Wenig macht mich so wütend, wie angelogen zu werden. Die Bundesregierung beschäftigt einen Expertenrat für Klimafragen, und diese Woche sagte dieser Rat: Deutschlands Politik versagt beim Klimaschutz.
Am selben Tag dann stellte sich Olaf Scholz medial inszeniert neben ein Windrad und behauptete einfach das Gegenteil, alles wäre super auf Kurs. Solche Worte haben Gewicht.
Scholz wirkt nicht so, aber er ist einer der mächtigsten Menschen der Welt. Seine Sätze machen Wirklichkeit. Oder zumindest verhindern sie sie nicht. Denn auch das Nichthandeln eines mächtigen Menschen ist ein Handeln, und auf unserem Kurs bedeutet das: Waldbrände, Überschwemmungen und Tote schon heute. In der Zukunft Hunger, Krieg und Krankheiten für große Teile der Weltbevölkerung, auch für uns. Scholz produziert die Klimakrise.
Mit der Letzten Generation versuche ich, mich dem entgegenzustemmen und der Spiegel schrieb in seiner Titelstory kürzlich, dass wir mit dem Rücken zur Wand stünden. Das klingt nach Aussichtslosigkeit, nach Hoffnungslosigkeit. Doch so nehme ich uns nicht wahr. Jeden Tag Gewalt von Autofahrern riskieren, Geld- und Haftstrafen; wir würden das nicht tun, wenn wir nicht daran glauben würden, dass wir Erfolg haben werden, dass die Zukunft offen ist, denn das ist sie.
Ja, die Prognosen sind sehr klar. Wenn unsere Lebensgrundlagen weiter für Profit zerstört werden, kippt das Klima: keine sicheren Küsten mehr, keine lebendigen Ozeane, keine Landwirtschaft. Aber das sind Prognosen. Was die Spiegel-Autoren da über uns schreiben, sagt mehr über sie, als über uns aus.
Gesellschaften sind komplexe Systeme, keine Maschinen, mit simpler Mechanik. Eine Aktion, die heute ungesehen bleibt, kann morgen ein Beben auslösen. Ein Beispiel? Die Sowjetunion galt als stabil, beinahe als ewig. Sie verschwand beinahe über Nacht. Mittlerweile wissen wir: Sie war von innen ausgehöhlt. Und der Kapitalismus?

Unser Finanzsystem ist instabil, die Lieferketten brüchig und mehr als die Hälfte der Deutschen sagen, dass unsere Art zu wirtschaften mehr schadet als nützt. Gerade mal ein Viertel glaubt, dass sie eine positive ökonomische Zukunft haben. Alles immer höher, schneller, weiter, bis plötzlich der Absturz kommt, und der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Wandel nicht nur in solchen Momenten möglich ist. Unser kollektives Gedächtnis ist gut darin, die Katastrophen lebendig zu halten – aber was ist mit den Erfolgen?
Vor hundert Jahren hätte es als verrückt gegolten, zu sagen: Europa wird mal im Frieden vereint sein. Eine Frau kann Kanzlerin werden. Eine Schwarze Frau wird Landesministerin sein. Schwule und Lesben dürfen heiraten. Es gibt einen allgemeinen Mindestlohn und eine 40-Stunden-Woche. Der Schutz der Umwelt steht im Grundgesetz. Es gibt eine kostenlose Gesundheitsversorgung. Kinderarbeit ist verboten. Die Würde des Menschen ist unantastbar. All das gilt heute als selbstverständlich. All das wurde erkämpft.
„Wenn es einen Schluss gibt, den wir daraus ziehen können, wo wir mal waren und wo wir jetzt sind, dann ist es der, dass das Unvorstellbare das Normale ist“, hatte die Autorin Rebecca Solnit mal geschrieben. Unsere Zeit ist voller Bewegung: für besseres Klima, für mehr Feminismus, für wirkliche Gleichstellung. Carola Rackete, Greta Thunberg, Lakshmi Thevasagayam – für Inspiration muss ich nicht lange suchen.
Eine Welt, in der CEOs dafür angeklagt werden, dass sie unser Klima für Profit zerstören.
Eine Welt, in der unsere Wirtschaft nicht Profite für wenige, sondern Wohlstand für alle produziert.
Eine Welt, in der Wälder keine Holzfarmen sind, sondern Mitbewohner.
Eine Welt, in der wir stolz darauf sein können, wer wir sind, statt die Scham zu verspüren, aus Versehen alles kaputtzumachen.
Eine Welt, in der wir nicht ängstlich in die Zukunft gehen, sondern hoffnungsvoll. Ich habe die Hoffnung, dass so eine Welt für uns möglich ist – solange es Menschen gibt, die dafür kämpfen.





