Kommentar

Deutschland sucht die Super-Bahn: Nächste Station Wolkenkuckucksheim

Wie könnte die DB besser werden? CDU und CSU präsentieren eine neue alte Idee. Dabei gibt es aus Fahrgastsicht andere Prioritäten als Strukturdebatten. Ein Kommentar.

Einsteigen bitte! Fahrgäste vertrauen sich im Berliner Hauptbahnhof einem DB-Regionalzug an.
Einsteigen bitte! Fahrgäste vertrauen sich im Berliner Hauptbahnhof einem DB-Regionalzug an.Christoph Soeder/dpa

Und täglich grüßt das Murmeltier. Diskussionen über die Bahn sind so alt wie die Bahn selbst. Schon kurz nach der Eröffnung der ersten preußischen Eisenbahn 1838 klagten Ausflügler darüber, dass die Züge am Sonntagabend von Potsdam zurück nach Berlin viel zu voll seien. Jetzt ist ein Thema wieder auf der Tagesordnung, das nur im politischen und akademischen Bereich gepflegt wird: die Debatte über die richtige, die ideale Struktur. Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert, die Infrastruktur aus dem Staatskonzern herauszulösen. Nur der Verkehr soll bei der Deutschen Bahn (DB) bleiben.

Neu ist die Idee, Netz und Betrieb stärker als bisher zu trennen, nicht. Auch wenn man die Reaktionen betrachtet, kommt bald ein Déjà-vu. Obwohl es schon heute Trennlinien gibt, warnt die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG wieder einmal vor einer „Zerschlagung“ und beschwört die gute alte integrierte Bahn herauf. Im linken Spektrum ist der ultimative Gruseleffekt nicht weit: Droht sogar die Privatisierung? Als wäre die heutige DB ein liebenswertes Unternehmen, das von beflissenen Staatsdienern im Sinne des Gemeinwohls geführt wird.

Dabei wurde die Berliner S-Bahn-Krise, die 2009 Zustände wie kurz nach Kriegsende heraufbeschwor, von einem Staatsbetrieb verursacht. In anderen Bereichen wirkte der Bundeskonzern ebenfalls lange so, als ob ihm das Kerngeschäft, möglichst viele Menschen und Güter möglichst gut zu befördern, egal sei. Während die Bahn nicht nur unter Hartmut Mehdorn in Deutschland bei Investitionen knauserte, lenkte sie zwölf Milliarden Euro in den Kauf ausländischer Firmen um, die sich oft als defizitär erwiesen.

Wettbewerb hat dem System Schiene gut getan

Der Popanz einer angeblichen „Privatisierung“ ist auch deshalb fehl am Platz, weil der Wettbewerb längst da ist. Unbestreitbar ist, dass sich die mit der Bahnreform vollzogene Netzöffnung positiv ausgewirkt hat. Die Verkehrsleistung nahm zu, Marktanteile des Systems Schiene wurden größer. Wo früher im Nahverkehr alte Silberlinge sporadisch über die Gleise schaukelten, rollen im Stundentakt moderne Regionalzüge.

Unter Bahnkennern gilt es als ausgemacht, dass der Konzern mit seinen 740 Beteiligungen und Tochtergesellschaften zu groß ist. Sicher spricht viel dafür, über eine Neuordnung nachzudenken. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Disruption um der Disruption willen zum nächsten großen Bahnabenteuer werden könnte. Dass sich nicht nur Politiker, sondern auch Unternehmensberater, Juristen und Wissenschaftler gern mit Struktur- und Rechtsfragen befassen, ist klar: Es passt zu deren Geschäftsmodell.

Als kurz- und mittelfristige Lösung taugt das Entwerfen neuer Organigramme allerdings kaum. Viel Zeit würde verstreichen, bis eine Trennung vollzogen und überflüssiges Konzernpersonal abgefunden wäre. Zudem ließe sich nicht garantieren, dass die neuen Gesellschaften so agieren wie gewollt – und das auch noch im gewünschten Tempo.

Zwei Preisfragen: Was will der Bund? Und wird er es durchsetzen?

So perfekt theoretische Konzepte anmuten können: In der Praxis können Neuorganisationen scheitern, wenn sie nicht richtig gesteuert werden. Dreh- und Angelpunkt wird deshalb sein, dass der Bund endlich weiß, was er will und das auch durchsetzt. Bisher zog er sich oft bequem auf die Rolle des Zuschauers zurück. Dass er jetzt erneut Myriaden von Beratern beschäftigt, um Zukunftsthemen der Bahn zu bedenken, zeigt deutlich, wie schwach die Politik auf der Brust ist. Selbst Themen in ihrer direkten Zuständigkeit packt sie nur halbherzig an. Dabei müssten Regelwerke, die Verkehr erschweren oder gar verhindern, entschlackt werden. Einflussmöglichkeiten von Anwohnern, die heute jedes Bahnprojekt torpedieren dürfen, wären neu zu justieren.

Strukturdebatten dauern. Und sie bergen die Gefahr, dass Denkkapazität blockiert wird, indem man sich bei Theoriethemen verhakelt und neue Wolkenkuckucksheime entwirft. Dabei drängt die Zeit. Praktische Fragen sind rasch zu beantworten: Wie kann die Bahn zuverlässig werden? Wie ließe sie sich dazu befähigen, zur Mobilitätswende beizutragen?

Es wird Jahre dauern, bis Fehler und Versäumnisse, die auf früheren großartigen Konzepten basieren, rückgängig gemacht worden sind. Um jedoch möglichst bald Verbesserungen zu erreichen, kommt es darauf an, erst einmal die vorhandenen Strukturen zu aktivieren – was angesichts von Fachkräftemangel und Preissteigerungen schwer genug sein wird. Die Eisenbahner, die in den Konzepten bestenfalls nur am Rand vorkommen, müssen Tag für Tag aufs Neue dazu motiviert werden, zu einem halbwegs akzeptablen Regelbetrieb beizutragen. Ob das klappt, wenn nun wieder neue Überbaustrukturen und wieder neue Managerposten entstehen, ist fraglich.