Gefühlspolitik

Habeck, der Erklärbär, und eine Umarmung für die Generation Scholz

Das Vertrauen in die Ampel-Koalition scheint zu schwinden. Das hat auch mit einem gestörten Verhältnis zum Pragmatismus zu tun. Ein Kommentar.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz
Wirtschaftsminister Robert Habeck (l.) und Bundeskanzler Olaf ScholzTobias SCHWARZ/AFP

Nachdem der Ernstfall – ein Anschlag auf den Bundeskanzler – nicht eingetreten ist, könnte man in einem Anflug von an Albernheit grenzender Erleichterung von einem Hygge-Moment sprechen. So nennen die Dänen ihr Bedürfnis nach ausgelassen-geborgener Lebensfreude, die sich auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt auf beinahe stürmische Weise vollzog.

Olaf Scholz, der sich zuletzt immerzu Fragen ausgesetzt sah, wo er eigentlich sei und was er gerade mache, musste in einem von seinen Sicherheitsleuten nicht vorhergesehenen Augenblick der Arglosigkeit die Umarmung eines ihm fremden Mannes über sich ergehen lassen. Mit einer derartigen Zuneigung, so ließe sich das Versäumnis der Security vielleicht entschuldigen, konnte nun wirklich niemand rechnen.

Spinnt man den Gedanken etwas fort, so ließe sich die Frankfurter Umarmung als Gefühlslage beschreiben, die der Ampel-Koalition inzwischen abgeht. Robert Habeck zum Beispiel. In den schlimmen Krisenmomenten, die sich gleich nach Übernahme der Regierungsverantwortung auf die Tagesordnung drängten, feierte er Erfolge als Erklärbär in schwieriger Zeit. Durch seine retardierende Ausdrucksweise, die die allmähliche Verfertigung des Gedankens beim Sprechen spürbar machte, kam er den Menschen besonders nahe. Politische Ratlosigkeit? Kein Problem, wenn sie denn in problemorientierter Gewissenhaftigkeit vorgetragen wurde.

Robert Habeck – ein Erklärbär in schwieriger Zeit

Habecks ehrgeizige Kollegin im Außenamt, Annalena Baerbock, schienen die Sympathien nicht zuletzt deshalb zuzufliegen, weil sie Lektionen nachholender Professionalisierung im Eiltempo absolvierte und dabei stets blendend aussah. War politischer Gestaltungswille zuletzt an Unbedingtheit und Null-Fehler-Toleranz gekoppelt, so reüssierte Baerbock mit einer erstaunlichen Lernquote nach einer Anhäufung kleinerer und grober Schnitzer. Misogyne und altersrassistische Häme waren so gesehen für sie nur eine Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein.

Seit ein paar Wochen jedoch ist es vorbei mit der emotionalen Resilienz. Es herrscht ein Klima des Vertrauens auf Entzug. Vielleicht begann alles in jenem unglücklichen Augenblick, in dem sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser in weißer Bluse auf die Tribüne eines Stadions im Emirat Katar setzte, um ihre Standfestigkeit in Menschenrechtsfragen per Armbinde zu demonstrieren. Im Rückblick offenbart die Szene eine Hypertrophie politischer Zeichenhaftigkeit, in der Verweise aufs Augenmaß und Handlungsgebote wie „First things first“ seltsam aus der Zeit gefallen scheinen.

Henry Kissingers kühler Pragmatismus

Wie wohltuend wirkt dagegen ein abgeklärter Pragmatismus, wie ihn der frühere US-Außenminister Henry Kissinger kurz vor seinem 100. Geburtstag in einem Interview offenbarte. Für Bundeskanzler Scholz hatte er zwar keine Umarmung übrig, aber er traut ihm doch die einzigartige Aufgabe zu, mehr Autonomie im Verhältnis zu Amerika anzustreben, ohne dabei die atlantische Einigkeit zu gefährden. Diese Balance zu finden, sei extrem schwierig, so Kissinger.

Nach welchen Prinzipien das Verhältnis von Nähe und Distanz im System Kissinger einmal aufgebaut war, verrät eine knappe Bemerkung über den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder und dessen Beziehung zu Wladimir Putin. Er, Kissinger, habe Putin wiederholt getroffen, auch zu Gesprächen unter vier Augen. Aber während Schröder wohl eine persönliche Beziehung zu Putin unterhalten habe, sei Kissinger diesem nie privat begegnet. „Meine Beziehungen zu Putin waren rein strategisch und konzeptionell“, so Kissinger in der Wochenzeitung Die Zeit. Vornehmer und prägnanter lässt sich das politische Dilemma, in das sich Ex-Kanzler Schröder begeben hat, nicht formulieren.

Mit Kissinger, dem von linken Kritikern weitgehend abgesprochen wird, je über eine politische Moral verfügt zu haben, möchte man angesichts geopolitischer, ökonomischer und ökologischer Krisen auf eine gebotene Entemotionalisierung politischer Aushandlungsprozesse drängen.

Wie die aussehen kann, hat unlängst der Soziologe Heinz Bude in einem Vortrag über den „Abschied von den Boomern“ angedeutet, jener Generation, der auch Bundeskanzler Olaf Scholz, Jahrgang 1958, angehört. Der im Vergleich mit vorangehenden Alterskohorten eher unauffälligen Generation bescheinigt Bude trotz ihrer ironischen Skepsis ein Gespür für den Ernstfall. Ihr Sinn für Kontingenz habe sie vor falschen Utopien bewahrt. Ihre politischen Überzeugungen verfolgen sie mit Wirkungswillen ohne Letztbegründung. Die Stunde des kühlen Pragmatismus der Generation Scholz steht demnach erst noch bevor.