Die am Donnerstag vorgelegte China-Strategie der Bundesregierung sieht China als Partner in wirtschaftlichen und einigen gesellschaftlichen Fragen. Allerdings wird China zugleich als systemischer Rivale gesehen, was sich im militärischen Teil des Papiers niederschlägt. Viele der militärischen Positionen sind fast wortgleich mit den Feststellungen des Nato-Gipfels. Das unter Federführung des Auswärtigen Amts erstellte Dokument hat keine rechtlich bindende Wirkung, ist aber dennoch von Bedeutung, weil es versucht, die Richtung der Politik zu bestimmen: „Mit der China-Strategie geben wir uns für unsere Beziehungen den Kompass“, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf Twitter.
Allerdings kann man beim Lesen den Eindruck gewinnen, dass der Kompass in unterschiedliche Richtungen ausschlägt: Die Bundesregierung will keinesfalls den größten Warenhandelspartner verprellen und hat sich – zumindest vorerst – bestimmter Maximalforderungen enthalten, wie sie die US-Regierung vermutlich gerne gesehen hätte: So wird explizit gesagt, dass „im Technologiebereich keine Entkopplung von China“ angestrebt wird: „Die Entstehung separater Tech-Sphären ist nicht in unserem Interesse“, heißt es, womit die Tür für chinesische Technologien weiter offenbleibt. Allerdings ist Deutschland offenkundig eingebunden in den „EU-US-Handels- und Technologierat“, welcher „der Zusammenarbeit zwischen den zwei größten und technologisch fortschrittlichsten Binnenmärkten der Welt“ dienen soll. Die Bundesregierung will „den Rat weiterhin ambitioniert und dynamisch nutzen, um eine stärkere Basis für eine transatlantische grüne Wirtschafts- und Technologiepartnerschaft zu schaffen“. Außerdem können separate Tech-Sphären von den Amerikanern erzwungen werden, etwa durch Sanktionen gegen chinesische Anbieter.
Ob es zu Einschränkungen der Zusammenarbeit im Technologie-Bereich kommen wird, wird außerdem von einem in dem Papier angekündigten neuen Gesetz abhängen: Kritische Infrastrukturen seien „entscheidend für unsere Sicherheit und unseren Wohlstand“: „Wir werden in einem KRITIS-Dachgesetz definieren, welche Sektoren sowie welche Unternehmen und Einrichtungen zu den Kritischen Infrastrukturen gehören. Diese wollen wir mit sektoren- und gefahrenübergreifenden Mindestvorgaben resilienter machen.“ Für jeden Sektor soll es dann eigene Gesetze geben, dessen Vorgaben alle Komponenten erfüllen müssen.
In anderen Bereichen der Wirtschaft beschreibt die Strategie eher den Ist-Zustand, wie etwa bei Rohstoffen, Lieferketten und Seltenen Erden. Hier betont die Bundesregierung zwar, sich aus einer Abhängigkeit von China lösen zu wollen. Doch welche konkreten Ausstiegsszenarien realistisch sind, bleibt offen. In einem wichtigen Punkt dürfte die chinesische Führung zusammenzucken: Ein von Peking gefürchtetes Junktim zwischen Menschenrechten und Wirtschaftsbeziehungen findet sich zwar nicht in allgemeiner Form. Doch ist an mehreren Stellen zu erkennen, dass es diesen Zusammenhang gibt. So heißt es zum Thema Exportkontrollen, diese sollten „gewährleisten, dass genehmigungspflichtige Ausfuhren von Gütern und Technologien aus Deutschland keinen systematischen Menschenrechtsverletzungen in China Vorschub leisten, innere Repression nicht stärken und weder der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen noch der weiteren militärischen Aufrüstung dienen“.
Wenig erfreut dürfte Peking auch über die sehr konkrete Positionierung Deutschlands sein, zumal es im Bericht heißt, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen betreffen die „Uigurinnen und Uiguren in Xinjiang, über die auch die Vereinten Nationen berichten, die Lage in Tibet, die Lage in Hongkong, die Lage ethnischer und religiöser Gemeinschaften sowie die deutlich verschlechterte Situation von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern“. Die Bundesregierung will sich auch in China „für Meinungs- und Pressefreiheit online und offline, für Freiräume der Zivilgesellschaft und für die Achtung der Rechte gesellschaftlicher Minderheiten einsetzen“. Die Bundesregierung führt zum Zusammenhang von Menschenrechten und Wirtschaft aus: „Die Achtung der Menschenrechte ist nicht nur eine grundlegende völkerrechtliche Verpflichtung; sie hat auch einen wirtschaftlichen Aspekt: Aus der Verletzung von Menschenrechten dürfen keine Wettbewerbsvorteile entstehen.“
Die deutliche Abgrenzung zu einem anderen „System“ findet ihren Niederschlag auch in der Skepsis gegenüber Projekten, die unter Federführung Chinas entstanden sind. So heißt es: „Chinas politische Initiativen – u.a. die Seidenstraßeninitiative, die Globale Entwicklungsinitiative (Global Development Initiative) und die Globale Sicherheitsinitiative (Global Security Initiative) – bilden den Rahmen für Chinas politische und geoökonomische Beziehungen auf allen Kontinenten; sie dienen der Schaffung eines weltumspannenden Netzes mit China im Mittelpunkt.“ China nutze sein „gewachsenes politisches, militärisches und wirtschaftliches Gewicht, um auf allen Kontinenten und in internationalen Organisationen seine Interessen zu verfolgen und die bestehende regelbasierte internationale Ordnung nach chinesischen Vorstellungen zu verändern“.
Mit den USA sei „China in einen geopolitischen Wettbewerb getreten, in dessen Mittelpunkt der indo-pazifische Raum steht“. Die „massive Aufrüstung Chinas – sowohl im konventionellen als auch im nuklearen Bereich – beunruhigt viele seiner Nachbarn“.
In diesem Wettbewerb sieht die Bundesregierung China „zunehmend als geopolitisch bedeutsamen sicherheitspolitischen Akteur, dessen Fähigkeitsaufbau und Verhalten auch Europas Sicherheitsinteressen berühren. Entwicklungen im indo-pazifischen Raum können direkten Einfluss auf die euro-atlantische Sicherheit haben“. Deutschlands Sicherheit beruhe „auf der Handlungsfähigkeit und dem inneren Zusammenhalt der EU, der Festigung der transatlantischen Allianz, unserer tiefen Freundschaft mit Frankreich und der engen und vertrauensvollen Partnerschaft mit den USA“. Chinas antagonistisches Verhältnis zu den USA stehe im Widerspruch zu diesen Interessen.
Sehr deutlich wird die Bundesregierung auch im Hinblick auf das Verhältnis Chinas zu Russland. Hier heißt es: „Chinas Verhältnis zu Russland, insbesondere seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, ist für Deutschland von unmittelbarer sicherheitspolitischer Bedeutung.“ In ihrer gemeinsamen Erklärung vom 4. Februar 2022 hätten „China und Russland sich zu einer deutlichen Intensivierung der Zusammenarbeit in allen Bereichen bekannt“. Sie lehnten „darin eine weitere Nato-Erweiterung ab und beanspruchen regionale Einflusssphären in ihrer Nachbarschaft“.


