Solidarität mit Protesten im Iran

Iranische Aktivistinnen in Berlin: „Wo ist die feministische Außenpolitik?“

Mahsa Amini wurde im Iran getötet, weil sie ihr Kopftuch nicht korrekt trug. Seit ihrem Tod protestieren Hunderttausende gegen das iranische Regime – auch in Berlin. Der Beginn einer Revolution?

Daniela Sepehri protestiert vor dem Kanzleramt in Berlin mit Aktivistinnen gegen das iranische Regime nach dem Tod von Mahsa Amini.
Daniela Sepehri protestiert vor dem Kanzleramt in Berlin mit Aktivistinnen gegen das iranische Regime nach dem Tod von Mahsa Amini.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Etwa 200 Männer und Frauen stehen an diesem sonnigen Mittwochnachmittag, mit iranischen Flaggen in der Hand, vor dem Bundeskanzleramt und richten ihre Reden an zwei Menschen, die gerade gar nicht da sind. „Wo ist die feministische Außenpolitik, wo die Zeitenwende, wenn es um den Iran geht“, ruft die 24-jährige Daniela Sepehri ins Mikrofon, „funktionieren sie nur durch Schweigen?“ Sie meint die oft zitierten politischen Neuausrichtungen von Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz.

Doch weder Baerbock noch Scholz können Sepehri in diesem Moment hören, sie sind nicht in Berlin, sondern in New York bei den Vereinten Nationen. Und damit fängt das Problem schon einmal an.

Am Freitag vergangener Woche starb eine junge Frau namens Mahsa Amini (22) in Teheran. Seitdem gehen im Iran täglich Hunderttausende auf die Straße. Amini starb, kurz nachdem sie von der iranischen Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie angeblich ihr Kopftuch nicht korrekt trug. Für die Demonstrierenden ist klar: Sie wurde zu Tode misshandelt. Deswegen formiert sich derzeit eine Welle der Proteste, wie sie dieses Land seit den großen Demonstrationen von 2019 nicht mehr erlebt hat.

Auch in Berlin demonstrieren Aktivisten seit einigen Tagen, wenn auch in einem ungleich kleineren Format. Daniela Sepehri, die gleich zu Beginn der Kundgebung spricht, hat selbst bereits eine Mahnwache mit etwa 200 Teilnehmenden organisiert. Vor allem findet ihr Aktivismus auf Instagram statt, wo sie mehrere Tausend Follower hat. Sie berichtet im Gespräch mit der Berliner Zeitung von der Brutalität, mit der das Regime in Teheran gegen die Demonstranten vorgehe und wie diese sich dennoch zur Wehr setzten.

Seyran Ateş mit einem Kopftuch in der linken und eine Regenbogenfahne in der rechten Hand bei der Kundgebung vor dem Kanzleramt.
Seyran Ateş mit einem Kopftuch in der linken und eine Regenbogenfahne in der rechten Hand bei der Kundgebung vor dem Kanzleramt.Berliner Zeitung/Markus Wächter

„Es gibt viele Verhaftungen, viele Tote“, sagt sie. „Die Menschen stehen bewaffneten, militanten Anhängern des Regimes gegenüber, ihre einzige Waffe sind die sozialen Medien.“ Und tatsächlich: Die Bilder aus allen großen Städten im Iran gehen derzeit um die Welt. Videos von wüsten Straßenschlachten zwischen Demonstrierenden und der iranischen Polizei. Und von Iranerinnen, die vor laufender Kamera, als Symbol ihres Protests, mit Scheren ihre Haare abschneiden.

Den Demonstrierenden in Berlin geht es vor allem darum, Kritik an der deutschen Politik zu formulieren. Die bekannte Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş ruft ins Mikrofon: „Frau Baerbock, setzen Sie endlich Ihre feministische Außenpolitik um!“ Das Kopftuch, gegen das die Frauen im Iran aufbegehrten, sei ein reines Machtinstrument des Patriarchats, so Ateş. „Ein besseres, feministisches und außenpolitisches Thema gibt es gar nicht.“ Doch, so bemängeln viele bei der Kundgebung, geschehe vermutlich in diesem Moment genau das Gegenteil. Denn bei den Vereinten Nationen spricht heute auch der iranische Präsident Ebrahim Raisi. Er gilt vielen Exil-Iranern als Massenmörder, weil er in den 1980er-Jahren mitverantwortlich für die Hinrichtung Tausender Gefangener war. Daniela Sepehri sagt: „Aber Baerbock sitzt mit ihm an einem Tisch und Olaf Scholz erwähnte in seiner 15-minütigen Rede mit keiner Silbe die Frauen im Iran.“

Für Sepehri bergen die neuen Proteste im Iran eine stille Hoffnung, dass sie zu einem Umsturz des Regimes und zur Bildung einer Demokratie führen könnten. Andererseits habe sie schon so oft diese Hoffnung verspürt, dass sie sie eigentlich nicht mehr zulassen will. „Ohne die Unterstützung von uns Europäern, uns Menschen im Westen wird es schwer“, sagt sie. Und dann deutet sie in Richtung Straße des 17. Juni und sagt: „Als in den USA George Floyd von Polizisten ermordet wurde, sind genau hier Hunderttausende durch die Straßen gezogen. Wo ist der Unterschied? Wo sind diese Menschen jetzt?“