Erst laufen am Donnerstagabend vereinzelt ein paar Schauspieler Hand in Hand über den roten Teppich vor dem Berlinale-Palast, dann werden es immer mehr. Und während die Fans vor allem auf Weltstars wie Cillian Murphy („Oppenheimer“) und Matt Damon warten, bildet sich plötzlich eine lange Menschenkette mit Schauspielerinnen wie Katja Riemann und Jella Haase. Ihre Handys leuchten, sie rufen in die Menge: „Es lebe die Demokratie!“ Später hält Topmodel Papis Loveday auf dem roten Teppich ein Schild hoch: „No Racism, no AfD“.
Es ist eines von vielen Zeichen gegen rechts bei der feierlichen Gala zur Eröffnung der 74. Berlinale. Die Botschaften überragen vieles, der Eröffnungsfilm und das Festival kommen am Abend im Berlinale-Palast ein wenig zu kurz.
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Auslöser sind die zuerst ein- und später wieder ausgeladenen AfD-Politiker aus Berlin. Nach den Enthüllungen des Medienhauses Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter am 25. November in Potsdam, bei dem AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion über „Remigration“ gesprochen hatten, schlugen die Wogen hoch. Die Festival-Leitung handelte.
Die Berlinale-Chefs, Carlo Chatrian und Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek, positionieren sich auch bei der Gala erneut. Wer Ausländer raus haben wolle, habe nichts auf der Berlinale zu suchen, sagt Rissenbeek schon auf dem Teppich.

„Hass steht nicht auf unserer Gästeliste“, wiederholt die scheidende Berlinale-Chefin zwei Stunden später vor den mehr als 1000 geladenen Gästen, die ihr heftig applaudieren. Sie fährt fort: Die AfD habe Menschen mit Migrationshintergrund deportieren wollen, „das können wir nicht tolerieren“. Bei dem Festival werde man eine freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigen. Sie wünsche sich eine Berlinale der Solidarität.
Auch die Moderatoren Hadnet Tesfai und Jo Schück greifen es auf, mahnen gegen Intoleranz. „Sei ein Mensch“, zitiert Schück den Satz der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, den zuletzt TV-Legende Marcel Reif, 74, in der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag gesagt und damit viele gerührt hatte.
Filmschaffende setzen auf dem roten Berlinale-Teppich ein Zeichen für Demokratie - gegen Rechtspopulismus und gegen Krieg. #Berlinale2024 pic.twitter.com/WB1OtJk3rV
— Ignacio Rosaslanda (@Talladeboina36) February 15, 2024
Kulturstaatsministerin Claudia Roth äußert sich ebenfalls deutlich: „Wir leben in einer Zeit, die wegen der Krisen uns alle zu überfordern droht.“ Sie erinnert an den Krieg in der Ukraine, an das Terrorregime im Iran und den Nahostkonflikt, „die barbarischen Angriffe der Hamas-Terroristen auf friedliebende Menschen“ bei einem Festival. „Ein Grauen, das noch immer andauert“, so Roth. Sie schlägt eine Brücke zu den antisemitischen Vorfällen in Deutschland. „Unsere Demokratie wird bedroht von Feinden der demokratischen Gesellschaft. Sie wollen Hass und Hässlichkeit.“ Dem müsse man Empathie und Mut entgegensetzen, auch mit Protesten gegen rechts.
Unter den Rednern ist auch Kai Wegner, Berlins Regierender Bürgermeister. Er spricht von einer strahlenden Kultur-Metropole Berlin und würdigt die Veranstaltung als „eine Hommage an die Kreativität, die Vielfalt und die Magie des Films“. Das Filmfest verwandle Berlin „in ein pulsierendes Zentrum für Kunst und Kultur“. Das Festival stehe aber auch für Freiheit, Weltoffenheit und Demokratie. „Für all das steht die AfD nicht“, so der CDU-Politiker Wegner.
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Wegner dankte im Vorfeld schon dem scheidenden Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, die das Filmfest in diesem Jahr zum letzten Mal als Intendanten organisieren. Beide hätten die Veranstaltung durch „schwierige Jahre geführt“ und ihr „auch eine politische Prägung gegeben“, so Berlins Regierungschef.
Es gibt beim Festival aber auch andere Stimmen über die ausgeladenen AfD-Politiker. Regisseur Christian Petzold, der dieses Jahr zur Berlinale-Jury gehört, äußert sich am Donnerstagmorgen dazu: „Ich denke, es ist kein Problem, fünf Personen von der AfD im Publikum zu haben. Wir sind keine Feiglinge. Wenn wir es nicht aushalten, dass fünf Personen von der AfD im Publikum sitzen, werden wir unseren Kampf verlieren.“
Die Berlinale 2024 startet am Potsdamer Platz in Berlin - mit Weltstars, Weltpremieren und einer Lichterkette gegen rechts. #Berlinale2024 pic.twitter.com/wfsbyWjqiF
— Ignacio Rosaslanda (@Talladeboina36) February 15, 2024
Die Jury-Präsidentin, Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o, betont: „In den 48 Stunden, die ich hier bin, ist es eines der Dinge, die immer wieder erwähnt werden: wie politisch die Berlinale ist.“
Neben den politischen Protesten gibt es natürlich auch Glamour: Berlinale-Dauergäste wie Christiane Paul und Top-Model Toni Garrn schreiten über den Teppich. Aber auch sie sind dabei: die Schauspielerinnen Saoirse Ronan („Lady Bird“), Iris Berben, die Arm in Arm mit Michel Friedman kommt, sowie Liv Lisa Fries, Vicky Krieps, Lars Eidinger, der in dem diesjährigen Wettbewerbsfilm „Sterben“ mitspielt, ebenso wie seine Film-Kollegin Lilith Stangenberg.
Auf der Gästeliste stehen weitere Stars, auch fern des Schauspiels, wie Ex-Fußballer Philipp Lahm. Oder Politiker wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der mit seiner neuen Freundin, der Journalistin Elisabeth Niejahr, zur Gala kommt. Auch gesehen: Bundesfamilienministerin Lisa Paus, Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey, aber auch Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe.
Und auch sie ist bei der Gala dabei – die kommende Berlinale-Intendantin Tricia Tuttle, die inoffiziell hier ist. Noch hat sie ihr Amt nicht angetreten.

Kreischalarm gibt es, als Hollywood-Star Matt Damon und Cillian Murphy erscheinen. Die Schauspieler schreiben eifrig Autogramme, lassen sich mit den Fans fotografieren. Murphy macht der Hauptstadt schon am Vormittag eine Liebeserklärung. „Ich liebe Berlin, das ist mein fünftes Mal bei den Berliner Filmfestspielen“, sagt der 47-Jährige am Donnerstag bei einer Pressekonferenz zum Berlinale-Eröffnungsfilm „Small Things Like These“. Er fügt hinzu: „Ich liebe es, hierherzukommen, also nehme ich mir immer Zeit dafür.“
Murphy, der im März für seine Hauptrolle in „Oppenheimer“ auf einen Oscar hoffen darf, stellt bei dem Festival das irisch-belgische Drama von Regisseur Tim Mielants vor. Es ist der Eröffnungsfilm, sehr bedrückend mit einem wortkargen Murphy als Kohlenhändler. Am Abend sehen ihn die geladenen Gäste bei der Gala. Matt Damon ist der Produzent. In der Romanverfilmung geht es um die jahrzehntelange Ausbeutung von Frauen in kirchlichen Einrichtungen in Irland.
Die Berlinale 2024 läuft noch bis 25. Februar. Bis dahin gibt es Kino pur – und viele Partys. Gezeigt werden 233 Filme aus 80 Ländern. Ins Rennen um den Goldenen Bären gehen insgesamt 20 Filme. Star-Regisseur Martin Scorsese erhält dieses Jahr den Goldenen Ehrenbären.






















