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Transfeindlichkeit bei der Jungle World? Eigene Autoren attackieren linke Zeitung

In einem offenen Brief erheben Mitarbeiter schwere Vorwürfe gegen die Wochenzeitung. Einer der Beschuldigten ist selbst Transmann – er weist die Kritik zurück.

Die Kritiker vermissen eine „Parteinahme für ohnehin Ausgegrenzte“
Die Kritiker vermissen eine „Parteinahme für ohnehin Ausgegrenzte“Panthermedia/Imago

Die Jungle World steht politisch weit links, zu ihren wichtigsten Themen zählen Antifaschismus, Antirassismus und Feminismus. Da wäre Ärger mit radikalen Rechten nicht überraschend. Nun aber wird die Wochenzeitung aus Berlin-Kreuzberg von eigenen Mitarbeitern attackiert. In einem offenen Brief werfen ihr aktuelle und ehemalige Autoren „Transfeindlichkeit“ vor.

Die Anschuldigungen der 15 Erstunterzeichner wiegen schwer, gerade weil sie sich gegen ein linkes Blatt richten. So ist die Rede nicht nur von „Dämonisierung“ und „Falschinformationen“. Auch steht dort: „Es kann nicht sein, dass linke Zeitungen Inhalten einen Raum geben, die sich nur in Nuancen von der Hetze erklärter An­ti­fe­mi­nis­t:in­nen unterscheiden.“

Die Autoren unterstellen der Redaktion mangelnde Solidarität mit Transmenschen. „Die Argumentationen in den transfeindlichen Texten der Jungle World sind keine solidarische Kritik, geschweige denn Beiträge zu einem emanzipatorischen Diskurs.“ Vielmehr bedienten sie Ressentiments, die teils von denselben Autoren „in rechten Medien wie der Welt und dem Cicero* wiederholt werden“. Vermisst wird eine „Parteinahme für ohnehin Ausgegrenzte“.

J. K. Rowling: Autoren schreiben von Drohungen gegen Transmenschen

Die Kritik berührt Fragen, die in den USA schon länger diskutiert werden. Wo verläuft die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus? Gibt es Menschen, denen Medien keinen Raum geben sollten, auch wenn ihre Aussagen nicht justiziabel sind?

Für viele Transaktivisten ist die Erfinderin von „Harry Potter“ so eine Person. Die britische Schriftstellerin Joanne K. Rowling wird auch in dem Brief an die Jungle World erwähnt. In der Debatte um Rowlings angebliche Transfeindlichkeit, so die Autoren, erhielten Aktivisten regelmäßig Morddrohungen.

Die Schriftstellerin hatte in der Vergangenheit unter anderem eine Gesetzesänderung in Schottland kritisiert, nach der Transmenschen ohne medizinisches Gutachten ihren Geschlechtseintrag ändern können. „Nein zur Selbst-Identifizierung“, schrieb Rowling auf Twitter. Ihr wird ebenfalls mit Gewalt gedroht.

Reaktion auf Brief: Meinungskorridor so eng wie Schießscharte

In ihrem Brief haben die Autoren Artikel aufgelistet, mit denen die Jungle World den „Kampf um Nischen der Selbstbehauptung“ von Transmenschen diskreditiere. Darunter sind auch Beiträge von Till Randolf Amelung. Er ist selbst Transmann und hatte in einem seiner Texte eine Ausgabe der ZDF-Sendung von Jan Böhmermann kritisiert. Amelung warf dem Satiriker eine „dürftige Beweisführung“ vor, nachdem dieser behauptet hatte, es sei wissenschaftlicher Konsens, dass es mehr als zwei biologische Geschlechter gebe.

Dies ist einer von vier Artikeln des Autors, die als Belege für Transfeindlichkeit genannt werden. Amelung schreibt, es sei „hanebüchen“, die Kritik an Transaktivisten für Übergriffe verantwortlich zu machen. In einem weiteren Text behandelt er unter anderem den Unterschied zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität. „Im derzeitigen queeren Transaktivismus werden Definitionen von biologischem Geschlecht umgedeutet“, heißt es darin.

„Hier wird ganz klar versucht, einen differenzierten Diskurs über komplexe, sensible Themen zu unterbinden“, sagt Amelung der Berliner Zeitung zu den Vorwürfen. Er spricht von einem „Meinungskorridor, der enger als eine Schießscharte“ sei. Als Reaktion veröffentlichte Amelung auf seinem Twitter-Profil die angesprochenen Artikel. So könne sich jeder ein eigenes Bild machen.

Auf Anfrage der Berliner Zeitung reagierte die Jungle World mit einem kurzen Statement auf die Anschuldigungen. Darin betont das Blatt seine „pluralistische linke“ Ausrichtung. „Über Feindschaft gegen Transmenschen berichten wir regelmäßig und bekämpfen diese.“ Allerdings gebe es keine einheitliche Position zum Transaktivismus. Die Redaktion habe immer Wert darauf gelegt, auch linke Strömungen nicht von Kritik auszunehmen. Das Problem ist nur, dass Kritik für manche Aktivisten nach Verrat klingt.

USA: Kollegen verärgert über Reportagen der New York Times

Was sich im Kleinen bei der Jungle World zuträgt, geschieht in den USA auf großer Bühne. Dort hatten zuletzt Tausende Journalisten in offenen Briefen die Berichterstattung der New York Times kritisiert. Zu den Unterzeichnern gehören auch mehr als tausend festangestellte Mitarbeiter und freie Autoren der renommierten Zeitung.

Auch in den USA geht es um den Umgang mit Trans-Themen. In einem der Schreiben werfen die Verfasser ihren Kollegen „Pseudowissenschaft“ und den Kurs „rechtsradikaler Hassgruppen“ vor. Grund sind mehrere Reportagen in der New York Times. In einer kommen auch solche Wissenschaftler zu Wort, die sich besorgt zeigen über die Abgabe von Pubertätsblockern an Kinder. Es werden Menschen vorgestellt, die die Einnahme später bereuten.

Die New York Times verteidigte sich gegen die Vorwürfe. Die Berichterstattung über Trans-Themen sei wichtig, ausführlich und sensibel geschrieben, betonte Chefredakteur Joseph Kahn in einem Brief an das eigene Haus. Das Schreiben wurde später öffentlich.

Jungle World: Autoren können sich jederzeit an Debatte beteiligen

Abgesehen von dem Statement will man sich bei der Jungle World vorerst nicht zu den Anschuldigungen äußern. Die Debatte über Transaktivismus werde intern und in der Zeitung weitergeführt, heißt es. „Die Autor:innen des offenen Briefs waren nie daran gehindert, sich daran zu beteiligen.“ Das Schreiben, so scheint es, kam für die Redaktion überraschend.

Zu den Erstunterzeichnern gehört auch Veronika Kracher, Autorin des Buchs „Incels“. Auf der Seite Belltower News hatte Kracher im Jahr 2020 einen Text mit dem Titel „Was Transfeindlichkeit mit Antisemitismus zu tun hat“ veröffentlicht.

Der offene Brief von Kracher und den anderen Autoren wurde auch über Twitter verbreitet, auf einem Account namens „Kein Platz für Transfeindlichkeit“. In mehreren Tweets werden dort weitere Unterzeichner genannt. Es liegt daher nahe, dass der Account von den Autoren selbst oder deren Umfeld angelegt wurde.

An einem Austausch mit anderen Medien sind die Betreiber allerdings nicht interessiert. „Bitte keine Presseanfragen“, steht in der Beschreibung des Profils. Die Kommentarfunktion ist ausgeschaltet.

*Transparenzhinweis: Die Berliner Zeitung hat eine Kooperation mit dem Cicero.