Stilkritik

Karl Lauterbach in der Stilkritik: Wie aus Daniel Düsentrieb ein Christian Lindner wurde

Fransenschnitt und Fliege? Lieber präsentiert unser Gesundheitsminister heute gut geschnittenes Haar und gut geschnittene Anzüge. Aber ist das wirklich besser?

Vorher–nachher: im Februar 2019 noch als fahriger Wissenschaftler, ein halbes Jahr später schon ganz der strategische Staatsmann
Vorher–nachher: im Februar 2019 noch als fahriger Wissenschaftler, ein halbes Jahr später schon ganz der strategische Staatsmannimago images

Es hatte alles so schön angefangen, damals, 2021, mitten in der Corona-Pandemie: Karl Lauterbach (zu diesem Zeitpunkt ohnehin zur ewig mahnenden Pandemie-Sirene in sämtlichen deutschen Talkshows avanciert) wurde ins Kabinett Scholz berufen. Eine Wahl, an die viele Hoffnungen geknüpft waren: Ein echter Mediziner im Gesundheitsministerium, ein renommierter noch dazu, das kann ja nur was werden!

Zwei Jahre später allerdings zeigen sich längst nicht nur crazy Corona-Schwurbler wenig begeistert von Lauterbachs Gesundheitspolitik. Aktuell gehen auch Medizinerinnen und Mediziner auf die Barrikaden, ausgerechnet, Lauterbachs Kolleginnen und Kollegen sozusagen.

Nachdem in den Apotheken gestreikt wurde, folgten am Montag (2. Oktober) viele Praxen; es geht um Geld und Gehälter, auch um sogenannte Community Health Nurses, die laut eines FAZ-Artikels von Dirk Heinrich den netten Hausarzt um die Ecke ersetzen sollen. Lauterbach wolle niedergelassene Fachärzte „systematisch aushungern“ und das Gesundheitswesen „faktisch verstaatlichen“, schreibt der Bundesvorsitzende des Virchowverbundes sogar.

Schön war die Zeit: Karl Lauterbach im Jahr 2004, mit altmodischem Querbinder und modernster Technik.
Schön war die Zeit: Karl Lauterbach im Jahr 2004, mit altmodischem Querbinder und modernster Technik.imago images

Karl Lauterbach ist von einer Gallionsfigur der guten Gesundheit zum strategischen Staatsmann avanciert. Eine Entwicklung, die interessanterweise auch seine Garderobe unterstreicht. Die ulkige Fliege – früher ein Erkennungsmerkmal des Politikers – ist von seinem Hals gewichen, hat Platz gemacht fürs große Nichts: Statt des Querbinders trägt Lauterbach heute einen offenen Hemdkragen. Statt faltenreicher Anzugjacken in verwaschenem Schwarz gut geschnittene Jacketts in seriösem Dunkelblau. Und statt dem wirren Fransenpony einen feschen Fassonschnitt.

Legt als Nächste auch Claudia Roth ihren Biologielehrerinnen-Look ab?

Wer auch immer für das neue Styling Lauterbachs verantwortlich zeichnete (und dass ihn eine Stylistin oder ein Stylist 2021 ins neue Amt begleitet hat, dürfte außer Frage stehen), hat seine Sache formell gut gemacht. Aus dem fahrigen Wissenschaftler ist ein adretter Politiker geworden – der frühere Daniel Düsentrieb ist nun ein Christian Lindner. Aber: Wollen wir das?

Er kann es noch: Für eine ZDF-Talkshow packt Lauterbach 2020 noch mal die Fliege aus.
Er kann es noch: Für eine ZDF-Talkshow packt Lauterbach 2020 noch mal die Fliege aus.imago images

Es ist zwar schön, dass die Macht der Mode, ihr kommunikativer Charakter auch in Deutschland endlich erkannt wird; dass Politikerinnen und Politiker etwaige Kompetenzen nun mit ihrer Garderobe unterstreichen wollen und schlichtweg besser aussehen. Jede Individualität sollte dadurch aber nicht verloren gehen – ein seltsamer Stil ist immer noch besser als eine ungelenke Uniform.

Wo kämen wir denn hin, wenn eine Claudia Roth ihren Biologielehrerinnen-Look plötzlich gegen einen Power Suit im Stile einer Bankvorständin eintauschen würde? Oder sich ein Markus Söder nie mehr im lustigen Janker fotografieren ließe? Genau: zur Gleichschaltung, die Politikverdrossene ohnehin prognostizieren – auch wenn’s in diesem Fall nur um die Garderobe geht.

Von Karl Lauterbach wünschen wir uns jedenfalls Fransenhaar und Fliege zurück. Und: dass er vor lauter Staatstragik nicht den netten Hausarzt um die Ecke vergisst.