Mahsa Amini

Die Gewalt des Kopftuchs – und wie man es lockert

Von Solidarität für die Menschen, die im Iran auf die Straße gehen, ist nun vielfach die Rede. Auf wen es dabei jetzt besonders ankommt.

Protestaktion vor der iranischen Botschaft in London
Protestaktion vor der iranischen Botschaft in LondonAP

Fast scheint es, als hätte der Krieg gegen die Ukraine die Aufmerksamkeit für den Rest der Welt vernebelt. Nur langsam jedenfalls drangen die Nachrichten über den gewaltsamen Tod der jungen Iranerin Mahsa Amini an die Öffentlichkeit, erst allmählich steigerten sie sich zum Entsetzen über die Unerbittlichkeit eines Regimes, das auf der Durchsetzung religiöser Regeln und damit verbundener Kleidervorschriften pocht.

Mahsa Amini ist am 16. September gestorben, nachdem sie von der iranischen Sittenpolizei – eine Bezeichnung, die selbst in ironischer Verwendung kaum noch geläufig ist – festgenommen worden war, weil sie angeblich den Hidschab in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen hatte. Zwei Stunden später, so heißt es, sei sie mit einem Rettungswagen von der Polizeistation in ein Krankenhaus gebracht worden.

Nach Angaben der Polizei habe sie einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall erlitten. Die Nichtigkeit ihres Vergehens, für das sie in Gewahrsam genommen worden war, steigert noch den Zorn und lässt die Annahme kaum zu, dass es sich um einen tragischen Unglücksfall gehandelt haben könnte. Mahsa Amini ist Opfer der Anmaßung eines Regimes, das nicht mehr zu unterscheiden vermag zwischen zivilem Leben, religiöser Ordnung und purem Machterhalt.

Ein Zeichen politischer Unterdrückung

Die Worte, die man für die Verurteilung dieses Geschehens zu finden bemüht ist, offenbaren nur die Hilflosigkeit, in der man ihm gegenübersteht. Die unterstützenden Botschaften, die man nun an die Menschen richtet, die mutig in Teheran und anderswo auf die Straße gehen, scheinen zu schwach, um ihr Ziel zu erreichen. Als beschämendes Déjà-vu-Erlebnis kehren sie zum Sender zurück. Wie lange ist es her, dass Du dich zuletzt für die Verhältnisse im Iran interessiert hast?

Dabei wabern die Diskussionen, die hierzulande über das Tragen von Kopftüchern als Zeichen religiöser Demut oder politischer Unterdrückung von Frauen geführt werden, schon sehr viel länger hin und her als das Lebensalter, das Masha Amini erreichen durfte. Zu keinem Zeitpunkt wurden sie in einer Eindeutigkeit geführt, mit der man Mahsa, ihr kurdischer Name: Jina, nun beispringen möchte. Der Lesart, das Kopftuch als einschüchterndes Zeichen der Unterdrückung der Frau zu betrachten, wurde zuletzt immer häufiger entgegengehalten, dass leichtfertig die freie Wahl der Frauen ignoriert werde, es selbstbewusst als Ausdruck des Glaubens zu tragen. Nicht selten wurden die Auseinandersetzungen symbolisch aufgeladen zu rechthaberischen Schaukämpfen, frei von wechselseitigen Vereinfachungen waren sie nie. Allzu selten jedenfalls trugen sie jener alltäglichen Praxis Rechnung, die der Umgang mit einem Stück Stoff bedeutet.

In einem Artikel in Briefform an Mahsa Amini hat die deutsch-iranische Schriftstellerin Shida Bazyar in der Süddeutschen Zeitung noch einmal auf die sehr unterschiedlichen Arten hingewiesen, das Tuch zu binden. Die Bandbreite dessen, was es heißt, es „unislamisch“ zu tragen, sei groß, schreibt Bazyar. „Die Frauen Irans haben insbesondere in den vergangenen zwei Jahrzehnten die strengen Kleidervorschriften peu à peu und organisch, voll Mut und mit dem Willen zur Selbstbehauptung, freier ausgelegt, als die Gesetze es vorsahen.“ Aus einem zufälligen Stoffrutschen erwuchs eine demonstrative Lockerheit.

Die Variationen, das Kopftuch zu tragen

Mahsa Amini war so jung, dass sie keine andere Welt kannte als die strenger Vorschriften, aber sie war auch hineingewachsen in Verhaltensweisen der Informalisierung. Keine Jugend, die sich nicht dazu herausgefordert fühlt, die Regeln zu brechen. Und in der alten Welt vergisst man nur allzu leicht – oder weiß es nicht einmal –, dass die iranische Gesellschaft eine sehr junge ist. Mahsa Amini aber wurde wohl auch zum Verhängnis, dass die Sittenwächter die sich in Wellenbewegungen vollziehenden Lockerungen und Verschärfungen als Einladung zur willkürlichen Auslegung ihrer Befugnisse nahmen.

Die Variationen, ein Kopftuch zu tragen, mögen im Bereich der Mode ein lustvolles Spiel eröffnen, unter Sanktionsandrohungen bedeuten sie das Ende der Zivilität. Die Befreiung aus Zwängen, die das Regime der Mullahs in Teheran und der Taliban in Afghanistan errichtet haben, kann letztlich wohl nur aus dem Innern der jeweiligen Gesellschaften erfolgen. Von außen bleibt kaum mehr als das Signal, die Menschen nicht vergessen zu haben. Umso wichtiger wäre da nun ein Zeichen der Solidarität jener Muslime, die in Gesellschaften leben, in denen Religionsfreiheit gelebt werden kann. Mit Kopftuch und ohne.