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Kinderlos aus Protest: Wie die 4B-Bewegung Südkoreas Geburtenproblem verstärkt

Immer mehr Südkoreanerinnen begehren gegen das patriarchale System und den Sexismus im Lande auf. Und sie tun dies auf radikale Weise.

Südkorea gilt als das teuerste Land, um ein Kind großzuziehen.
Südkorea gilt als das teuerste Land, um ein Kind großzuziehen.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

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Leere Gänge, verwaiste Plätze, hochgestellte Stühle – das, was in den Klassenzimmern deutscher Schulen nur nach Unterrichtsschluss, am Wochenende oder in den Ferien der Fall ist, ist in Südkorea vielerorts Dauerzustand. Tatsächlich gab es an ganzen 157 Grundschulen im Land im März dieses Jahres keinen einzigen Erstklässler, der eingeschult werden konnte. Wie kann das sein?

Dass die Geburtenraten vor allem in den modernen Industrienationen sinken, ist bekannt. Auch in Deutschland wurden in diesem Jahr von Januar bis Juli nur rund 392.000 Kinder geboren, etwa drei Prozent weniger als im gleichen Zeitraum im Vorjahr. Damit liegt die Geburtenziffer pro Frau in Deutschland bei 1,35 – weit unter den 2,1 Kindern pro Frau, die es zum Erhalt der Bevölkerung brauchen würde. Auch in anderen europäischen Ländern ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Selbst Frankreich, das von derlei Problemen lange Zeit unberührt war, kam im Jahr 2022 gerade einmal auf 1,79 Kinder pro Frau. Malta ist im europäischen Vergleich das Schlusslicht, mit einem Wert von 1,08. Dennoch ist dies noch immer mehr als in Südkorea; hier sank die Geburtenrate auf 0,71 Kinder pro Frau, eine der niedrigsten weltweit.

Die B4-Bewegung beschränkt sich nicht mehr nur auf Südkorea.
Die B4-Bewegung beschränkt sich nicht mehr nur auf Südkorea.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Dabei sah dies vor wenigen Jahrzehnten noch ganz anders aus. In den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts lagen die Zahlen noch bei fast sechs Kindern pro Frau, eine Zeit, die auch als „Babyboom“ bezeichnet wird, und selbst im Jahr 2008 entschieden sich noch immer etwa 62 Prozent der koreanischen Frauen für Kinder.

Nur zehn Jahre später waren es nur noch 44 Prozent. Sollte sich der Trend auf diese Weise fortsetzen, wird es in fünfzig Jahren nur noch halb so viele arbeitsfähige Menschen im Land geben wie momentan, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung wird älter als 65 Jahre alt sein. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Neben Problemen, die sich auch in der westlichen Welt finden lassen, wie hohe Mieten, Immobilienpreise, Gebühren für die Kinderbetreuung und generell gestiegene Lebenshaltungskosten, kommen in Südkorea auf frisch gebackene Eltern noch haufenweise zusätzliche Kosten zu. So wird von ihnen erwartet, Kinder bereits ab dem Alter von vier Jahren an einer Vielzahl an außerschulischen Aktivitäten teilnehmen zu lassen, von Sportunterricht bis Musik- oder auch Nachhilfestunden. Tatsächlich melden 98 Prozent aller Eltern ihre Kinder zu solchen Aktivitäten an, obwohl die hohen Kosten, die dadurch entstehen, von fast allen Befragten als eine große finanzielle Belastung empfunden werden. Südkorea gilt gar als das teuerste Land, um ein Kind großzuziehen.

Durch die Kindeserziehung isolierte Mütter

Doch selbst für die besser gestellten Eltern, die sich diese zusätzlichen Ausgaben leisten können, wird die Kindeserziehung zur großen Herausforderung. Durch die noch immer in Südkorea vorherrschenden strikten, antiquierten Rollenbilder wird von Müttern erwartet, dass sie ihren Beruf aufgeben, sobald ihr erstes Kind zur Welt kommt. Außerdem haben sie sich ganz allein um die Kinder zu kümmern. Die Väter hingegen müssen nun den gesamten Unterhalt der Familie allein tragen. In der Folge kommt es zur Frustration und Burn-out-Erkrankungen auf beiden Seiten; bei Vätern durch die viele Erwerbsarbeit und wenig Bezug zu ihren eigenen Kindern, bei Müttern durch die Isolation und Erschöpfung von der alleinigen Erziehung der Kinder.

Da Paare ermutigt wurden, nur noch ein Kind zu bekommen, ließen zahlreiche Eltern weibliche Föten abtreiben.
Da Paare ermutigt wurden, nur noch ein Kind zu bekommen, ließen zahlreiche Eltern weibliche Föten abtreiben.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Verschärft wird das Ganze nur noch durch das unausgeglichene Verhältnis zwischen den Geschlechtern, wie es auch in einigen anderen asiatischen Ländern der Fall ist. Tatsächlich gibt es im Land weitaus mehr Männer als Frauen, als Folge einer radikalen Politik zur Geburtenreduktion, die Südkorea nach dem bereits erwähnten Babyboom verfolgte, um eine Bevölkerungsexplosion zu vermeiden. Da Paare nun ermutigt wurden, nur noch ein Kind zu bekommen, ließen zahlreiche Eltern weibliche Föten abtreiben, um Nachteile wie beispielsweise den Verlust des Familiennamens zu vermeiden, die durch ausschließlich weibliche Nachkommen in der patriarchalen Gesellschaft Südkoreas entstehen würden.

Bei den Diskussionen um Koreas niedrige Geburtenrate wird inzwischen aber noch ein weiterer Grund angeführt, nämlich die sogenannte 4B-Bewegung. Diese entstand etwa um das Jahr 2017 herum und verbreitete sich kurz darauf sehr schnell durch das Internet, insbesondere in den sozialen Medien. Als Auslöser der Bewegung werden die starren Geschlechterrollen in Korea gesehen und der große Druck sowie die Einschränkungen für Frauen, die daraus hervorgehen. So wird Frauen beispielsweise vermittelt, dass es ihre höchste Priorität sei, sich für ihren Partner schön zu machen, womit sie bis hin zu kosmetischen Operationen gedrängt werden.

Zudem verdienen koreanische Frauen 31 Prozent weniger als Männer, und das vollkommen unabhängig davon, ob sie verheiratet sind, Kinder haben oder eben auch nicht. Als Gegenwehr verzichten einige koreanische Frauen nun völlig auf Make-up, lassen sich die Haare kurz schneiden oder tragen keine BHs mehr.

Alternativ werden sie auch die 4 Nos genannt

Die 4B-Bewegung geht dabei noch einen Schritt weiter. Ihre Mitglieder nehmen sich vor, keine Männer zu daten, keinen Geschlechtsverkehr mit Männern zu haben, sie nicht zu heiraten und auch keine Kinder mit ihnen zu bekommen. Der Name der Bewegung kommt daher, weil all diese Dinge im Koreanischen mit einem B beginnen (jeweils biyeonae, bisekseu, bihon und bichulsan). Alternativ werden sie auch als die 4 Nos bezeichnet.

4B-Mitglieder nehmen sich vor, keine Männer zu daten.
4B-Mitglieder nehmen sich vor, keine Männer zu daten.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Was sich nun erst einmal radikal anhören mag, begründen die Mitglieder, die sich selbst online als „anonyme Frauen“ bezeichnen, als reine Schutzreaktion auf die Frauenfeindlichkeit der koreanischen Gesellschaft. Dabei machen sie nicht nur auf die bereits erwähnten Probleme und Ungerechtigkeiten aufmerksam, sondern auch auf das generelle patriarchale System, in dem es von Frauen erwartet wird, sich ihren Vätern und Ehemännern unterzuordnen.

Während Präsident Yoon Suk-yeol behauptet, es gäbe keinen Sexismus in Korea, fand eine Studie aus dem Jahr 2016 heraus, dass mehr als vierzig Prozent der Koreanerinnen häusliche Gewalt erlebt haben – deutlich mehr als der weltweite Durchschnitt von etwa 30 Prozent.

Offenbar ist die Bewegung nicht mehr nur auf Südkorea beschränkt

Darüber hinaus scheint die Bewegung nicht mehr nur auf Südkorea beschränkt zu sein. Mittlerweile hat sie auch im Rest der Welt eine gewisse Popularität erlangt und auch großen Anklang gefunden. Obwohl viele Frauen einen nicht ganz so radikalen Weg einschlagen möchten, zeigen doch mehrere Studien, dass junge Frauen es auch in den westlichen Ländern zu immer größerer Zahl vorziehen, kinderlos oder Single zu bleiben – oder meist auch beides.

Koreanische Frauen verdienen 31 Prozent weniger als Männer – und das vollkommen unabhängig davon, ob sie verheiratet sind, Kinder haben oder nicht.
Koreanische Frauen verdienen 31 Prozent weniger als Männer – und das vollkommen unabhängig davon, ob sie verheiratet sind, Kinder haben oder nicht.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Die Bewegung ist umstritten, und das nicht erst, seit sie im Jahr 2024 auch außerhalb von Südkorea breitere Bekanntheit erlangt hat. So seien beispielsweise die angegebenen Mitgliederzahlen stark überhöht, meinen Kritiker. Tatsächlich lassen sich diese durch die fehlende Struktur und die Anonymität der sich online dazu bekennenden Frauen nur schwer feststellen; man geht von mindestens etwa 4000 Mitgliedern aus, wobei manche Quellen auch von bis zu zehnmal so vielen Anhängerinnen sprechen.

Auch sei die Relevanz der 4B-Bewegung für die koreanische Gesellschaft viel geringer, als es den Anschein mache. Die niedrigen Geburtenraten hätten andere Ursachen, die nichts mit der Bewegung zu tun hätten. Dabei ist es zumindest Fakt, dass nicht nur die Geburtenraten, sondern auch die Anzahl der Eheschließungen in Korea dramatisch gefallen sind.

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Was auch immer die genauen Gründe sind – klar ist wohl trotzdem allen, dass die koreanische Regierung schnell handeln muss, um die drohenden Folgen der fallenden Geburtenraten abzuwenden. Andernfalls werden die Bilder der verwaisten Grundschulen wohl bald schon keine schockierende Ausnahme mehr sein, sondern zur traurigen Regelmäßigkeit im Land werden. Zusammen mit der immer weiter steigenden Lebenserwartung und der daraus folgenden Überalterung der Gesellschaft sieht Südkorea ernsthaften existenziellen Problemen entgegen.

Erste Ansätze zur Problemlösung wie Geld für junge Eltern, eine verlängerte Elternzeit nach der Geburt oder auch finanzielle Unterstützung zur Kinderbetreuung werden bereits umgesetzt. Doch das Problem ist tief in der koreanischen Gesellschaft verwurzelt.

Alexandra Sauter, Jahrgang 1999, ist Literatur- und Medienwissenschaftlerin. Sie arbeitet freiberuflich als Texterin und Autorin.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.


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