Zur Charakteristik eines Skandals gehört seine erdrutschartige Wirkung. Was eben noch als leichte Verfehlung durchzugehen schien – Reiseeinladung, Massagesitze –, ergießt sich plötzlich zu einem Strom aus Schlamm, in dem viel mehr mitgerissen wird als das Ansehen einer Führungskraft am Ende ihrer beruflichen Laufbahn. Es ist ein Schiffbruch mit Zuschauer, und zur sachlichen Aufarbeitung gesellt sich ein zorniges Publikum, das sich betrogen fühlt.
Mit dem Eingeständnis individuellen Versagens ist es nun nicht mehr getan. Lustvoll wird eine Systemkrise ausgerufen, am Abgrund befindet sich nun auch jene Ordnung, die lange verlässlich den privaten Bilderhaushalt beliefert hat. War das Programm nicht schon immer eine Beleidigung der eigenen Intelligenz? Warum also nicht einfach weg damit?
Gegen die affektive Wucht, mit der die öffentlich-rechtlichen Medien als Ganzes preisgegeben werden sollen, möchte ich den Gedanken etablieren, dass sie erfunden werden müssten, wenn es sie nicht gäbe. Sicher: Das klingt wie ein Auszug aus einem wohlfeilen Programmpapier. Wir brauchen solidarisch finanzierten Journalismus, sagt denn auch Leonard Novy, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik. In Zeiten eines neuen Strukturwandels der Öffentlichkeit, der Desinformation mit sich schleppt und in dem Polarisierung goutiert wird, müsste dies ein Journalismus sein, der sich am Gemeinwohl orientiert und Bürger nicht primär als Konsumenten adressiert.
Auf den Schutthaufen der Mediengeschichte?
Tatsächlich sind die öffentlich-rechtlich verfassten Medien ein wichtiger Pfeiler einer nach der Zerstörung der demokratischen Ordnung durch den Nationalsozialismus mit Bedacht errichteten pluralen Struktur, die nicht so leicht aus den Angeln gehoben werden kann. Es war nach 1945 gerade nicht die Installierung eines von oben kontrollierten Systems, mit dem die Deutschen wieder mit Information, Unterhaltung und freier Meinungsbildung in Berührung gebracht werden sollten. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung war vor allem auch garantiert durch dynamisch sich aufeinander beziehende Kräfte eines privatwirtschaftlich aufgebauten Pressewesens und einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der seine Legitimation aus wechselseitiger Kontrolle von innen bezog.
Wer all dies auf dem Schutthaufen der Mediengeschichte entsorgen möchte, verabschiedet sich auf selbstzerstörerische Weise von einem zentralen Element demokratischer Stabilisierung. Miteinander konkurrierende Printmedien, die mit ihren unterschiedlichen Haltungen zugleich Produkte aus Tendenzbetrieben sind, bilden ein Tandem mit dem Prinzip öffentlich-rechtlich organisierter Programmgestaltung. Außen- und Binnenpluralismus, so die dazugehörenden Fachbegriffe, sind nicht zwingend aufeinander angewiesen, zusammen aber haben sie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend geprägt.
Wie bildet man Diversität ab?
Die letzten 70 Jahre sind nicht spurlos an den öffentlich-rechtlich organisierten Medienhäusern vorübergegangen. Die Kontrollmechanismen, nicht nur in Bezug auf Reisekostenabrechnungen, bedürfen selbst der Kontrolle. In den Rundfunkräten, die man sich nicht zu Unrecht als träge Versammlung von Interessenvertretern vorstellt, sollen die gesellschaftlich relevanten Gruppen vertreten sein. Was in den Anfangsjahren der Republik einer vergleichsweise homogenen Zusammensetzung aus korporatistischen Partnern – Parteien, Religionsgemeinschaften und Verbänden – entsprach, ist längst einer sozialen Dynamik gewichen, die gesellschaftliche Diversität kaum noch nach Proporzkriterien abzubilden vermag. Vermutlich hat das Unbehagen über die schwierige Repräsentanz zuletzt sogar zum Wandel sprachlicher Ausdrucksformen, dem umstrittenen Gendern, beigetragen, das kaum durch den Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Einrichtungen gedeckt sein dürfte. Hier wäre es dringend geboten, nach anderen Formen der Anpassung an die gesellschaftliche Vielfalt zu suchen. Stärker als die Impulse zur Normfindung sollte in den Medien insgesamt das Bedürfnis zur Beschreibung gesellschaftlicher Wirklichkeit ausgeprägt sein.




