An der Theke nach „Luisa“ fragen, um dem Barpersonal heimlich zu signalisieren, dass eine Situation brenzlich wird. Vor dem Nachhauseweg den Live-Standort mit einem Freund oder einer Freundin teilen. In dunklen Straßen und Parks das Angebot des „Heimwegtelefons“ wahrnehmen. Den Schlüsselbund in der geballten Faust zum Schlag bereithalten.
Es gibt zahlreiche Tipps, die sich an Frauen richten. Sie sollen dabei helfen, Übergriffen und Belästigungen aus dem Weg zu gehen – oder sich im Fall der Fälle verteidigen zu können. Immer wieder stehen diese Hinweise und Verhaltensregeln in der Kritik. Vor allem, weil sie suggerieren, dass ein Fehlverhalten aufseiten der Frauen zu suchen sei.
Die falsche Uhrzeit, um nachts unterwegs zu sein, die falsche Kleidung, um allein nach Hause zu gehen: Es sind die gleichen Vorwürfe, die sich Opfer sexualisierter Gewalt nach einem Übergriff oftmals gefallen lassen müssen – in den Kommentarspalten der sozialen Medien, im Kreise von Familie und Freunden, manchmal selbst in der Polizeistation –, die sich letztlich auch in den gut gemeinten Tipps niederschlagen: Als liege das Problem bei den Frauen, die sich falsch verhalten, falsch bewegen, falsch anziehen – und nicht bei den Männern, die gucken, glotzen, zugreifen.
Berlinerinnen haben ihre Tipps noch nicht auf TikTok geteilt
Allerdings: Die eingangs beschriebenen Ratschläge vermitteln vielen Frauen ein Gefühl der Sicherheit – auch wenn es eine absolute Sicherheit trotz Schlüsselbund und Live-Standort nicht geben kann. So ist es auch mit dem „Subway Shirt“, dem „U-Bahn-Shirt“ also, das derzeit auf TikTok die Runde macht: Zahlreiche Frauen dokumentieren in dem sozialen Medium ihre tägliche Routine, die das Anlegen einer Art Schutzkleidung einschließt.
@20minuten Trägst auch du ein «Subway Shirt»? #20min #subwayshirt #summer #trend ♬ Originalton - 20 Minuten
In den Videos, die zum größten Teil aus New York stammen, zeigen Frauen ihre Outfits. Kurze Hosen, Trägertops – nichts Besonderes. Trotzdem greifen die Frauen in ihren Clips noch zu einem übergroßen T-Shirt, das sie sich für die Bahnfahrt überwerfen: Das „Subway Shirt“ soll sie vor Übergriffen schützen, vor dem Anglotzen, Anquatschen, dem „versehentlichen“ Berühren, die in öffentlichen Verkehrsmitteln an der Tagesordnung sind – auch in Berlin.
Für Berlin ist der Begriff des „Subway Shirts“ noch neu
Darüber, ob ähnliche Verhüllungsaktionen wie das „Subway Shirt“ auch von Berlinerinnen praktiziert werden, kann nur gemutmaßt werden. Auf TikTok finden sich aktuell noch keine vergleichbaren Videos aus Deutschland; in Medienberichten zu dem New Yorker Phänomen, zum Beispiel von dem Modemagazin Glamour, heißt es lediglich, Frauen würden auch „im aufgeklärten Berlin (…) in der U-Bahn angeglotzt und angemacht“, wenn sie vermeintlich „zu leicht bekleidet“ unterwegs seien.
Die Vermutung, dass sich auch hier Frauen genauer überlegen, was sie wohin anziehen, um unangenehme Situationen vermeiden zu können, liegt allerdings nahe – auch wenn sie dafür (noch) nicht den Begriff „Subway Shirt“ verwenden und ihre Erfahrungen online teilen. Auch eine Umfrage, die die Berliner Zeitung via Instagram durchgeführt hat, legt das Nahe: Von mehr als 1500 Teilnehmerinnen (und Teilnehmern) geben 44 Prozent an, sich aus Angst vor Belästigung im Öffentlichen Nahverkehr auf eine bestimmte Art zu kleiden; auf die beiden Antwortmöglichkeiten „Nein, alles gut“ und „Noch nicht“ entfallen jeweils 28 Prozent.

Ähnliche Verhaltenstipps, die dezidiert das Erscheinungsbild betreffen, hatte es auch vor dem „Subway Shirt“ bereits gegeben: Unter dem Hashtag #UnapproachableMakeup, also etwa „unnahbares Make-up“ finden sich auf sozialen Medien Schminktipps für eine Aufmachung, die Männer von ungewollten Annäherungsversuchen abhalten soll; in Japan wurden zwischenzeitlich Strumpfhosen mit Kunsthaarbesatz verkauft, die den Anschein vermitteln sollen, ihre Trägerin hätte extrem behaarte Beine.


