Kommentar

Weltnaturgipfel: Das massenhafte Artensterben bedroht auch uns Menschen!

Warum der Weltnaturgipfel in Montreal endlich eine globale Trendwende gegen das Artensterben bringen muss.

Allein in Deutschland ist die Hälfte der 560 Wildbienenarten vom Aussterben bedroht.
Allein in Deutschland ist die Hälfte der 560 Wildbienenarten vom Aussterben bedroht.imago/STAR-MEDIA

Um die biologische Vielfalt ist es schlecht bestellt. Etwa alle zehn Minuten verschwindet eine Art von der Erde, so lauten die Schätzungen. Mehr als 40.000 bedrohte Pflanzen- und Tierarten stehen auf der Roten Liste. Sie sind in arge Bedrängnis geraten durch den Verlust ihres Lebensraums, Waldrodungen, Monokulturen und Wilderei. Aber auch durch die Folgen des Klimawandels wie Dürre, Hitze, Flächenbrände, schmelzendes Eis.

Vor diesem Hintergrund findet vom 7. bis 19. Dezember im kanadischen Montreal der Weltnaturgipfel statt, auch bekannt als Biodiversitätskonferenz. Er soll – mehrfach verschoben – endlich ein neues Weltnaturabkommen bringen, um den Verlust der Biodiversität bis 2030 zu stoppen.

Wir Menschen schauen auf einige bedrohte Tierarten durchaus mit Bedauern. Etwa auf Afrikanische Elefanten, Pandas, Koalas, Eisbären, Meeresschildkröten, Orang-Utans und Wale. Zugleich verschwinden unbemerkt von uns unzählige Arten, die wir meist erst gar nicht kennenlernen. Von den 560 Wildbienenarten in Deutschland ist die Hälfte vom Aussterben bedroht. In Teilen Japans und Chinas sind die Bienen bereits ganz verschwunden. Menschen müssen die Obstbäume mit dem Pinsel bestäuben – Blüte für Blüte.

Ein Panda, ebenfalls auf der Liste der bedrohten Tierarten.
Ein Panda, ebenfalls auf der Liste der bedrohten Tierarten.AFP/Tobias Schwarz

Das letzte Massenaussterben fand vor 65 Millionen Jahren statt

Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte eine Million Arten verloren gehen, heißt es in einer „Frankfurter Erklärung zum Weltnaturgipfel 2022“. Etwa 370 Vertreter von deutschen Wissenschafts- und Nichtregierungsorganisationen haben sie unterschrieben. Forscher sprechen schon länger vom sechsten Massenaussterben, das bereits begonnen habe. Das letzte fand vor 65 Millionen Jahren statt. Die Dinosaurier!

Die einfache Wahrheit ist, dass wir heute als Art Homo sapiens mittendrin hängen. Nicht nur der Klimawandel bedroht uns, sondern auch das Artensterben, das eng damit zusammenhängt. Denn von der ökologischen Vielfalt an Pflanzen und Tieren hängt die Stabilität der Ökosysteme des Planeten ab. Und wenn diese zusammenbrechen, ist alles gefährdet: unsere Ernährung, Kleidung, Gesundheit, sauberes Wasser, Atemluft. Dann könnte das Zeitalter des Menschen – das Anthropozän – wirklich zur kürzesten Epoche der Erdgeschichte werden, wie Forscher sagen.

Doch wer immer nur Untergänge und Katastrophen sieht, lähmt sich selbst. Deshalb muss man den Blick auf das Mögliche richten. Wo der Mensch sich intensiv für den Natur- und Artenschutz einsetzt, zeigen sich durchaus Erfolge. Jüngste Beispiele sind Erholungen von Populationen in Deutschland, zu denen der Eurasische Luchs und die Großtrappe gehören.

Ein Koala
Ein Koaladpa/AUSSIE ARK

Entschiedene Trendwende in der Wirtschaft gefordert

Kleine Erfolge machen zwar Mut. Aber die großen Ziele, schon 2010 auf dem Weltnaturgipfel verabschiedet, wurden bisher nicht erreicht. Die weltweite Überfischung, die Zerstörung von Lebensräumen und die umweltschädlichen Subventionen wurden nicht beendet, die Landwirtschaft nicht so umgestaltet, dass wieder genetische Vielfalt möglich ist.

Die meisten Regierungen begreifen durchaus, dass man etwas für die Artenvielfalt tun muss. Schutzgebiete wurden ausgeweitet, nationale Aktionspläne verabschiedet. Doch das reicht nicht. Deshalb fordert zum Beispiel die „Frankfurter Erklärung“ eine „entschiedene Trendwende“ in den Wirtschaftssystemen.

So sollen weltweit die umweltschädlichen Subventionen abgebaut werden. Allein in Deutschland betragen sie im Jahr mehr als 65 Milliarden Euro: für Verkehr, Energie, Bauwesen, Land- und Forstwirtschaft. Die Unterzeichner der Erklärung bieten wissenschaftliche Unterstützung an, um sie in „natur-positive“ Anreize umzuwidmen.

Eine Karettschildkröte 
Eine Karettschildkröte dpa/Hauke-Christian Dittrich

Wirtschafts- und Lebensweise muss mit Schutz der Biodiversität einhergehen

Bis 2030 sollen mindestens 30 Prozent der Landes- und Meeresfläche weltweit unter Schutz gestellt, Moore, Wälder und Flusssysteme renaturiert werden. Immerhin hat Deutschland bis 2025 jährlich 1,5 Milliarden Euro für den internationalen Biodiversitätsschutz zugesagt. Doch die sind schnell weg. Und Deutschland gehört wie viele reichere Länder des globalen Nordens zu den großen Nutznießern umweltschädlicher Produktionsweisen in ärmeren Ländern.

Wer jedoch die Diskussionen der letzten Wochen um Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflation verfolgte, der hat das Gefühl: Das Thema Biodiversität passt gerade nicht in die Zeit. Schon früher hat man „Umweltschützern“ immer wieder gesagt, dass sie sich nicht einmischen sollten, weil es jetzt um „ernste Themen“ gehe. Doch leider sind wir gezwungen, alles zugleich hinzukriegen und gute Ideen dafür zu entwickeln, unsere Wirtschafts- und Lebensweise mit dem Schutz der Biodiversität zusammenzubringen. Und zwar jetzt! Nicht irgendwann. Es geht nicht um „Ökokram“, sondern um unsere Existenz.