Gesundheit

Endet Deutschland im Pflege-Desaster? Diesen Sommer entscheidet es sich

Weniger Auszubildende in Pflegeberufen, mehr Rentner: Hilft die Reform der Krankenhäuser, die Katastrophe im Gesundheitswesen noch abzuwenden? Ein Kommentar.

Ein Auszubildender einer Klinik misst bei einem Patienten den Blutdruck.
Ein Auszubildender einer Klinik misst bei einem Patienten den Blutdruck.Heike Lyding/epd

Es werden Fakten geschaffen in den kommenden Tagen und Wochen. Der Umbau der deutschen Kliniklandschaft nimmt Gestalt an. Eine Bund-Länder-Gruppe erarbeitet derzeit einen Gesetzentwurf. Er soll den bisher groben Rahmen für jene Reform verfeinern, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und andere Gesundheitsökonomen angestoßen haben. Noch sind etliche Details nicht bekannt.

Unterdessen werden auf andere Art Fakten geschaffen. Auch im Jahr 2023 müssen Krankenhäuser Insolvenz anmelden, wie vergangene Woche erst in Paderborn geschehen. Sie haben der Inflation und den gestiegenen Sachkosten nichts entgegenzusetzen, weil die gesetzlich geregelten Einnahmen nicht ausreichen. Und dazu passt wiederum ein weiterer Umstand: Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für den Pflegeberuf.

Das Statistische Bundesamt vermeldete dieser Tage, dass die Zahl der Auszubildenden in diesem Sektor 2022 im Vergleich zum Vorjahr um sieben Prozent zurückgegangen ist. Schon seit längerem zeichnet sich ab, dass die zu erwartenden Absolventen bei weitem nicht den Personalmangel ausgleichen werden, der allein dadurch entsteht, dass sich die Generation der Babyboomer alsbald in den Ruhestand verabschiedet.

Der Zusammenhang zwischen dem Kliniksterben und dem fehlenden Nachwuchs mag sich nicht jedem sofort erschließen, deshalb hat ihn die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) jetzt noch einmal erläutert. Die DKG warnt davor, dass ein kalter Strukturwandel durch die Insolvenzen finanziell klammer Häuser zugleich das Aus für angegliederte Krankenpflegeschulen bedeutet. Und wo keine Schule, da keine Schüler.

Pflegeberufe: Sieben Prozent weniger Auszubildende

An den Auszubildenden in der Pflege zeigt sich, wohin es führt, wenn eine Reform nicht in ihrer ganzen Konsequenz durchdacht wird. Schon in der Vergangenheit ließ sich das erkennen, als die Lehrpläne neu geregelt wurden. Generalistik heißt seit Januar 2020 die Strategie, ein universeller aufgestellter Lehrplan soll die Ausbildung attraktiver machen. Die angehenden Pflegekräfte lernen verschiedene Bereiche kennen, unabhängig davon, in welcher Fachrichtung sie später beschäftigt sein möchten. Sie arbeiten unter anderem in einer stationären Pflegeeinrichtung, einem Krankenhaus, bei einem ambulanten Dienst. Das geschieht im zweiten Lehrjahr.

Oft stehen die Azubis in dieser Phase einer neuen Herausforderung gegenüber, für die sie kaum bis keine Erfahrung besitzen. Wenn dann eine Fachkraft nicht bereitsteht, die in einem solchen kritischen Moment mit Rat und Tat hilft, kommen Stress und Frust auf. Angesichts des allgemeinen Personalmangels ist ein solcher Notfall nicht gerade unwahrscheinlich. Auszubildende berichten immer wieder, dass sie stillschweigend wie ausgelernte Kräfte eingesetzt werden.

Die Quote derer, die unter solchen Bedingungen in der Pflege die Ausbildung abbrechen, ist hoch, lag zuletzt bei einem knappen Drittel. Die Zahl derjenigen, die sich für den Beruf entscheiden, geht ebenfalls zurück, wie jetzt amtlich belegt ist. Inwieweit die Krankenhausreform diesen Trend zu stoppen vermag, ob die beabsichtigte Konzentration der stationären Versorgung auf große Zentren dem entgegenwirkt, bleibt abzuwarten.

Fest steht, dass der schrittweise Abschied der geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1969 vom Arbeitsmarkt eine gigantische Lücke hinterlassen wird. Prognosen zufolge könnten bis 2030 branchenübergreifend fünf Millionen Menschen mehr in Rente gehen als neue nachrücken. Besonders hart trifft es den Gesundheitssektor, weil die dort ehemals Beschäftigten irgendwann selbst der medizinischen Betreuung bedürfen. Bei keiner anderen Dienstleistung gehen Angebot und Nachfrage derart weit auseinander.

Das Institut der deutschen Wirtschaft hat vor diesem Hintergrund berechnet, dass in der stationären Versorgung bis 2035 rund 307.000 Pflegekräfte fehlen könnten. Währenddessen wächst die große Gruppe der zu Pflegenden von derzeit mehr als 4,1 Millionen weiter, nicht zuletzt wegen stetiger Fortschritte in der Medizin. Es ist kein Trost, dass 84 Prozent der Betroffenen von Angehörigen betreut werden.

Die Tendenz ist klar, die grundlegenden Fakten muss jeder kennen, der durch politische Entscheidungen seinerseits Fakten schafft. Aktuell sind das die Abgesandten von Bund und Ländern, die in diesen Sommertagen an einem gesetzlichen Rahmen für eine Klinikreform tüfteln. Der wird einschneidende Konsequenzen nach sich ziehen. Hoffentlich die richtigen, im Sinne aller Pflegebedürftigen und derer, die sie pflegen. Also im Sinne aller Menschen hierzulande.