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Kardashians & Co.: Wie die Netzfeministinnen dem Feminismus schaden

Der Feminismus ist im Netz nur noch ein Spielball der Aufmerksamkeitsökonomie. Mit den ursprünglichen Absichten der Frauenbewegung hat das nichts zu tun. Eine Analyse.

Der Geist des modernen Menschen oszilliert in Dauerschleife zwischen Newsfeed, <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/instagram">Instagram</a>, <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/youtube">YouTube</a> und dem unangenehmen Verdacht, dabei doch noch etwas zu verpassen.
Der Geist des modernen Menschen oszilliert in Dauerschleife zwischen Newsfeed, Instagram, YouTube und dem unangenehmen Verdacht, dabei doch noch etwas zu verpassen.Berliner Zeitung

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Der moderne Mensch ist sehr beschäftigt. Früher studierte er morgens die Zeitung und alle paar Wochen „Wetten, dass..?“, heute oszilliert sein Geist in Dauerschleife zwischen Newsfeed, Instagram, YouTube und dem unangenehmen Verdacht, dabei doch noch etwas zu verpassen. Höchstens der sonntägliche „Tatort“ beschert uns Nicht-Digital-Natives noch die einlullende Erinnerung an geordnete Verhältnisse. Damals, die guten alten Zeiten, als noch nicht jeder in seiner eigenen Filter-Bubble hauste.

Die meiste Zeit verbringen wir online, wo die sich selbst erschaffenden Netzpersönlichkeiten aus dem digitalen Äther schießen wie Pilzsporen, die sich auf feuchtwarmem Untergrund verteilen. Mit allen Mitteln versuchen diese, uns „Followern“, die zu träge sind, sich im Netz selbst zu inszenieren, die letzten Fitzelchen Aufmerksamkeit aus dem überreizten Gehirn zu leiern.

„Mach dich zur Marke“, rufen Influencer wie Tijen Onaran ihrer begeisterten Anhängerschaft zu. Der Job kann morgen weg sein – was bleibt dir da außer deiner Personenmarke? Ja, was eigentlich? Man denke an Robert Gernhardt, der beim Horchen in sich selbst erstaunt feststellte: „In mir da ist wohl nix.“ Heute soll in uns eine ominöse Einheit wohnen, ein wiedererkennbarer Markenkern mit vertrauenswürdiger, konsistent und maximal authentisch vorgetragener Botschaft. Wer sein Marken-„Ich“ nicht digital inszeniert, so die unterschwellige Botschaft, ist bald weg vom Fenster. Früher galt: Sprich über deinen Erfolg. Heute gilt: Sprich über dich, und zwar ständig – dann kommt der Erfolg.

Die Nummer eins unter den Hyper-Narzisstinnen: Kim Kardashian
Die Nummer eins unter den Hyper-Narzisstinnen: Kim Kardashianavalon.red/imago

Die Kardashians haben es vorgemacht

Die Kardashians haben es vorgemacht. Wer die Ideologie des Hyper-Narzissmus so verinnerlicht wie diese Familie, scheint alles erreichen zu können – es gibt ihn noch, den American Dream! Die Frage ist: Was soll das? Wünscht sich jemand Kim Kardashian als US-Präsidentin? Vom geleakten Sex-Tape und Po-Implantat zur ersten Frau im Staat? Andererseits. Jetzt sitzt dort ein verurteilter Straftäter und Frauengrapscher, zeitgeistlich betrachtet vielleicht ein logischer nächster Schritt.

Warum soll sich jeder zur Marke machen? Ingenieurin Lisa, Lehrer Christian, Anwältin Kerstin oder Informatiker Georg? Um damit Werbegelder zu scheffeln wie „Pilot Patrick“, der jeden Tag ein Foto aus seinem Cockpit postet? Eine „Marke“ ist eine Person mit Publicity, heutzutage also mit vielen Followern, sei es auf LinkedIn oder sonst wo. Offenbar reicht es nicht mehr, wenn Chefs, Kollegen oder Kunden einen schätzen – nein, möglichst bitte Tausende andere. Das boulevardeske Fandomprinzip hat die Arbeitswelt erobert.

Mach dich zur Marke: Ist es nicht eher ein toxischer Schlachtruf? Eine Kakofonie von Stimmen im Netz, und alle schnappen sie nach Luft und Licht wie digitale Kaulquappen. Die einfachsten Botschaften sind mit Blick auf die Reichweite stets die effektivsten: Clickbait, Trivialität, Sinnsprüche und private Geständnisse – selbst auf LinkedIn heute die Erfolgsrezepte auf dem Weg zur digitalen Super-Marke.

Nein, hier gehe es nicht um Selbstinszenierung, keineswegs, erklärt dort eine adrett zurechtgemachte Jungunternehmerin mit mehrfach gefiltertem Profilfoto ihren Followern: Hier gehe es um die Sichtbarmachung der guten Sache und am Ende um alles, denn in Zukunft werde nur überleben, wer es schaffe, eine Community aus Super-Fans um sich zu scharen. Wumms, das ist eine Ansage. Wir befinden uns im Krieg, so die Botschaft. In einem Krieg um die letzten Reste Aufmerksamkeit, die der moderne Mensch zwischen TikTok und Netflix noch übrig hat.

Ob TikTok oder Netflix: Alles will unsere Aufmerksamkeit.
Ob TikTok oder Netflix: Alles will unsere Aufmerksamkeit.getty images/unsplash

Aber was heißt eigentlich Feminismus?

Auch der Feminismus hat sich im Netz vollständig den Prinzipien der Aufmerksamkeitsökonomie untergeordnet. Knallbunte Kostüme, tiefe Ausschnitte, Miniröcke, zuweilen die doppelt unterspritzte Oberlippe, alles kann heute zum feministischen Statement taugen. Tussi-Power, Kick-Ass-Barbie, es gibt nichts, was es nicht gibt.

So erklärt es auch Emily Ratajkowski, das schmollmündige amerikanische Topmodel, das als Feministin Interviews gibt und seinen Ruhm als leicht bekleidetes Model in einem Musikvideo begründete: Die Feministin von heute darf alles, solange es selbstbestimmt ist. Selbst der Schlampenlook wird zur vermeintlichen Rebellion gegen das Patriarchat. Barbie selbst steht ja auch wieder an der Spitze des Zeitgeistes, ironisch aufgeladen natürlich. Persönliche Entscheidungsfreiheit, das alles erschlagende Zauberwort.

Aber was heißt Feminismus eigentlich? Feminismus bedeutet eine Bewegung, die auf die Beseitigung sämtlicher sozialer, politischer und gesellschaftlicher Benachteiligungen der Frauen abzielt. Trägt man heute Feminismus wie ein „It-Girl“-Accessoire vor sich her? Als schicke Ergänzung zur eigenen Personenmarke? Tut der aufmerksamkeitsgierige Netzfeminismus der Sache der Frauen gut? Kann er nicht gar das Gegenteil bewirken? Eine genervte Zunahme von Antifeminismus von Nicht-Belehrbaren, die digitale Indoktrination dieser Art als Affront betrachten?

Der wohl albernste Spruch, den ich von Netzfeministinnen jemals las, lautet: „Wer hat gesagt, dass Lippenstift Gehirnzellen zerstört?“ Niemand hat das gesagt, möchte man da gerne laut ausrufen. Tut man natürlich nicht, denn wer will schon als antifeministisch gelten. Selbstbewusste Frauen haben immer schon ihren Lippenstift mit Stolz getragen, sagt man stattdessen leise – und das garantiert nicht erst, seit Netzfeministinnen den Lippenstift zum feministischen Statement erklärt haben.

Warum hört man den Satz trotzdem immer wieder? Ganz einfach: Weil sich auf der Welle allgemeiner Empörung Reichweite und Likes erzielen lassen. Feminismus als Spielball der Aufmerksamkeitsökonomie. Alice Schwarzer, längst von Netzfeministinnen als nicht mehr zeitgeistrelevant in die Ecke gestellt, dürfte nur noch mit dem Kopf schütteln.

Alice Schwarzer unterscheidet sich in ihren Positionen mitunter sehr von zeitgenössischen Feministinnen.
Alice Schwarzer unterscheidet sich in ihren Positionen mitunter sehr von zeitgenössischen Feministinnen.Oliver Berg/dpa

Den Netzpersönlichkeiten ist jedes Mittel recht

Eins steht fest, auf dem Weg zu Ruhm und Reichweite ist Netzpersönlichkeiten heute jedes Mittel recht. Erschreckenderweise geben in Umfragen mehr als 50 Prozent der Jugendlichen als Berufswunsch Influencer an. Berühmtwerden – unser neues Nummer-eins-Ziel?

Interessant ist ein Blick auf die psychologischen Mechanismen des Ruhms. Der Mere-Exposure-Effekt ist ein Begriff aus der Psychologie, der kurz gefasst Folgendes aussagt: Wenn wir eine Person immer wieder vorgesetzt bekommen und wir diese Person anfänglich neutral bis akzeptabel finden, werden wir diese Person irgendwann tatsächlich gut finden, und zwar allein durch ihre Dauerpräsenz. Faszinierend, oder? Vermutlich ist es eine Mischung aus Faszination und Abstumpfung. Irgendwann hat man sich an eine dauerpräsente Person einfach gewöhnt. Wer prominent werden will, muss also einigermaßen sympathisch sein und sich dann unerbittlich und ausdauernd ins Bewusstsein vieler Menschen pressen. So einfach ist das.

Das wissen auch die Stars im Netz. Vielleicht ganz intuitiv berieseln sie uns penetrant mit Trivialitäten, Empörung, Sinnsprüchen und intimen Bekenntnissen, vom Grünkohl-Smoothie bis hin zum allmorgendlichen Outfit des Tages.

Doch irgendwann wird das Ruder kippen. Irgendwann schlägt der Mere-Exposure-Effekt in reine Genervtheit um. Da bin ich mir sicher. Irgendwann erkennt auch der trägste Follower, dass er seine wertvolle Lebenszeit mit sinnfreiem Blödsinn verschwendet. Sorry, wer glaubt, der Welt täglich sein „Outfit of the day“ zu schulden, der hat den Schuss nicht gehört. Gelten „Follower“ mit Magengeschwüren eigentlich noch als „Follower“? Nein. Ich bin mir sicher: Wir schaffen das. Es gibt eine Heilung vom Followerdasein!

Anne Hashagen ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und in ihrer Freizeit Autorin. Ihr jüngstes Buch, das sich mit obigem Thema beschäftigt, ist die Influencer-Satire „Fucking Famous. Wie ich zu einer Million Followern kam und dabei unendlichen Spaß hatte.“ (Solibro-Verlag, ISBN 978-3-96079-112-6)

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