in dem es heißt: „Es schadet uns als Partei, wenn wir in öffentlichen Reden nicht nur widersprüchlich sind, sondern sogar abseitigen Interpretationen der Wirklichkeit eine Bühne bieten.“ Da passt es ins Bild, dass der wegen Wagenknecht gegangene Schneider am Sonnabend in Berlin auf der Rednerliste steht.

Katja Kipping könnte die nächste Vorsitzende der Berliner Linke werden

Auch die Berliner Hauptrede wird von einer erklärten Wagenknecht-Gegnerin gehalten. Katja Kipping, als langjährige Bundesvorsitzende in unzähligen Scharmützeln mit der Partei-Ikone gestählt, ist seit vergangenem Dezember Sozialsenatorin in Berlin. Am Sonnabend vertritt Kipping den Leitantrag des Vorstands mit dem Titel „Niemanden zurücklassen – der Energiearmut entgegentreten“.

Nicht wenige in der Partei und drumherum glauben ohnehin, dass Katja Kipping bald selbst Landesvorsitzende werden könnte. Zwar wird diesmal kein neuer Landesvorstand gewählt, das soll erst beim nächsten Parteitag im Februar kommenden Jahres geschehen. Gut möglich, dass Katina Schubert – nach dann mehr als sechs Jahren im Amt – nicht noch einmal antritt. Am Mittwoch mochte sie sich vor der versammelten Landespresse dazu nicht äußern.

Als sicher darf jedoch gelten, dass die Berliner Linke dann zwei Co-Vorsitzende haben wird. Ein entsprechender Antrag wird am Sonnabend gestellt, Schubert signalisierte Zustimmung.

So oder so wird ihre Berliner Rede Katja Kipping auf dem Weg an die Berliner Spitze – ob sie ihn anstrebt, bleibt zunächst ein offenes Geheimnis – wohl nicht merklich nach vorne bringen. Schließlich hat die Berliner Linke ausgerechnet bei der Suche nach wirksamer Hilfe vor sozialen Verwerfungen durch Russlands Krieg ihr Alleinstellungsmerkmal eingebüßt. Namentlich die Berliner SPD wirkt in Zeiten der Energiepreiskrise so, als wolle sie die Linke noch links überholen.

Ob milliardenschwere Hilfsprogramme, die Abkehr von der Schuldenbremse, die Forderung nach einer Übergewinnsteuer für Unternehmen und selbst der Verzicht auf die Gasumlage – bei all diesen Punkten ist die Berliner SPD mindestens genauso laut wie Die Linke. Und da, wo Die Linke bei ihrem eigenen Klientel möglicherweise hätte punkten können, geht es im Moment nicht weiter. So einigte sich die rot-grün-rote Koalition am Montag auf ein Berliner Hilfspaket mit einem Volumen von bis zu 1,5 Milliarden Euro. Darin enthalten ist bekanntlich ein nur für Berlin geltendes 29-Euro-Ticket für bis zu drei Monate im öffentlichen Personennahverkehr. Alle Versuche der Linken, das derzeit 27,50 Euro im Monat kostende Sozialticket entsprechend deutlich zu ermäßigen, um einen klaren Unterschied zu wahren, sind bisher gescheitert.

Und dann ist da noch die Sache mit dem „heißen Herbst“. Die Partei will bekanntlich den Protest, den Frust, ja die Wut über steigende Energiekosten auf die Straße bringen. Dasselbe will bekanntlich auch die AfD. Und so kam es voriges Wochenende zum Eklat: In Brandenburg an der Havel demonstrierten Funktionäre der Linkspartei mit solchen der AfD und weiteren Akteuren der rechten und rechtsextremen Szene. Zu der Demo gegen die Energie- und Außenpolitik der Bundesregierung hatte ein „Bündnis für Frieden“ aufgerufen.

Nachher war die Häme groß. Der Fraktionsvorsitzende der Brandenburger CDU, Jan Redmann, sprach vielen aus der Seele, als er sagte: „Wenn man solche Demonstrationen anmeldet, muss man wissen, mit wem man auf die Straße geht.“

Noch schärfer gingen Brandenburgs Grüne mit den Linken ins Gericht – kein Wunder, hatten sich die Demonstranten doch ausgerechnet die Grünen-Stars Robert Habeck und Annalena Baerbock vorgenommen. Einige Linke und Rechte beziehen in den aktuellen Debatten ähnliche Positionen, sagte Grünen-Fraktionsvorsitzende Petra Budke. Dabei sei es ganz einfach: „Die Linke muss sich entscheiden, wo sie steht und wo sie hinwill.“