Asyl

UNHCR: So viele Flüchtlinge wie noch nie

Laut UNHCR haben Kriege und Krisen so viele Flüchtlinge wie noch nie aus ihrer Heimat vertrieben. Die Zahl der Ukrainer, die in Deutschland Schutz suchen, sinkt derweil. 

Derzeit haben Kriege und Krisen laut UNHCR so viele Flüchtlinge wie noch aus ihrer Heimat vertrieben
Derzeit haben Kriege und Krisen laut UNHCR so viele Flüchtlinge wie noch aus ihrer Heimat vertriebenPaul Zinken/dpa

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat 110 Millionen Flüchtlinge weltweit gezählt. Das teilte die Organisation am Mittwoch in Genf mit. Damit befinden sich so viele Menschen wie noch nie auf der Flucht. Zwei Drittel der Geflüchteten seien ihren Heimatländern geblieben. Im Juni 2022 waren mit rund 100 Millionen Menschen weniger Menschen auf der Flucht. 

Die Zahlen seien verheerend, sagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi. „Es ist ein Armutszeugnis für den Zustand unserer Welt“, meinte er. Es gebe immer mehr Krisen, aber kaum Lösungen. Für 5,7 Millionen im eigenen Land Vertriebene endete die Flucht im vergangenen Jahr, aber nur 340.000 Flüchtlinge kehrten aus dem Ausland in ihre Heimat zurück.

Zahl der Flüchtlinge aus Ukraine sinkt, Anteil aus anderen Ländern steigt

Derweil geht die Zahl der Menschen aus der Ukraine, die in Deutschland Schutz suchen, zurück. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des CDU-Bundestagsabgeordneten Mathias Middelberg hervor. Im April flüchteten 19.300 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland, im Mai waren es nur noch 15.600. In den ersten drei Monaten des Jahres waren noch insgesamt rund 81.600 Einreisen aus der Ukraine erfasst worden. Der Anteil der Schutzsuchenden aus anderen Ländern nimmt dem Bericht zufolge zu. 

Middelberg forderte von der Bundesregierung, die EU-Asylreform nicht „weiter aufzuweichen.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) solle dafür sorgen, dass der Kompromiss zügig umgesetzt werde, „damit die Asyl-Ankunftszahlen in Deutschland endlich zurückgehen“, sagte Middelberg. Die Sorgen der Kommunen „hinsichtlich eines Endes der Aufnahmefähigkeit“ würde immer drängender.

Migration und Flucht dürften nicht in einen Topf geworfen werden, sagte Grandi. Wenn reichere Länder mehr legale Wege der Einwanderung für Menschen böten, die in einem anderen als ihrem Heimatland Arbeit suchten, würden weniger Migranten Asyl beantragen, sagte er. Asyl und ähnlicher Schutz ist Menschen vorbehalten, die vor Krieg, Konflikten, Verfolgung und Gewalt fliehen. Nach der UN-Flüchtlingskonvention sind alle Länder verpflichtet, sie aufzunehmen.

2023 in den ersten fünf Monaten 70 Prozent mehr Flüchtlinge als 2022

Weil legale Migrationswege fehlten, seien die Asylsysteme überlastet, sagte Grandi. Behörden erkennen bei vielen Asylbewerbern angegebene Fluchtgründe aber nicht an. Schutzbedürftige gerieten in Verruf, sagte Grandi. 

In Deutschland suchten in den ersten fünf Monaten dieses Jahres  125.556 Menschen Schutz. Das waren fast 77 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die meisten Schutzsuchenden kamen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Flüchtlinge aus der Ukraine werden ohne Asyl-Antrag in EU-Staaten aufgenommen. 

UN-Hochkommissar Grandi äußerte die Befürchtung, dass sich die aktuelle Krise im Sudan ausweiten könnte. Noch seien Hunderttausende Geflohene in Nachbarländern untergekommen. Aber der Osten des Landes sei als Terrain von Menschenschmugglern bekannt. Wenn Recht und Ordnung im Sudan nicht bald wieder hergestellt würden, könnten diese Schmuggler Sudanesen auf die Fluchtrouten „nach Libyen und weiter“ bringen, wie Grandi sagte. Vom Mittelmeerstaat Libyen starten viele Flüchtlingsboote Richtung Europa. Im Sudan gibt es seit Mitte April einen Machtkampf zwischen Truppen des De-facto-Präsidenten und dessen bisherigem Stellvertreter. Seit dem Beginn der Gewalt sind UN-Angaben zufolge mittlerweile fast 1,9 Millionen Menschen geflohen.

Schnellste Flüchtlingsbewegung seit Zweitem Weltkrieg aus Ukraine

Das UNHCR nannte am Mittwoch die aktuelle Flüchtlingszahl. Der jährliche Bericht „Global Trends“, den es gleichzeitig veröffentlichte, betrachtet die Flüchtlingslage jeweils im vorangegangenen Jahr. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat nach UNHCR-Angaben 2022 die schnellste Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst: Ende 2022 waren nach dem Bericht 5,7 Millionen Menschen innerhalb der Grenzen in der Ukraine vertrieben worden oder ins Ausland geflüchtet. Ende 2022 seien weltweit insgesamt 108,4 Millionen Menschen auf der Flucht vor Verfolgung, Krieg, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und den Folgen des Klimawandels gewesen, 19,1 Millionen mehr als ein Jahr zuvor.

Gut ein Drittel der Vertriebenen flüchtete ins Ausland. Davon waren wiederum Zweidrittel in Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen. Sie harren meist in Nachbarländern ihrer Heimat aus, in der Hoffnung auf eine baldige Heimkehr. Es sei ein Mythos, dass die Flüchtlinge vor allem in reiche Länder etwa in Europa oder Nordamerika strebten, sagte Grandi. Die Türkei beherbergte Ende 2022 die meisten Flüchtlinge, gefolgt vom Iran, wo überwiegend Afghanen unterkamen, Kolumbien und Deutschland.

Die geplante Reform des EU-Asylwesens lobte Grandi. Die EU will Asylsuchende, die aus einem Staat anreisen, der als relativ sicher gilt, künftig nach dem Grenzübertritt in einer Aufnahmeeinrichtung unter haftähnlichen Bedingungen festhalten. Nach einer zügigen Prüfung der Gesuche sollen Abgelehnte umgehend zurückgeschickt werden. Nicht alles sei perfekt, aber wenigstens habe sich die EU überhaupt auf etwas geeinigt, sagte Grandi. Er fügte hinzu: „Wir sind klar der Ansicht, dass Asylsuchende nicht in Gefängnisse gesteckt werden sollten. Asyl zu beantragen, ist keine Straftat.“