Annie Ernaux, Roger Waters, die Documenta-Kuratoren Reza Afisina und Hiswanto Hartono. Handelte es sich bei dieser kurzen Auflistung von Namen um ein lustiges Ratespiel, müsste die dazugehörige Frage lauten, was diese Personen eint. Falsch wäre eine Antwort, die auf deren antisemitische Affekte spekuliert. Richtig hingegen ist, dass die französische Literaturnobelpreisträgerin, der britische Popstar und die indonesischen Kunstaktivisten mit Aufrufen der Boykottorganisation BDS in Verbindung gebracht werden, die sich gegen den Staat Israel richten.
Muss man die Diskussion über den BDS tatsächlich immer wieder von vorn beginnen? Für die Mehrheit der Mitglieder des vorletzten Deutschen Bundestags war die Sache klar: Wie es in dem Beschluss der vier Fraktionen SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP von 2019 heißt, rufe die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Bewegung (abgekürzt BDS) auch in Deutschland zum Boykott gegen Israel, gegen israelische Waren und Dienstleistungen, israelische Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Sportlerinnen und Sportler auf. Dieser Boykott führe in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes. Das sei inakzeptabel und scharf zu verurteilen.
Stereotype Belehrungen
In den zu wechselnden Anlässen immer wieder aufkeimenden Diskussionen um den BDS werden indes Relativierungen aller Art angeführt. Wer sich den Aktivitäten der Organisation anschließe, sei nicht zwangsläufig antisemitisch, wird gern zugestanden, obwohl sich durchaus Antisemiten für BDS-Aktionen engagieren. Ein Kapitel des noch ausstehenden Resümees zur Kasseler Kunstausstellung Documenta fifteen müsste wohl vom Legitimationsschub handeln, den der BDS durch die Documenta erfahren hat. Im Globalen Süden, so lautete eine stereotyp wiederholte Belehrung, schaue man nun einmal anders auf die Rolle Israels als von Deutschland aus.
Wer so spricht, nimmt in gespielter Lockerheit in Kauf, dass BDS-Aktivitäten illiberal, doktrinär und kunstfeindlich sind. Warum eigentlich wird nicht leidenschaftlich darüber debattiert, wie solch eine Haltung sich in zahlreichen Institutionen des deutschen Kulturbetriebs bis in die Leitung hinein etablieren konnte, wo doch in beinahe jeder Eröffnungsrede, von was auch immer, Dialog und demokratische Strukturen hochgehalten werden?
Bei Annie Ernaux, nach dem Auftauchen von BDS-Unterschriften des Antisemitismus bezichtigt, zeigt die Lektüre, dass ihr literarisches Werk keinerlei Spuren dieser Ideologie enthält. Ihr Unterschreiben erklärt sich vielmehr aus der mitunter versteinert-dogmatischen Ideologie einer französischen Linken, zu der Solidarität mit den Palästinensern ebenso gehört wie die Ansicht, dass der Staat Israel als weißer Kolonisator auftrete. Wer die Konzerte des Musikers Roger Waters besucht, goutiert nicht nur den bemerkenswerten Beitrag seiner Band Pink Floyd zur Geschichte der Popmusik. Er oder sie müssen sich auch dessen bewusst sein, von der Bühne aus mit politischen Tiraden traktiert zu werden, die sich gegen alle richten, die seine BDS-Aktivitäten kritisieren. Waters ist in der Verbreitung zugespitzter Weltanschauungen nicht gerade zimperlich. Dass seine Musik stets von suggestiver Energie und übertrumpfendem Bombast angetrieben ist, sei hier nur am Rande bemerkt.
Weg mit den aktivistischen Posen
Ob ein für März geplantes Konzert in der Münchner Olympiahalle stattfinden kann, wird denn auch nicht durch ästhetische Erwägungen bestimmt. Einmal mehr zeigt sich am Fall Waters, zu dessen Auftritt auf städtischem Terrain sich unlängst Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter kritisch äußerte, welch diffuse Wirkung der BDS-Beschluss des Bundestags hat. Mit jeder Welle der Empörung über Verbot oder Erlaubnis geht Gratiswerbung für den BDS in Form von diskursiver Auseinandersetzung einher.


