Rechtsanwältin Regine Götz legt ihre Hand auf einen vollen Ordner. Diese Akte nennt sie „dünn“, ihrer Ansicht nach fehlen die ausführliche Befragung der Polizisten und des behandelnden Arztes. Götz hat Beschwerde eingelegt und diese nun ausführlich begründet, dagegen dass die Staatsanwaltschaft das Todesermittlungsverfahren im Fall von Kupa Ilunga Medard Mutombo eingestellt habe. Laut Staatsanwaltschaft gebe es zu wenig „Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden“.
Reachout, eine Beratungsstelle für Opfer von rassistischer Gewalt, hat deshalb zu einer Pressekonferenz geladen. Ihre Frage lautet: „Wie starb Kupa Ilunga Medard Mutombo?“ Nach einem Polizeieinsatz in Spandau am 14. September 2022 fiel der 64-jährige Mutombo ins Koma und starb drei Wochen später. Der Mann war schizophren, lebte in einem Wohnheim und sollte in eine Klinik gebracht werden. Das hatte das Gericht beschlossen und dafür die Hilfe der Polizei angefordert. So steht es im Polizeibericht. Die ursprünglich drei Beamten forderten Verstärkung, mindestens zehn weitere Polizisten rückten mit Polizeihunden an.
Es bleiben Fragen offen
Mutombo Mansamba ist der Bruder des Toten. Der 67-Jährige ist wütend, weniger auf die Polizisten, wie er sagt, sondern vor allem auf die „schlampige Arbeit der Staatsanwaltschaft“. Im Gegensatz zu Reachout spricht er nie von Mord. Er sagt nur: „Der Staatsanwalt erklärt nicht, wie mein Bruder gestorben ist.“ Im Oktober 2022 war er noch sicher, dass das Ermittlungsverfahren die Umstände des Todes seines Bruders klären werden. Nun füllen seine Wut und Enttäuschung den Raum von Reachout in Friedrichshain.
In der Tat bleiben bis heute nach Abschluss der Ermittlungen viele Fragen offen: Warum verordnete eine Richterin die Anwesenheit der Polizei, obwohl ein früherer Transport ins Krankenhaus ohne Polizei und ohne Zwischenfälle verlief? Warum hat das LKA nicht alle Polizisten und Augenzeugen befragt, die am Tatort waren? Warum wurde Mutombo nach der Einlieferung ins Krankenhaus nicht rechtsmedizinisch untersucht?
Anwältin Regine Götz hält den gesamten Polizeieinsatz für unverhältnismäßig. „Statt Verstärkung anzufordern hätten die Polizisten einen Arzt rufen können, der ihm ein Beruhigungsmittel gibt.“ Götz spricht von einem „lagebedingten Erstickungstod“. Dazu könne es kommen, wenn starke körperliche Anstrengung mit Sauerstoffmangel und einer Einschränkung der Atmung einhergeht. Das sei schon allein durch die Bauchlage gegeben, die durch das Anbringen von Handfesseln verstärkt werde.
Auf Anfrage teilte die Staatsanwaltschaft der Berliner Zeitung mit, dass bei der Obduktion und Untersuchung des Gehirns eine Hypoxie, also Sauerstoffmangel, festgestellt wurde. Daneben seien keine anderweitigen krankhaften Veränderungen festgestellt worden. Trotzdem kommt die Staatsanwaltschaft zu einem anderen Schluss als Götz: „Die Todesursache bleibt weiterhin unklar“, sagt Pressesprecher Sebastian Büchner. Am wahrscheinlichsten sei ein Kreislaufzusammenbruch in Zusammenhang mit einer emotionalen Stressreaktion nach Absetzung von Medikamenten, so Büchner.
Götz spricht hingegen von einem „Teufelskreis“: Durch die Adrenalinausschüttung werde mehr Sauerstoff benötigt, der wiederum durch die Beamten eingeschränkt wurde. Sie bezieht sich dabei auf einen Vermerk in der Akte, auf den der Staatsanwalt nicht weiter eingegangen sei: Die Aussage eines Polizeibeamten, ein Arzt habe von einem „lagebedingten Erstickungstod“ gesprochen. Ein Zeuge habe zudem angegeben, dass die Beamten auf Mutombo gekniet haben und das in seiner offiziellen Aussage wiederholt.
Keine Hinweise auf Drogen- oder Alkoholmissbrauch
Eine chemisch-toxikologische Untersuchung der Haare des Verstorbenen ergab laut Büchner keine Hinweise auf die Einnahme von Betäubungsmitteln oder übermäßigen Alkoholkonsum zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes. Er weist allerdings darauf hin, dass keine Proben vom Tag des Polizeieinsatzes vorlagen. Mutombo wurde nicht rechtsmedizinisch untersucht, da die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht ermittelte.
Deshalb seien auch äußere Verletzungen nicht mehr feststellbar gewesen, so Götz. Im Polizeibericht über den Einsatz sei von einem plötzlichen Kreislaufzusammenbruch die Rede gewesen, sagt Götz, möglicherweise aufgrund einer Intoxikation oder wegen Absetzung der Medikamente, die Mutombo wegen der Schizophrenie eingenommen habe. Mansamba betont aber auf der Pressekonferenz, dass Mutombo seine Medikamente damals bereits seit Monaten abgesetzt habe. Das sei der Anlass gewesen, einen Transport ins Krankenhaus anzuordnen.
„Ich habe das Gefühl, dass die Beamten absolut nichts zu befürchten hatten“, sagt Mansamba. Das Gefühl habe ihm unter anderem Polizeipräsidentin Barbara Slowik gegeben, die bereits zu Beginn der Ermittlungen verkündete, dass es keine Hinweise auf Fremdverschulden gebe. Der Abschnitt des LKAs, der normalerweise für Tötungsdelikte zuständig sei, habe auch nach dem Tod seines Bruders abgelehnt die Ermittlungen zu übernehmen.
So ermittelten Beamte, die normalerweise mit kleinen Körperverletzungen im Polizeidienst zu tun und keine Erfahrung auf diesem Gebiet haben, erklärt Götz. Die beteiligten Polizeibeamten hätten größtenteils nur schriftlich Stellung genommen, der behandelnde Arzt wurde gar nicht befragt. „Eine Vernehmung des behandelnden Arztes erschien angesichts der Erkenntnisse der Rechtsmedizin nicht zielführend“, sagt Büchner dazu.



