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Wie ich in Vorpommern 263 Bäume pflanzte, um den Klimawandel zu bremsen

Der deutsche Wald leidet, der Klimawandel setzt ihm zusätzlich zu. Was bringt es, neue Bäume zu pflanzen? Ein Selbstversuch in Mecklenburg-Vorpommern.

Teilnehmer und Förderer der Baumpflanz-Initiative heiermann4future pflanzen unter anderem Bergahorn. 
Teilnehmer und Förderer der Baumpflanz-Initiative heiermann4future pflanzen unter anderem Bergahorn. Matthias Bein/dpa

Ich stelle den Pflanzsack mit den jungen Erlen ab, schiebe Moos und Nadeln beiseite und ramme den Spaten in den Boden. Mit beiden Füßen steige ich auf die halbmondförmige Schaufel. Ich spalte Wurzeln und komme mir vor wie Rumpelstilzchen. Es ist 7.25 Uhr, die Sonne linst durch die Bäume, und wenn ich atme, bilden sich weiße Wolken. Trotz Wollsocken erstarren meine Zehen in den Gummistiefeln.

Ich drücke den Spaten nach vorn, der Boden hebt sich, splittert und reißt. Ich hebe die Erde, feucht und dunkel liegt sie in der Schaufel, garniert mit Holzstücken, dick wie Unterarme. In einer Handvoll Erde leben mehr Mikroorganismen als Menschen auf der Erde. Ich greife nach der Erle, hänge sie ins Loch bis zu der grünlichen Stelle, die Stamm von Wurzelwerk trennt. Erde rauf, festtreten. Zwei Schritte nach vorn, das nächste Loch, der nächste Baum.

So stiefle ich durchs Unterholz, über Äste, Totholz, Baumstümpfe. Unter mir knackt, kracht und birst es. Wälle aus Restholz schlängeln sich über die Kahlfläche. Rot-weiße Stangen markieren die Linie, auf der ich pflanze.

263 Bäume werde ich heute pflanzen. Für sie beginnt ein neues Leben. Und ich? Habe endlich das Gefühl, etwas zu tun. Gegen den Klimawandel. Und gegen meine Ohnmacht.

Klimakrise: Mir reicht es nicht, darüber zu schreiben

Bäume pflanzen ist Handarbeit auf unberäumten Flächen wie dieser. Forstrevier Buchenhorst, Vorpommerscher Landesforst. 3000 Bäume sollen hier, rund elf Kilometer östlich von Ribnitz-Damgarten, auf dem einen Hektar großen Waldstück in die Erde. Die Eschen, die zuvor hier standen, wurden von einem Pilz dahingerafft: Eschentriebsterben.

Es gibt Vermutungen, dass sich der aus Asien stammende Pilz aufgrund gestiegener Temperaturen auch hierzulande durchsetzen konnte. Ich fühle mich hilflos angesichts einer schier übermächtigen Gegnerin. Die Klimakrise verändert alles und ist doch nicht greifbar. Es ist ein Prozess, so geräuschlos, dass oft erst spät auffällt, wo er bereits eingedrungen ist. Wie eine Horde Borkenkäfer, die einen schwachen Baum erst anbohren und anschließend von innen auffressen.

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Als Journalistin beschreibe ich, wo die Krise sichtbar ist. Aber reicht das? Einerseits möchte ich mehr tun. Andererseits begleitet mich dabei ein ungutes Gefühl. Was kann ich allein schon ausrichten? Wenn Ölkonzerne wie Shell oder Gazprom ihre Arbeit einstellen würden, das wäre das eine. Ich bin nur ein einzelner Mensch.

Aber was passiert, wenn nichts passiert? Seit den 1970er-Jahren weisen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Folgen der Erderwärmung hin, Hunderttausende protestieren mit Fridays for Future, kleben sich auf die Straße mit der Letzten Generation. Ich kann Flüge mit Geld kompensieren und beim Kauf von Bier Bäume für den Regenwald spenden. Nur politisch, gesellschaftlich geht alles sehr langsam.

Auszubildende der Berliner Forsten pflanzen bei Minustemperaturen Vogelkirschen im Tegeler Wald.
Auszubildende der Berliner Forsten pflanzen bei Minustemperaturen Vogelkirschen im Tegeler Wald.Jörg Carstensen/dpa

Helfen individuelle Taten in der Krise? Es ist die Hoffnung, die mich in den Wald treibt. Zur Vorbereitung berechne ich meinen ökologischen Fußabdruck. Auf der Website des Umweltbundesamtes tippe ich die Daten ein: Wohnungsgröße, Alter und Zustand des Hauses, Heizung, Strom, Flüge, Ernährung, Einkommen.

Ich wohne in einem Fachwerkhaus, meine Miniwohnung kommt auf nicht einmal 20 Quadratmeter. Mein Stromanbieter heißt Fair, liefert aber den gewöhnlichen Strommix. Ich esse kaum Fleisch, nur alle paar Wochen beiße ich in eine Stadionbratwurst. Im vergangenen Jahr kam ich auf zehn Flugstunden, ansonsten fahre ich Bahn und Fahrrad. Meine Sneaker habe ich schon 20 Mal geflickt, mein Besitz passt – gestapelt und in Kartons gepackt – auf vier Quadratmeter. Das weiß ich, weil ich ihn für einen Umzug minimiert und in einem Lagerraum einquartiert habe.

Enter. Der CO₂-Rechner spuckt das Ergebnis aus: 7,95 Tonnen Kohlendioxid und andere, klimarelevante Gase wie Methan und Lachgas verursache ich jedes Jahr. Weniger als der deutsche Durchschnitt, immerhin. Der liegt bei 10,78 Tonnen pro Jahr.

Bäumen können CO₂ aus der Luft fischen

Weil Emissionen vielschichtig wirken, arbeiten CO₂-Rechner mit Durchschnittswerten. Gebäude und Flüge fassen sie in Klassen und Stunden zusammen, dabei variiert der CO₂-Ausstoß eines Fluges je nach Flugzeug- und Triebwerkstyp. Je differenzierter ein CO₂-Rechner, desto besser. Nur so macht sich der Unterschied bemerkbar, ob man Milch vom Biohof oder aus intensiver Landwirtschaft kauft. Dem Klima bringt am meisten, was erst gar nicht ausgestoßen wird.

Bäume können das CO₂ aus der Luft fischen, es binden, per Photosynthese in Sauerstoff umwandeln. Außerdem sind Bäume Wasserspeicher, Erosionsschützer, eine natürliche Klimaanlage. Elf Millionen Hektar Wald gibt es in Deutschland, etwa ein Drittel der Landesfläche. Laut Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung sind dort rund eine Milliarde Tonnen Kohlenstoff gebunden.

Aber: Der Wald leidet, unter Stürmen, Trockenheit, Insekten. Vier von fünf Bäumen sind krank, ergab der letzte Waldzustandsbericht, wieder mal. Von Januar 2018 bis April 2021 gingen in Deutschland über 500.000 Hektar Wald verloren, schätzt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt aufgrund von Satellitendaten. Das entspricht fast fünf Prozent der Waldfläche. Und allein im Sommer 2022 verbrannten 4200 Hektar.

Apropos Brennen: 1120 Mal brennt der Wald pro Jahr in Deutschland im Schnitt. Am häufigsten in Brandenburg – etwa jedes dritte Feuer entsteht hier. Wenn der Wald schneller stirbt, als er wachsen kann, pflanze ich dem Problem nur hinterher?

Schon länger fordern Wissenschaftlerinnen und Förster, dass sich grundlegend etwas ändern müsse. Mehr Laubbäume, mehr Totholz, klimaresilient und im besten Fall feuersicher. Wald sei zu einer Ware geworden, sagen die einen, die Natur zum bloßen Dienstleister.

Andere pochen auf den „Wirtschaftswald“, meist Monokultur, Kiefern in Reihen. Pflanzen, pflegen, ernten, und das möglichst so, wie die Industrie es braucht. Förster, Besitzer und Forscher, sie zerren am Wald wie Eltern an einem Scheidungskind.

Eine Lösung wäre, die Leistung des Waldes zu bemessen – Bewahrung der Artenvielfalt, Kühlung, Wasserreinigung, Kohlenstoffspeicher – und dafür als Gesellschaft die zu bezahlen, die sich darum kümmern. Bisher zahlt sich nur der Festmeter eines abgeholzten Baumes aus.

Teilnehmer und Förderer der Pflanz-Initiative heiermann4future tragen Roterlen zum Pflanzort.
Teilnehmer und Förderer der Pflanz-Initiative heiermann4future tragen Roterlen zum Pflanzort.Matthias Bein/dpa

Wie viele Bäume braucht es, um meine 7,95 Tonnen Co₂ zu binden?

Manchmal ist im Wald weniger mehr, meint auch Friedrich Bohn, der am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung zum Wald in der Klimakrise forscht. Wir Menschen brauchen den Wald. Abhängig von Alter, Baumart und Standort nehmen Wälder unterschiedlich viel CO₂ auf. Eine Buche mehr als eine Fichte, Bäume in den Tropen mehr als Bäume in mitteleuropäischen Breiten, naturnahe Wälder mehr als Monokulturen.

Die vereinfachte Faustformel lautet: Jeder Baum bindet zehn Kilogramm Kohlenstoffdioxid pro Jahr. Sein Leben lang. Das bedeutet: Um meine 7,95 Tonnen CO₂ zu binden, sind 795 Bäume nötig.

Um 8.15 Uhr sind fünf Roterlen in der Erde. Ich schnaufe, werfe meine Mütze beiseite und begutachte meine Bäumchen. Ein Bussard segelt davon, ein Hase springt über den Waldweg. Doch die Waldromantik mag nicht so recht zur harten Arbeit passen. Ich bücke mich zum nächsten Pflanzloch, der Rücken meckert. Das Loch muss tief sein, die Wurzeln gerade hängen. Nicht gedreht, nicht geballt. Ich schippe Erde auf die Wurzeln, trete sie fest.

Zwei Schritte weiter hängt der Wurzelteller einer Kiefer halb in der Luft, der Baum wie der schiefe Turm von Pisa im Wald. Dass er kippt: eine Frage der Zeit. Die letzten Stürme haben die ohnehin schwachen Bäume umgeknickt wie Streichhölzer.

Mir läuft der Schweiß über den Rücken. Ich fühle mich wie eine echte Waldarbeiterin, als ich mittags mit dreckigen Fingernägeln und Stulle in der Hand über den Wald sinniere. Wie friedlich es hier draußen ist. Zwei Graureiher segeln über die Bäume, ein Seeadler flattert aufgeregt davon. Für einen kurzen Moment frage ich mich, warum ich mir das antue. Warum ich nicht einfach Geld zahle, um meine Emissionen zu kompensieren. Die Auswahl an Projekten ist riesig, schwarze Schafe inklusive. Fürs Erste bleibe ich beim Selberpflanzen.

Pflanzen ist schwer, tut weh, ist wie ein Rausch, es macht den Kopf frei, verbindet mit der Natur, es erdet, macht wahnsinnig froh und glücklich. So formuliert es Dirk Vegelahn, der mir das Pflanzen beibringt. Vegelahn ist Forstingenieur und Umweltpädagoge, 53 Jahre alt. Er pflanzt aus Überzeugung. Mehr als eine halbe Million Bäume hat er in seinem Leben schon in die Erde gebracht. „Wenn jeder 1000 Bäume pflanzen würde, wäre schon viel gewonnen“, sagt er.

Friedrich Bohn schränkt ein: Die Bäume seien nur zählbar, wenn neuer Wald gepflanzt wird – nicht dort, wo Bäume erst geerntet und dann wieder aufgeforstet werden. Außerdem sei der Kreislauf wichtig. Landet ein Baum nach 60 Jahren im Wald für 20 Jahre als billiges Möbelstück in unserem Wohnzimmer und dann auf der Müllhalde, ist der Kohlenstoff nach 80 Jahren wieder in der Atmosphäre. Nachhaltig ist das nicht.

Bäume pflanzen fürs Klima. Es ist eine vermeintlich einfache Lösung für ein komplexes Problem. Dabei produzieren wir immer noch viel zu viel Kohlendioxid, Menschen, Unternehmen, Staaten. „Würde die gesamte Weltbevölkerung so vorbildlich leben wie du, bräuchten wir nur 2,1 Planeten“, schreibt mir der WWF, bei dem ich meinen ökologischen Fußabdruck ebenfalls ausrechnen lasse. Nur zwei Erden.

Meine Hände sind braun, die Hose dreckig, in meinen Stiefeln steht das Wasser. Drei Bündel von je 25 Erlen habe ich mittlerweile eingegraben, meine Pausen werden länger, trotz Handschuhen spüre ich die Schwielen an den Händen. Mein Körper jammert, aber für das Gedankenkarussell ist die Arbeit wie ein Pausenknopf.

Teilnehmer und Förderer der Baumpflanz-Initiative heiermann4future haben unter anderem Bergahorn gepflanzt.
Teilnehmer und Förderer der Baumpflanz-Initiative heiermann4future haben unter anderem Bergahorn gepflanzt.Matthias Bein/dpa

Wenn im Herbst das Laub fällt, beginnt die Pflanzsaison, so lange, wie der Boden nicht friert. Wenn im Frühjahr die Knospen aufplatzen, endet das Pflanzen. Ich springe auf dem Spaten herum, heble mit aller Kraft und dem ganzen Körper. Der Aushub: dicht, dunkel und feucht. Lehm. Ein gutes Heim für eine junge Erle. Sie mag es feucht.

Ein gutes Gefühl, ein grüneres Gewissen

Doch der klebrige Lehm und die relativ großen Erlen rauben Energie. Kleine Bäumchen wären besser, sagt Dirk Vegelahn, aber kleine Bäume waren aus in der Forstbaumschule. Auch das eine Folge der Dürre: Die Bäume sparen sich die Blüte, es gibt weniger Samen.

Was macht das Pflanzen mit mir? Ein gutes Gefühl, ein grüneres Gewissen. Was sonst können meine paar Bäume ausrichten? Und doch: Das Pflanzen hilft, der Ohnmacht etwas entgegenzusetzen. Die Klimakrise beende ich zwar nicht, dafür sind Entscheidungen an ganz anderer Stelle nötig. Aber ich tue etwas.

„Wieder ein Stück Wald gerettet“, sagt Dirk Vegelahn, als wir am Nachmittag die letzten Erlen einbuddeln. Vegelahn will wiederkommen, wie ein Täter zum Tatort, wie er sagt. Gucken, wie es den Bäumen geht, seinen „Babys“. Zwei Tage waren wir im Wald, insgesamt 263 Bäume habe ich gepflanzt. „Und?“, fragt Dirk Vegelahn, „Kommst du nochmal mit?“ Ich denke an meinen Rücken. Und zögere.

Doch die Aufgabe scheint machbar. Ich spüre, wie mein Ehrgeiz geweckt ist. 532 Bäume fehlen noch, dann kompensieren die von mir gepflanzten Bäume, was ich an Kohlendioxid verursache. Und zwar jedes Jahr. Es ist ein Anfang.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.