Vor Gericht

Berliner rastet nach Klingelstreich aus: Aber hat er auch Kinder geschlagen?

Ein Nachbar soll zwei Kinder nach einem Klingelstreich mit einem Stock geschlagen haben. Staatsanwalt und Richterin haben es schwer, an die Wahrheit zu kommen.

Der Angeklagte soll zwei Kinder geschlagen haben. Doch die Richterin zweifelt an den Zeugenaussagen.
Der Angeklagte soll zwei Kinder geschlagen haben. Doch die Richterin zweifelt an den Zeugenaussagen.Olaf Wagner/Pressefoto Wagner

Der Angeklagte Ghasan T. schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, um zu zeigen, wie ihn die Anschuldigung schockiert: Er soll zwei Nachbarskinder nach einem Klingelstreich mit einem Stock geschlagen haben. Der 56-Jährige hat sich zum Gerichtstermin schick gekleidet, er trägt Anzug, Hemd und Lederschuhe. Er hat selbst drei Kinder und behauptet, noch nie ein Kind geschlagen zu haben. Zur Verhandlung am Dienstagvormittag sind außer den Geschädigten, die mittlerweile eher Teenager sind, jeweils ein Elternteil als Begleitung erschienen.

Die meisten Kinder haben schon einmal einen Klingelstreich gemacht. Vorzugsweise bei den Nachbarn, bei manchen immer wieder. Der Grund? Langeweile oder einfach Spaß. Ghasan T. soll deshalb ausgerastet sein. Ob er gewalttätig wurde, bleibt auch nach der Verhandlung im Amtsgericht Tiergarten unklar.

In der Anklageschrift wirft der Staatsanwalt dem Angeklagten vor, die damals elf- und zwölfjährigen Kinder nach einem Klingelstreich am 4. Juni 2021 körperlich misshandelt zu haben. Er habe sie mit der Hand in den Nacken und eines mit einem herumliegenden Holzstock geschlagen.

13-Jähriger verstrickt sich in Widersprüche

Vor Beginn der Verhandlung spielen die Jungs mit ihren Handys, sie tragen schwarze Markensportkleidung. Der Jüngere setzt seine Kapuze ab, als er den Gerichtsaal betritt. Dort verstrickt er sich in Widersprüche: Zuerst sagt der 13-Jährige, dass Ghasan T. nur seinen Freund geschlagen habe. Vorher habe er die beiden bedroht und an ihren T-Shirts gezerrt. Dann liest die Richterin ihm seine Aussage vor, die er vor zwei Jahren bei der Polizei gemacht hat: Dort habe er ausgesagt, dass er geschlagen wurde, mit der Hand und einem Stock. „Ich weiß nicht mehr, vielleicht hat er mich geschlagen“, sagt er dann.

Ein weiteres Detail in seiner Aussage sorgt für Verwirrung: Zuerst sagt der Schüler, sie hätten sich hinter einem Busch in einem kleinen Waldstück versteckt, dann doch hinter einem Auto. Die Mutter, die neben ihrem Sohn sitzt, will erklären, was er meint, doch die Richterin unterbricht sie: „Die Aussage des Kindes muss authentisch sein“, sagt sie. Über die „verwirrte Aussage“ ihres Sohns sagt die Mutter später vor dem Saal: „Das ist zwei Jahre her. Und dann das Adrenalin.“

Der zweite Junge sagt, dass sie an dem besagten Tag gar nicht geklingelt, sondern nur vor dem Haus gespielt hätten. Grund für die Wut des Angeklagten seien vorangegangene Klingelstreiche gewesen. Ghasan T. habe sie verfolgt, sich hinter ihnen durch das Loch im Bauzaun gequetscht und ihn mit der Hand in den Nacken und einem Stock auf den Hinterkopf geschlagen. Es habe danach „ein bisschen“ weh getan. Eine seiner Aussagen erklärt die Geschichte mit dem Auto: Bei einem vorigen Klingelstreich habe sein Freund sich erfolgreich hinter einem Auto versteckt und er selbst hinter einem Busch.

Entschuldigung abgelehnt

Ghasan T. nutzt seine Aussage vor allem, um der Richterin zu erklären, wie er unter der Anklage leide. „Warum tut man mir das an?“, fragt er. „Die psychische Belastung macht mich gesundheitlich fertig.“ Zur Sache sagt er, dass die beiden hinter einen Bauzaun geflüchtet seien, das Loch sei zu klein gewesen, sodass er nicht folgen konnte. „Ich habe sie verwarnt und angeschrien“, sagt er. „Es tut mir leid, dass ich ihnen Angst eingejagt habe.“ Mehr als sechs Monate lang hätten die beiden bei ihm geklingelt. Seine Tochter ging mit einem der Jungen in eine Klasse, sie habe erzählt, dass er in der Schule Probleme habe und öfter „fantasiere“.

Eine Verletzung vom Schlag sei nicht zu erkennen gewesen, sagt der Vater des älteren Jungen, zu dem beide direkt nach dem Vorfall kamen. „Sie waren völlig aufgelöst“, sagt er. „Und das T-Shirt war ausgeleiert.“ Danach ging der Vater zu Ghasan T., um ihn zur Rede zu stellen.

Die Richterin stellt das Verfahren gegen eine Zahlung von 500 Euro an das SOS-Kinderdorf ein, die der Angeklagte in fünf Raten bezahlen will. Sie und der Staatsanwalt seien der Überzeugung, da sei mehr gewesen, als der Angeklagte zugibt, und weniger, als die beiden Zeugen behaupten. Für die Bedrohung als Straftatbestand sei der genaue Wortlaut nötig, an den sich die Geschädigten aber beide nicht erinnern konnten.

Eine Entschuldigung des Angeklagten nach der Bekanntgabe dieser Einigung, um „friedlich miteinander zu leben“, lehnt der Vater entschieden ab. „Das kann ich nicht akzeptieren“, sagt er. „Ich weiß, wie aggressiv Sie waren.“ Ghasan T. sei mit einem „blauen Auge davongekommen“, während sein Sohn ständig an seinem Haus vorbeigehen müsse.

Auch als der Vater das Gericht verlässt, schüttelt er noch den Kopf: „Die dumme Entschuldigung, oh Mann“, sagt er zu seinem Sohn, bevor sie ins Auto steigen.