Berlin wird immer voller – Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Es kommen Menschen, die unter anderem wegen eines Jobs in die Stadt ziehen. Es kommen Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen.
Es kommen Menschen aus aller Welt, die in der Stadt aus den unterschiedlichsten Gründen um Asyl bitten. Sie alle treffen auf ein Berlin, das gefühlt aus allen Nähten platzt. In dem bereits hier Wohnende kaum mehr umziehen, weil sie kaum mehr – bezahlbare – Wohnungen finden. In dem sich gleichzeitig die Menschen dagegen wehren, dass in ihrer Nachbarschaft gebaut wird, es also dichter und enger wird. Die Gemengelage ist brisant.
Einen Eindruck, dass es mit jedem Monat voller wird, gibt die Statistik des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) wider. Demnach beantragten von Anfang Januar bis Ende Juli 8050 Menschen in Berlin Asyl. Es spricht also einiges dafür, dass zum Jahresende die Gesamtzahl von 14.407 Asylbewerbern aus dem Jahr 2022 mindestens erreicht und vermutlich übertroffen wird.
Dazu noch ein paar Zahlen: 2016, auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise, wurden in Berlin 16.889 Asylbewerber registriert. Danach nahm es stark ab, der niedrigste Wert war 2020 mit 4589 Menschen erreicht. Seitdem steigen die Zahlen wieder.
Tendenz sinkend: Es kommen weniger Flüchtlinge aus der Ukraine
Die Asylbewerber müssen im wachsenden Berlin genauso aufgenommen werden wie die ukrainischen Kriegsflüchtlinge. Deren Zahl sinkt jedoch tendenziell. So sind 2023 bis Ende Juli 9611 Ukrainer in Berlin geblieben. Das sind wenige verglichen mit den 33.129 Ukraine-Kriegsflüchtlingen, die allein im April 2022 registriert wurden und blieben.
Dennoch darf als sicher gelten, dass bis zum Jahresende alle 32.500 Plätze in LAF-Unterkünften belegt sein werden. Sehr viele davon befinden sich in Modularen Unterkünften – einfach zu errichtende Plattenbauten –, sogenannten Mufs. Die anderen kommen etwa in leer stehenden Hotels oder nicht mehr genutzten öffentlichen Verwaltungsgebäuden unter. Der schwarz-rote Senat sucht dringend nach weiteren Potenzialen. Besonders schwierig ist es, Standorte für Mufs zu finden.
Nach Angaben von LAF-Sprecher Sascha Langenbach sind derzeit in Berlin 29 Mufs in Betrieb, rund 9000 Menschen wohnen darin. Fünf weitere seien in Bau: am Askanierring in Spandau, an der Quedlinburger Straße in Charlottenburg-Nord, an der Rudower Straße in Neukölln, an der Kirchstraße in Pankow und am Hassoweg in Treptow-Köpenick.
Die vier Flächenbezirke im Osten nehmen fast die Hälfte aller Flüchtlinge auf
Vor allem die letzten beiden Bauvorhaben sind bemerkenswert. Schließlich weiß man seit Jahren, dass die Groß-Unterkünfte ungleich verteilt sind in der Stadt: So tragen die vier Flächenbezirke im Osten zusammen fast die Hälfte der Last zur Unterbringung, was unter anderem daran liegt, dass es dort nach Jahrzehnten des Schrumpfens und des Abrisses von Wohnhäusern und anderer Gebäude besonders viele landeseigene freie Grundstücke gibt. Gleichzeitig ist in diesen Gegenden auch soziale Infrastruktur wie Schulen, Kitas oder Arztpraxen schon jetzt Mangelware.
Deswegen mahnen nicht nur Kommunalpolitiker aus Pankow, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick eine gleichmäßige Verteilung an, ehe überhaupt an neue Standorte bei ihnen zu denken sei. Längst hat etwa CDU-Fraktionschef Dirk Stettner das Tempelhofer Feld als Potenzial für weitere Unterkünfte in den Blick genommen und bekommt dafür Beifall aus dem Osten.
CDU-Bezirksbürgermeisterin bietet dem Senat weitere Fläche an
Auch Marzahn-Hellersdorfs neue Bezirksbürgermeisterin Nadja Zivkovic (CDU) wurde im Frühjahr damit zitiert, sie empfinde es als „unsolidarisch“, dass einige Regionen hohe Zahlen von Geflüchteten aufnähmen, während andere Stadtteile sich zurückhielten. Die personellen wie finanziellen Kapazitäten im Osten jedenfalls seien „völlig erschöpft“.
Da lassen aktuelle Nachrichten aus Zivkovics Bezirk aufhorchen: Ausgerechnet die Bürgermeisterin bietet dem Senat eine weitere Potenzialfläche für eine Unterkunft an. Da sie dies offenbar nicht ausreichend im Bezirksamt kommuniziert hat, hat sie nun Ärger mit den Stadträten beziehungsweise den BVV-Fraktionen von SPD, Linke und Grünen.
Vor fünf Jahren protestierten 800 Menschen, darunter Neonazis
Was genau passiert ist, dazu gibt es Rede und Gegenrede. Sicher ist, dass das Bezirksamt ein Muf an der Maxie-Wander-Straße im Ortsteil Hellersdorf schließen möchte. Um das Muf gab es 2018 schon einmal böses Blut. „Nein zum Heim“, „Volksverräter“ und „Lügen, Lügen“ skandierten damals 800 Demonstranten, darunter etliche Neonazis.
Das frühere Max-Reinhardt-Gymnasium mag exemplarisch für den Berliner Osten stehen. Es stand seit 2008 leer, als es wegen sinkender Schülerzahlen aufgegeben wurde. 2019 eröffnete dort eine Flüchtlingsunterkunft mit 400 Plätzen. Inzwischen wachsen die Ostbezirke wieder, auch Marzahn-Hellersdorf. An der Maxie-Wander-Straße wird eine Grundschule gebraucht. Außerdem will das Bezirksamt dort eine Oberschule errichten, die als Ausweichquartier für andere Standorte gebraucht wird, die saniert werden sollen. In jedem Fall soll die Unterkunft dort weg.
SPD-Politiker: Keines der Grundstücke eignet sich für Unterkunft
So weit folgt auch Jugendstadtrat Gordon Lemm (SPD) der CDU-Bürgermeisterin Zivkovic. Außerdem müsse „Marzahn-Hellersdorf natürlich solidarisch bleiben, wenn es nötig ist“, sagt der Kommunalpolitiker im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Übrigens: Lemm war bis zur Wiederholungswahl selbst Bürgermeister des Bezirks.
Heute ärgert sich der SPD-Mann über das „Kommunikationsproblem“ seiner Nachfolgerin im Rathaus. Zivkovic habe dem Senat unabgesprochen weitere Flächen zur unterschiedlichen Nutzung angeboten. Und eines macht er ganz klar: „Keines der Grundstücke ist geeignet für ein neues Muf.“
Das sieht die CDU im Bezirk nun offenbar völlig anders. So bietet Zivkovic dem LAF ein Grundstück an der Ludwig-Renn-Straße im Norden Marzahns, mitten in der Platte. Das ist pikanterweise eine Hochburg der AfD.
Das Landesamt für Flüchtlinge lobt die Bezirke im Berliner Osten
Droht jetzt neuer Ärger, so wie 2018 im benachbarten Hellersdorf? LAF-Sprecher Langenbach hofft auf „einen guten Verlauf“, wie er der Berliner Zeitung sagt. Wie er darauf komme? „Die Marzahner waren die allerersten zusammen mit den Lichtenbergern, die gesagt haben: Ja, wir machen das“, sagt er. Überhaupt, so sagt er, dass „der Osten plus Spandau“ immer gut mitgemacht habe.




