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Das fehlende Element: Mit Wasserretention gegen die Klima-Katastrophe

Die Forschungsgemeinschaft Tamera in Portugal erprobt, wie die Wiederherstellung der natürlichen Wasserkreisläufe der Klimaerwärmung entgegenwirken kann.

Blick auf Tamera
Blick auf TameraLudwig Schramm/tamera

„Wasser kann den Klimawandel bekämpfen“, schreibt die Unterorganisation der Vereinten Nationen, UN Water, auf ihrer Website. In Deutschland sind die Grundwasserspiegel auf einem Tiefstand. Weltweit verliert die Hälfte der Seen drastisch an Wasser. 2,2 Milliarden Menschen auf der Erde hatten Stand 2021 keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Während Industrie und Landwirtschaft ihrem Profitstreben folgen, Regierungen Klimagespräche führen und Wissenschaftler nach technologischen Lösungen zur Anpassung an die angeblich unvermeidbare Katastrophe suchen, setzen lokale Initiativen an verschiedenen Orten der Welt bereits Schritte um, die der Klimaerwärmung entgegenwirken können.

Wasserretentionslandschaften in Portugal

Eines dieser Projekte ist die Forschungsgemeinschaft Tamera in Südportugal, wo eine von Menschen angelegte Wasserretentionslandschaft – unter anderem Wasserrückhaltebecken wie Seen, temporäre Teiche und Gräben auf Höhenlinien – Regenwasser speichern und es daran hindern, ungenutzt abzufließen.

Heute ist das Gelände eine grüne Oase inmitten der trockenen Region Alentejo. Es zeigt die Wirksamkeit der Methode, aber auch ihre Grenzen, denn der Wasserspiegel in den Seen sinkt seit fünf Jahren wieder.

„Der Klimawandel wird in der Regel auf die steigenden CO2-Emissionen zurückgeführt, doch zerstörte Wasserkreisläufe tragen ebenfalls wesentlich zur Erderwärmung bei“, erklärt Silvano Rizzi, Experte für nachhaltiges Wassermanagement, beim Mittagessen im kühlen Schatten unter einem Baum im heißen Süden Portugals.

Er beschäftigt sich seit 2013 intensiv mit Wasserretentionslandschaften in Spanien, Portugal und generell. Silvano lebt in Tamera und ist dort Teil des Ökologie- und Landschaftsteams, worin er maßgeblich an der Wasserretentionsforschung der Gemeinschaft mitwirkt.

Mit dem Ziel, die Lebensgemeinschaft mit Wasser und selbstangebautem Gemüse zu versorgen, wurde in dem ansonsten durch Überweidung ausgetrockneten Landstrich ein System von miteinander verbundenen Wasserrückhaltebecken geschaffen: kleine und größere Seen und sogenannte Swales – horizontal angelegte kleine Gräben und Dämme, in denen sich das Wasser bei Starkregen sammelt und so dezentral wie möglich verteilt und einsickern kann.

Bei der Umsetzung der Wasserretentionsbecken half ihnen der österreichische Spezialist und Visionär für Permakultur und ökologische Heilung, Sepp Holzer.

Wasserretentionslandschaft in Tamera
Wasserretentionslandschaft in TameraSimon du Vinage/tamera

Bauarbeiten starteten im Jahr 2007

Am Anfang stand die Frage, ob es in einer trockenen Region wie dem Alentejo in Südportugal möglich wäre, 300 Menschen mit Wasser zu versorgen. Holzer sagt: „Immer sind dieselben Fragen, immer sind dieselben Bedenken. Wo soll denn das Wasser herkommen? Wie soll ich denn in so einen staubtrockenen Boden ohne Zufluss, ohne Wasserzulauf, ohne Bach, einen See bauen oder schaffen? Die Menschen haben es einfach verlernt, den Segen von oben, also den Regen, zu nutzen.“

2007 begannen die Bauarbeiten. Alle Eingriffe in die Natur erfolgten ausschließlich mit den vor Ort vorhandenen Baumaterialien. Es wurde kein Beton, Stahl oder Kunststofffolie verwendet. Dieses Grundprinzip, alle wasserführenden Bereiche nicht gegen das Erdreich abzudichten, lässt das Niederschlagswasser in den Erdkörper eindringen, wodurch der Grundwasserspiegel angehoben wird. Bereits 2009 waren der große „See 1“ und die Teiche voll.

Die Wasserretentionsräume haben geschwungene Ufer, verschiedene Tiefenzonen, diverse Ufer- und Wasserpflanzen und sind längs zur Hauptwindrichtung angelegt. Dadurch bleibt das Wasser stets in Bewegung, reichert sich mit Sauerstoff an und reinigt sich selbst. Außerdem wurden Tausende Bäume und andere einheimische Gewächse gepflanzt.

„Wo sich wieder Vegetation entfalten kann, wird CO2 organisch gebunden. Dann gibt es weder Fluten noch Wüstenbildung, weder Klimakatastrophe noch Hunger, sondern Artenvielfalt, stabile Ökosysteme und eine Fülle von Wasser, Nahrung und Energie“, führt Silvano aus.

Dennoch sieht die Lage 2023 kritisch aus. Auch wenn auf dem 140 Hektar großen Gelände Tausende angepflanzte Obstbäume, aufgeforstete Mischwaldstücke, Blumensträucher und Gemüsepflanzen gedeihen, ist der „See 1“ nur noch halb voll. Jedes Jahr wird er leerer. „Das liegt daran, dass seit etwa fünf Jahren immer weniger Niederschlag fällt“, sagt Silvano.

Gesamte Region bräuchte Wasserretentionslandschaften

In der Region wird intensive Landwirtschaft, zum Beispiel Eukalyptus-Monokulturen und Beeren-Anbau, betrieben, die Grundwasser aus großen Tiefen nutzt, wodurch der Grundwasserspiegel in der gesamten Region noch stärker sinkt.

Trotz der niederschlagsarmen Winter ist Tamera dank ihrer Retentionslandschaft resilient, so der Wasserexperte. „Um das Klima zu beeinflussen, wie es einem Partnerprojekt der Gemeinschaft in Indien gelang, müssten in der gesamten Region Wasserretentionslandschaften erschaffen werden und die Landwirtschaft in der gesamten Region auf Diversität und Nachhaltigkeit statt auf Profit und Monokulturen setzen“, führt Silvano aus. Das besagte Projekt in Indien heißt Tarun Bharat Sangh und zeigt in der Tat, wie wirksam die Methode der Wasserretentionsräume ist, wenn sie sich auf eine ganze Region ausweitet.

Rajendra Singh aus Rajasthan wird auch als „Wasser-Gandhi“ bezeichnet. 1985 begann er Gebiete nahe der Wüste Thar wieder zu begrünen und trug erfolgreich dazu bei, etwa 8600 Quadratkilometer trockenster Böden komplett zu regenerieren.

Singh mobilisierte die Dorfgemeinschaften, um mit traditionellen Methoden Tausende Wasserretentionsräume, sogenannte Johads, zu bauen. Der geringe Niederschlag, der in solchen Regionen oft innerhalb kürzester Zeit als Sturzregen über die Erde bricht, wurde so aufgefangen und genügte, um die durch Misswirtschaft zerstörte Natur zu regenerieren.

Mädchen vom Stamm der Meena bringen ihr Vieh zum Regenwasserspeicher (Johad) des Dorfes Mandalwas.
Mädchen vom Stamm der Meena bringen ihr Vieh zum Regenwasserspeicher (Johad) des Dorfes Mandalwas.Siddhartha Kumar/dpa

Seine Initiative gab mindestens 1200 Dörfern wieder eine Lebensgrundlage. Die ganze Region kann heute hunderttausend Menschen wasser- und lebensmittelautark versorgen. 13 vollkommen ausgetrocknete Flüsse wurden wieder ganzjährig zum Fließen gebracht. Um diese Gewässer vor erneuter Ausbeutung durch Regierung und Konzerne zu schützen, gründeten die Dorfbewohner „Wasserparlamente“ und behielten damit das Wasser in ihrer Hand.

Singhs Initiative bestätigt die Beobachtungen von immer mehr Experten: Dadurch, dass weiträumig in einer ganzen Region das Regenwasser wieder in den Erdkörper einsickern und dieser sich dadurch mit Vegetation bedecken konnte, veränderten sich die Wettermuster grundsätzlich. Die Niederschläge kamen zurück und vermehrten sich.

Heute sind sie wieder so ausgewogen wie in früheren Zeiten. 2015 erhielt Rajendra Singh für seine Arbeit den renommierten Stockholmer Wasserpreis, der auch der „Nobelpreis für Wasser“ genannt wird.

Ein Konzept für Europa?

Die Frage ist, ob überall und insbesondere in Europa umgesetzt werden kann, was in Rajasthan funktioniert. Und wie viele Retentionsräume notwendig sind, um auch hier die Wasserkreisläufe wiederherzustellen. „Das Wissen dafür liegt vor. Es kommt auf ein neues Bewusstsein dafür an, dass kein Regenwasser oberflächlich abfließen darf“, sagt Silvano.

Seine Mitstreiter Martin Winiecki und Christa Dregger schrieben schon 2015 in einem Artikel: „Wir können nicht mehr auf Regierungen warten, um den Klimawandel zu lösen. Während Konferenz um Konferenz ohne Lösung vergeht und die Wetterkatastrophen immer schlimmer und tödlicher werden, liegen konkrete Lösungen vor. (…) Mögen sich überall auf der Welt neue Gruppen und Gemeinschaften von Menschen zusammenschließen, um gemeinsam ihre und unsere Lebensgrundlage zu sichern: gesundes Wasser und eine gesunde Natur.“

Ist es wirklich so einfach? Können einzelne Privatpersonen und Gemeinschaften die Sache selbst in die Hand nehmen und auch mit kleinen Retentionsräumen Einfluss nehmen? Silvano sagt: „Ja, auf verschiedenste Arten und Weisen.“

Er glaubt nicht, dass wir uns abschrecken lassen sollten von der uns eingeflößten Unmöglichkeit, den Klimawandel aufzuhalten. „Jeder kann dort ansetzen, wo er lebt und konsumiert. Zum Beispiel kann man Regenwasser, das vom Dach über die Rinnen abläuft, auf Böden leiten, wo es einsickern kann. ‚Schwammstädte‘ sind ein offizielles Beispiel, das auch durch die EU gefördert wird. Jeder, der einen Garten oder Land hat, kann dafür sorgen, dass kein Regenwasser das eigene Land verlässt und von oben nach unten so dezentral wie möglich in den Boden einsickert“, erklärt er.

Rajendra Singh (l.) erhält 2015 den Stockholmer Wasserpreis.
Rajendra Singh (l.) erhält 2015 den Stockholmer Wasserpreis.Jonas Borg/dpa

Rajendra Singh sagt: „Heute haben wir überall auf der Welt ein zentralisiertes Wassermanagement, und Wasser ist eine Ware geworden. Das verursacht Ungerechtigkeiten und Spannungen. Es gibt sehr viele Menschen, die kaum noch Wasser, und wenige, die viel haben. Das neue Paradigma ist ein dezentrales Wassermanagement in den Händen von Gemeinden und Gemeinschaften.“

Die von ihm beschriebenen Spannungen werden heute bereits in Europa spürbar, wie in Frankreich, wo sogenannte Megabecken für die industrielle Landwirtschaft eine große Protestwelle auslösten, auf die der Staat zum Teil mit Polizeigewalt antwortete.

Laut dem Umweltbundesamt ist auch in Deutschland der Grundwasserstand in vielen Regionen deutlich gesunken und die „Wasserverfügbarkeit für alle und jeden Zweck ist keine Selbstverständlichkeit mehr“, auch wenn die Bevölkerung aufgrund eines regenreichen Sommers einen anderen Eindruck haben mag.

Wasserretention scheint laut den Erfahrungen in Portugal und Indien eine effektive Lösung zu sein. Rajendra Singh glaubt „an lokale Aktionen, wenn sie von einer globalen Strategie begleitet sind“. Silvano berät und betreut Wasserretentionsprojekte an verschiedenen Orten und gibt den Medien Interviews, um in der Bevölkerung das nötige Bewusstsein für das Problem der zerstörten Wasserkreisläufe und vor allem die Möglichkeit ihrer Regeneration zu schaffen.

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