Brutal Berlin

Berlin maskulin: Wo Frauen gratis trinken und Männer auf Pirsch gehen

Unsere Autorin hat die „Ladies Night“ im Soda Club in Prenzlauer Berg besucht, eine Party, die Frauen mit Freigetränken lockt. Welche Frauen gehen dahin – und welche Männer? 

Einer bestellt, alle stoßen an, lecken das Salz vom Handrücken, kippen das Gesöff hinunter, verziehen das Gesicht, beißen in die Zitronenscheibe.
Einer bestellt, alle stoßen an, lecken das Salz vom Handrücken, kippen das Gesöff hinunter, verziehen das Gesicht, beißen in die Zitronenscheibe.Candice Roger für Berliner Zeitung am Wochenende

Tequila war mein Endgegner. Lange verdrängte ich diese abartige Flüssigkeit erfolgreich. Rückblickend habe ich keine Ahnung, warum wir das Getränk in meiner Jugend so exzessiv gesoffen haben. Naiv, wie wir waren, hatten meine Freunde und ich uns damals immer zu Beginn des Abends vorgenommen, keinen Schnaps zu trinken. Doch je später die Nacht, desto unwahrscheinlicher wurde es, dass wir an dem Fusel vorbeikamen. Irgendjemand bestellte immer irgendwann eine Runde Tequila.

So ergeht es dem wilden Partyvolk offenbar auch heute noch. Vier junge Menschen trinken an einem Freitagabend bei der „Ladies Night“ im Soda Club Tequila. Einer bestellt, alle stoßen an, lecken das Salz vom Handrücken, kippen das Gesöff hinunter, verziehen das Gesicht, beißen in die Zitronenscheibe. Und schon haben alle ein paar Umdrehungen mehr. Dann geht es auf die Tanzfläche.

Berlin maskulin

Auf einem der Floors im Soda Club an der Schönhauser Allee steht ein Käfig, den eine Handvoll junger Frauen um die 20 besetzt. Dabei umschlingt eine Frau die Hüfte einer anderen und legt die Hände auf ihren Po. Sie tanzen, als würde ihnen niemand zusehen. Doch ziehen sie sehr wohl Blicke auf sich – vor allem von Männern, fast alle mit ausrasiertem Nacken. Einer mit Schirmmütze klatscht im Rhythmus der Musik in Richtung zweier Frauen, die vor einer Poledance-Stange in einem anderen Raum mit dem Po wackeln.

Das Klatschen scheint sie nicht zu verunsichern, sondern vielmehr zu motivieren, ihre sexy Tanzmoves fortzusetzen. Eine junge Rothaarige setzt die Flasche an den Mund und trinkt das Mischbier bis zur Hälfte aus. Dann wirkt sie so, als mache sie Selfies – Brust und Lippen raus, laszive Bewegungen –, doch bei genauerem Hinsehen stellt man fest: Sie facetimed mit einem jungen Mann.

Draußen vor der Tür sitzt auf Bierbänken der Teil des Partyvolks, der eine Pause braucht. Ich beobachte einen jungen Blondschopf mit Valentino-Täschchen und Ohrstecker beim Anbahnungsversuch. Wo die drei jungen Damen denn herkämen, fragt er. Als das Gespräch auf seinen Bezirk – Steglitz – kommt, scheinen die Frauen wenig begeistert zu sein. Doch der Blondschopf entgegnet: „Ey, Berlin maskulin! Steglitz ist voll normal.“

Berlin ist „immer so Techno“

Wer fragt, der führt, sagte Sokrates. Der Blondschopf hat das verinnerlicht. Er stellt munter weiter Fragen, die Damen antworten freundlich. Jetzt geht es ums Studium. Der Blondschopf stützt seine Hand auf dem linken Oberschenkel auf. Eine Uhr, die teuer aussieht, aber auch Fake sein könnte, protzt an seinem Handgelenk. Eine junge Frau mit in zwei lockige Strähnen gegeltem Pony bläst den Rauch ihrer Zigarette aus und sagt, sie studiere Psychologie. Ihre Freundin sagt, sie wolle Jura studieren. Blondschopf ist beeindruckt: „Krass! Jura ist schon krass.“

Endlich! Er darf den Damen seiner Wahl Drinks kaufen. Er zieht los, und ich setze mich zu den Frauen. Sie flirten gern, sind aber hier wegen der Musik, sagen sie mir. Berlin sei sonst „immer so Techno“. Wegen der Free Drinks im Wert von 20 Euro, mit denen weibliche Gäste zur „Ladies Night“ gelockt werden, seien sie jedenfalls nicht gekommen, behaupten Michelle, 19 Jahre alt, aus Gesundbrunnen und Anna, 18, aus Moabit. Vielmehr sei eine Freundin aus Paderborn zu Besuch, mit der sie feiern gehen wollten. Die Szene hier sei aber nur: „Joa, geht so.“ 

Mitten im grünen Prenzlauer Berg

An der Tür flirtet ein Security-Mitarbeiter mit einer Brünetten. „Auch hübsche Frauen müssen zahlen“, sagt sein Kollege mit dem Stempel in der Hand zu einer Blonden; der Eintritt an diesem Abend kostet 10 Euro, auch für Ladies. Dann betreten die Freundinnen den Außenbereich des Clubs, wo die Bierbänke stehen. Jemand ruft: „Wallah, ich pack meine Eier ein!“

Auch Patrick – ausgesprochen „wie Patrick Swayze“ – ist in dieser Freitagnacht zu Gast im Soda. Er sei in Prenzlauer Berg aufgewachsen, „ein richtiges Zonenkind“, wohne jetzt in Reinickendorf. Pätrick hat Liebeskummer. Die Dame, die ihm das Herz gebrochen hat, sei seine beste Freundin gewesen. Dann habe es einen Kuss zwischen ihnen gegeben. Sie habe daraufhin ihren Mann verlassen. Doch die Kinder hätten gelitten. Sie kehrte zurück zum Gatten. Nun sei Pätrick hier – auch zum Flirten. „Ich kann ja Liebe und Sex trennen“, sagt der 41-Jährige. Ganz seine Zielgruppe seien die jungen Frauen jedoch nicht.

Amelie und Marcella sind aus Brandenburg angereist. Sie seien nicht wegen der freien Getränke hier, behaupten auch sie, sondern wegen dem Techno-Floor. Doch gratis Drinks seien prinzipiell nicht schlecht. „Das ladet einen mehr ein“, sagt Amelie. An anderen Wochenenden trifft man die 19-Jährigen im Club Weißer Hase. Die Männer hier im Soda seien nicht so das Wahre, sagt die blonde Marcella. Ihre kaugummikauende Freundin mit den geschwollenen Lippen wird noch deutlicher: „Typen? Lass mich bloß in Ruhe!“

All das geschieht im angesagten, grünen Prenzlauer Berg, von dem ich immer glaubte, dass sich hier fast nur Feministen aufhalten. Das Soda ist Teil der Kulturbrauerei. Nebenan findet an diesem Abend die legendäre Singleparty „Fisch sucht Fahrrad“ statt. Ein paar hundert Meter weiter befindet sich Osmans Töchter, ein von Frauen geführtes Restaurant mit moderner türkischer Küche. Ebenfalls nicht weit entfernt: eine glutenfreie Bio-Bäckerei, die coole Wohnzimmerbar und der Helmholtzplatz mit einem Café für Familien mit Kindern.

Wie das A7 in Kassel

An diesem Abend bei der „Ladies Night“ im Soda Club frage ich mich wie so oft, ob wir Journalisten nicht für eine Bubble schreiben. Blondschopf und die anderen Männer wirken so proletenhaft wie die Typen aus der Großraumdisse A7 in Kassel, die ich schon als Jugendliche gemieden habe. Weil ich ahnte, was mich dort erwartete. Ich glaube nicht, dass die Männer dort und die Männer hier auf der „Ladies Night“ die Metoo-Debatte um Rammstein verfolgen.

Ähnlich nachdenklich hat mich eine weitere Begegnung gemacht, die ich an diesem Abend im Soda habe. Ich sehe diesen ziemlich gutaussehenden Typen alleine auf einer Bierbank sitzen. Er hat Airpods im Ohr. Völlig unklar, warum er Kopfhörer auf einer Party trägt.

Als ich ihn anspreche, nimmt er einen Stöpsel raus. Noch während ich mich als Journalistin vorstelle, greift seine Hand meine Hüfte. Harry, so stellt sich der junge Mann vor, ist 38 Jahre alt und touchy. Die Hände des gebürtigen Münchners, der vor fünf Jahren nach Salzburg ausgewandert ist, klettern meinen Oberschenkel entlang, berühren meine Hände und wandern auf meinen Rücken, während er mir von den Bergen erzählt, wo er sonst immer klettern geht.

Irgendwann kann ich seine Berührungen nicht mehr weglächeln, stehe auf und gehe. Zum Abschied ruft er mir noch zu: „Bist ne Süße!“