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Klüngel beim ÖRR: Ehemalige Steinmeier-Sprecherin wird ARD-Führungsfigur

Anna Engelke, Ex-Sprecherin des Bundespräsidenten, wird in Kürze Teil des Leitungsteams des ARD-Hauptstadtstudios. ÖRR-Mitarbeiter kritisieren: Der Klüngel hat System.

Anna Engelke übernimmt die Leitung der Gemeinschaftsredaktion Radio im ARD-Hauptstadtstudio.
Anna Engelke übernimmt die Leitung der Gemeinschaftsredaktion Radio im ARD-Hauptstadtstudio.Thomas Kier/ARD

Die Verfasser sind Mitarbeiter beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie gehören zu den Unterzeichnern des Manifests für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland. Ihre Namen sind der Redaktion bekannt.


Zum dreiköpfigen Leitungsteam des ARD-Hauptstadtstudios gehört vom 1. Juli an Anna Engelke. Eine profilierte Hörfunkjournalistin, die schon seit 1997 lange Jahre über die Bundespolitik berichtet hat, zudem ARD-Korrespondentin in Washington war, die also Reputation erworben und Qualifikation nachgewiesen hat. So gesehen nachvollziehbar. Sie war aber auch fünf Jahre lang, von 2017 bis 2022, Sprecherin von Bundespräsident Steinmeier. In dieser Zeit war sie beim NDR freigestellt. Und nun wird die Sache natürlich schon pikant.

Mit der Vorstellung eines unabhängigen, staatsfernen, regierungskritischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks tut man sich als Betrachter doch sehr schwer, wenn eine prominente Vertreterin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks derart problemlos die Seiten wechseln und dabei zugleich auf der Karriereleiter beständig vorankommen kann. Und es ist wohl auch nicht zwingend zu erwarten, dass die ARD-Führungsfigur Anna Engelke künftig eine knallharte Recherche gegen Frank-Walter Steinmeier oder eine wie auch immer geartete sonstige kritische Berichterstattung über ihn beauftragt, vorantreibt oder gar selbst durchführt.

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Anna Engelke ist kein Einzelfall. Die heutige Intendantin des RBB, Ulrike Demmer, war von 2016 an fünf Jahre lang Regierungssprecherin von Kanzlerin Merkel, und zuvor ebenso Journalistin, unter anderem beim ZDF. Ihre Vorgängerin als Regierungssprecherin war Christiane Wirtz, sie kam als Leiterin der Innenpolitik beim Deutschlandfunk zu Merkel, wurde danach Staatssekretärin im Justizministerium. Ulrich Wilhelm schaffte es sogar vom Regierungssprecher Merkels zum BR-Intendanten und zum ARD-Vorsitzenden.

Überhaupt Merkel: Wilhelms Nachfolger Steffen Seibert kam zu ihr als langjähriger prominenter Kopf des ZDF, unter anderem Moderator des „heute-Journals“. Er hatte und hat, wie die anderen, zu jeder Zeit auch Rückkehrrecht zum öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber. Da er nach dem Ende der Regierungszeit Merkels zum deutschen Botschafter in Israel berufen wurde und sich inzwischen dem 65. Lebensjahr nähert, ist damit wohl nicht mehr zu rechnen.

Die Liste, und das ist der Punkt, ließe sich nun umfangreich weiter ausdehnen. Und das liegt natürlich nicht an Zufällen, sondern am System. Journalistinnen und Journalisten bewegen sich in engmaschigen Netzwerken, in denen Vertrauensverhältnisse und dann auch Freundschaften, mitunter Liebespartnerschaften entstehen, mit Menschen, über die sie eigentlich kritisch berichten sollten. Die Begegnungen beschränken sich nicht auf Recherche und Interviews, sondern man trifft sich ständig bei diversen Anlässen, zum Hintergrund, oder zum Glas Wein, und man stellt irgendwann fest, dass man Teil derselben Community ist und Teil eines Systems, in dem man sich auch gegenseitig am Leben hält.

Verbindungen und Vertrauensverhältnisse

Über Jahre war es zudem verbreiteter Usus, dass Journalistinnen und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für Regierungen und Parteien moderierten oder anderweitig tätig waren, gegen Bezahlung, versteht sich. Zwischen Ende 2017 und 2022 zahlten allein die Bundesregierung und nachgeordnete Bundesbehörden Honorare im Wert von knapp einer Million Euro an Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für Moderationen, Teilnahmen an Podiumsdiskussionen, Erstellung von Videoinhalten oder Kommunikations- und Medientrainings. Inzwischen dämmen ARD und ZDF das mit etwas schärferen Compliance-Regeln ein, die Nebentätigkeiten müssen in der Regel gemeldet und genehmigt werden – aber die Verbindungen und Vertrauensverhältnisse bestehen natürlich trotzdem.

Wer mit schweren Verfehlungen auffliegt, die nicht mehr zu leugnen sind, sei es auf Politiker-Seite oder Journalisten-Seite (wie etwa Ex-RBB-Intendantin Schlesinger), fliegt notgedrungen aus dem System, ansonsten kann man mit dem Klüngel gut auf Karriere-Kurs bleiben. Und in den Netzwerken wird der Job-Wechsel und das Job-Pendeln dann einfach. Und normal. Hin zu staatlichen Stellen und Behörden, aber auch hin zu anderen mächtigen Posten, etwa in der Wirtschaft, und bei Bedarf auch wieder zurück. Das mag man bei Kolleginnen und Kollegen aus dem Nicht-ÖRR-Sektor, etwa von Spiegel oder SZ, vielleicht nur zweifelhaft finden. Auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hingegen wirft das ein grelles Licht des Verlogenheitsverdachts – sofern er von sich auch nur ansatzweise behaupten möchte, die Mächtigen auf ihre möglichen Verfehlungen hin mit aller Hartnäckigkeit und zum Wohl des Volkes und der Beitragszahler kritisch zu beobachten.

Neu ist das nicht, den Klüngel gab es immer. Aber der Klüngel der Vergangenheit, etwa der 60er- bis 90er-Jahre, fußte noch zumindest auf einem Dualismus: Rot und Schwarz, SPD und Union. Als diese beiden politischen Lager noch erkennbar unterschiedlich waren, wurden ja Intendanten- und Chefredakteursposten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sogar nach Parteibuch vergeben und „aufgeteilt“. Was man dann am Ende als Gebührenzahler bei ARD und ZDF bekam, waren zumindest: zwei Meinungen.

Heute hingegen wirken Parteien und öffentlich-rechtlicher Journalismus meistens so, als säßen sie in einem Boot, bei der Beurteilung der Weltlage, außen wie innen, egal, ob man da auf Putin, Trump, AfD, Corona oder Klima fokussiert. Wer da noch anderer Meinung ist, ist bereits mehr oder weniger extrem und somit nicht mehr mit im Boot.

Staatsferne? Ein Witz

Und so gibt es weiterhin auch den „Treffpunkt Politik“ im ZDF-Hauptstadtstudio, der erst kürzlich wieder stattfand: die Big Heads des Senders trinken mit den Big Heads der Hauptstadtpolitik und der Regierung ein Gläschen Sekt oder Wein am Stehtisch, posieren lächelnd für Fotos, verstehen sich gut im Small Talk und auch im tiefergehenden Analyse-Gespräch, und vergewissern sich der gemeinsamen Bedeutung für die Demokratie und somit letztlich auch der gegenseitigen Unterstützung. Staatsferne? Ein Witz. Nicht mehr zeitgemäß im Jahre 2024, angesichts der Diskussionen um die Ausgewogenheit, Vertrauenswürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Denkt man beim ZDF wohl nicht.

So wie man bei der ARD eben auch nicht denkt, Anna Engelkes enge berufliche Zusammenarbeit mit Bundespräsident Steinmeier sei ein Hinderungsgrund, um ein Hauptstadtstudio mit kritischer journalistischer Haltung zu leiten und den „Bericht aus Berlin“ zu moderieren. An der journalistischen Unabhängigkeit der leitenden Personen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk soll bitte kein Zweifel bestehen. Wer’s glaubt, wird selig. Und wer nicht, zahlt trotzdem Rundfunkbeitrag.

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