Enthüllung des Wall Street Journals

Wagner-Chef Prigoschin: Brachten ihn seine Afrika-Geschäfte zu Fall?

Der Zeitpunkt von Prigoschins mutmaßlichem Tod wirft Fragen auf. Offenbar versuchte der Söldnerführer bis zuletzt, sein Geschäftsimperium in Afrika zu retten.

Die letzte Aufnahme des Söldnerchefs vor dem Flugzeugabsturz: Jewgeni Prigoschin hält eine Video-Ansprache in Mali
Die letzte Aufnahme des Söldnerchefs vor dem Flugzeugabsturz: Jewgeni Prigoschin hält eine Video-Ansprache in MaliUncredited/Razgruzka_Vagnera

Jewgeni Prigoschin dürfte hierzulande besonders für seinen waghalsigen Marsch auf Moskau bekannt sein – und für seine Schimpftiraden gegen den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Doch tatsächlich verfügte der laut Kreml in einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene Söldnerführer auch über ein riesiges Geschäftsimperium in Afrika.

Der Deal funktionierte so: Prigoschins Wagner-Kämpfer führten Aufträge für autoritäre Regime und Warlords in Afrika aus. Und Prigoschin erhielt dafür exklusiven Zugang zu Ressourcen wie Gold, Diamanten, Holz oder Öl. Mit der Zeit baute sich der Söldnerführer ein Netzwerk aus Unternehmen auf, die mit Milliardensummen operierten.

Prigoschin: Vom Elite-Kämpfer zum Verräter

Lange schien der Heerführer der Wagner-Truppen unantastbar. Nicht einmal die Kriegsverbrechen seiner Söldner oder seine Einmischungsversuche in die US-Präsidentenwahl 2016 konnten ihm etwas anhaben: Westliche Staaten verhängten Sanktionen gegen ihn und seine Firmen, das war alles.

Aber nachdem ihm die Militärführung unter Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabschef Gerasimov immer wieder die nötige Munition im Kampf um die Ostukraine verweigert hatten, fällte er eine folgenschwere Entscheidung: Mit mehreren Tausend Mann marschierte Prigoschin am 23. Juni auf Moskau zu, um Russlands militärische Führung zu entmachten.

Nach der Hälfte der Strecke, ungefähr 200 Kilometern, war der Putsch zwar schon gescheitert, doch Prigoschins Schicksal war damit besiegelt. Auch wenn es nicht sein Ziel gewesen war, Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu stürzen: Für den mächtigsten Mann im Kreml war er zum Verräter geworden. Es war offenbar nur noch eine Frage der Zeit, bis Prigoschin die Rache Putins ereilen würde.

Wie Prigoschin versuchte, seine Deals in Zentralafrika zu retten

Angenommen, Prigoschin ist wirklich ums Leben gekommen – und Putin stand hinter dem Absturz des Wagner-Flugzeugs am vergangenen Mittwoch. Warum wurde Prigoschin ausgerechnet jetzt aus dem Verkehr gezogen?

Das Wall Street Journal liefert zumindest einige Anhaltspunkte dafür, warum es ausgerechnet jetzt dazu gekommen war. Die Spuren führen nach Afrika – mitten ins Firmen-Netzwerk von Prigoschin. Die Journalisten der amerikanischen Zeitung sind Prigoschins Reiseziele bis kurz vor seinem mutmaßlichen Tod durchgegangen. Die Recherchen belegen, dass Prigoschin am Freitag vor einer Woche in die Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik Bangui geflogen war.

Prigoschin umtrieb eine gewichtige Sorge. Würde er nach dem Marsch auf Moskau einen seiner wichtigsten Klienten verlieren? Offenbar war ihm nach seiner missglückten Meuterei nur an einem Ziel gelegen: Die Kontrolle über sein afrikanisches Geschäftsimperium zu behalten – um jeden Preis, spekulieren die Journalisten des Wall Street Journals.

Denn für den zentralafrikanischen Diktator Faustin-Archange Touadera war Prigoschin zunehmend zum Risiko geworden. Während seines Aufenthalts in Bangui soll Prigoschin vergeblich versucht haben, Touadera von einer Fortsetzung seiner Kooperation mit den Wagner-Truppen zu überzeugen, so das Wall Street Journal.

Schon zuvor waren die Beziehungen zwischen beiden Männern deutlich abgekühlt. Touadera verzichtete während des Afrika-Gipfels in St. Petersburg vergangenen Monat auf öffentliche Fotos mit Prigoschin. Dem Medienbericht zufolge soll Putin ihm persönlich geraten haben, von Prigoschin Abstand zu nehmen.

„Ich brauche mehr Gold“, soll der Söldnerführer gesagt haben

Doch Prigoschins Entmachtung hat eine Vorgeschichte. Wie das Wall Street Journal berichtet, sollen russische Diplomaten noch im Juni in diverse afrikanische Länder geflogen sein, um Prigoschins Kunden klarzumachen, dass sie fortan nur noch mit dem russischen Staat Geschäfte machen dürften.

Schritt für Schritt entmachtete der Kreml die Wagner-Gruppe: Während Prigoschin nach der gescheiterten Meuterei mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko einen Deal aushandelte, um seinen Ruhestand in Belarus zu verbringen, entglitt ihm die Kontrolle über sein Geschäftsimperium.

Ermittler durchsuchten die Wagner-Zentrale in St. Petersburg und Prigoschins privates Anwesen. Sie beschlagnahmten kistenweise Beweismaterial. Doch Prigoschin machte keine Anstalten, sich wie vereinbart nach Belarus zurückzuziehen. Er bot der Militärregierung im Niger seine Hilfe an, reiste nach Zentralafrika, äußerte sich auf Telegram über die Aktivitäten seiner Söldner.

Vorvergangenen Samstag, einen Tag nach Prigoschins Gespräch mit Touadera, sollen ihm dann sudanesische Rebellen in Bangui barrenweise Gold übergeben haben – eine Bezahlung für die Dienste von Prigoschins Kämpfern. Wie ein angeblicher sudanischer Augenzeuge dem Wall Street Journal berichtet, soll der Wagner-Chef darauf entgegnet haben, er brauche mehr Gold.

Aus Bangui führt die Route von Prigoschins Flugzeug nach Mali, wo der Söldnerführer für eine Video-Ansprache vor Armee-Geländewagen posierte und über Russlands angebliche Größe in Afrika schwärmte. Das ist die letzte öffentlich verfügbare Videoaufnahme von Prigoschin. 

Könnte Waffenhändler Viktor Bout auf Prigoschin folgen?

Einen Tag vor Prigoschins Flugzeugabsturz, so der Medienbericht, besuchten russische Diplomaten Libyen. Auch dort soll der herrschende Warlord Khalifa Haftar wegen des Aufstands der Wagner-Söldner nervös geworden sein und einen direkten Vertrag mit dem russischen Staat angestrebt haben.

Wie Prigoschin darauf reagiert hat, ist nicht überliefert. Am Mittwochabend, um 18.19 Uhr Ortszeit zerschellte das Flugzeug, dessen prominentester Passagier er laut Passagierliste gewesen war, in der Oblast Twer. Alle Spuren weisen darauf hin, dass Prigoschin in Begleitung seiner wichtigsten Kommandeure aus Moskau nach St. Petersburg fliegen wollte.

Noch ist unklar, wer Prigoschins Nachfolger werden könnte. Als möglicher Kronprinz gilt Viktor Bout, ein internationaler Waffenhändler aus Russland, der erst vor kurzem aus einem Gefängnis in den USA infolge eines Gefangenenaustauschs freigekommen war. Bout soll sich dem Wall Street Journal zufolge im Auftrag des Kreml ebenfalls mit afrikanischen Staatschefs während des Afrika-Gipfels in St. Petersburg getroffen haben.

Und was ist mit den Wagner-Söldnern selbst? Auf den offiziellen Kanälen der Söldnergruppe ist nur der Hinweis zu lesen, dass sich kein Kommandeur der Wagner-Gruppe bislang zu Prigoschins angeblichem Tod geäußert habe. Ob es womöglich Pläne vonseiten der Söldner gibt, sich für die mutmaßliche Ermordung ihres Anführers zu rächen, ist nicht bekannt.