Es ist so voll, dass die Menschen ganz hinten gar nicht mehr im Zelt sitzen können, sondern vor dem Eingang stehen müssen, um zuzuhören. Gespannt lauschen sie einem Vortrag über „Soli-Asyl“, das bedeutet jemandem ein Zimmer anzubieten, der von Abschiebung bedroht ist. Hinter ihnen sitzen Menschen auf der Wiese und essen, spülen ab, putzen sich die Zähne oder verschwinden in einer der Komposttoiletten.
Rund 500 Aktivistinnen und Aktivisten sind an diesem Samstag zum „Stop Deportation!“-Protestcamp nach Kiekebusch in der Nähe des Flughafens BER gekommen. „Wir platzen aus allen Nähten“, sagt Amy Amoakuh, Sprecherin der Initiative „Abschiebezentrum am BER verhindern“, die das Protestcamp mitorganisiert.
Viele weitere Organisationen beteiligen sich an der Aktion, darunter zum Beispiel „Ihr seid keine Sicherheit!“ und „No Border Assembly“. Die Teilnehmenden sind vom 2. bis zum 6. Juni hier, um sich zu vernetzen und voneinander zu lernen. Das gemeinsame Ziel: Den Bau des geplanten Ein- und Ausreisezentrums am Terminal 5 abzuwenden.
Neben einem Funktions- und Justizgebäude soll hier bis 2026 ein Gewahrsams- und Transitgebäude für 120 Inhaftierte gebaut werden. Zudem ein Rückführungsgebäude zur Abwicklung der Abschiebungen. Als langfristige Untermieter sollen die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einziehen. Dadurch das alle Behörden an einem Ort sind, sollen Schnellverfahren effizienter abgewickelt werden können. Pro Asyl bezeichnet diese als „Rechtsstaatlich höchst problematisch“.
Gebaut wird das Gebäude durch einen Investor, mieten soll es dann das Land Brandenburg. Der Haushaltsplan sieht ab 2026 Mieten in Höhe von 315 Millionen Euro vor. Recherchen des RBB und FragDenStaat.de haben ergeben, dass die Entscheidung auf dieses Anmietungsmodell gefallen ist, weil andernfalls der ehemalige linke Landesfinanzminister Christian Görke den Bau verhindert hätte.
Die Behörden wollten das Camp verhindern
„Wegen dieser Umstände, sehen wir auch die Möglichkeit, das Abschiebezentrum noch zu verhindern“, sagt Amoakuh. Sie muss laut sprechen, wegen eines Flugzeuges, das dicht über dem Camp zur Landung ansetzt. Die Aktivistin ist überzeugt, dass die Regierung in Zukunft planen werde, mehr Abschiebungen durchzuführen.
Die Migrationspakete, die die Ampel auf den Weg gebracht hat, sieht sie als Plan, reguläre Migration ausgebildeter Menschen zu ermöglichen und gleichzeitig irreguläre Migration stärker zu begrenzen. „Asylverfahren sollen in Zukunft vermehrt an den Außengrenzen stattfinden“, sagt Amoakuh. Sie befürchtet, dass das Abschiebezentrum in Berlin Vorbild für weitere Orte in Europa sein könnte, an denen die Abschiebung im größeren Maßstab abgewickelt wird.
Die Versammlungsbehörde der Polizei Brandenburg hatte den ersten Standort für das Camp aufgrund von Munitionsbelastung im Boden abgelehnt. Nachdem die zweite Fläche aufgrund von Naturschutzbedenken ebenfalls nicht genehmigt werden sollte, klagten die Organisatoren und bekamen vor dem Oberlandesverwaltungsgericht recht. Am gleichen Ort soll einige Monate später ein Festival stattfinden und auch Quad-Touren seien hier buchbar, sagt Amoakuh.

Sie führt über das Camp: Auf einer Wiese stehen Solarzellen, eine Frau transportiert benutztes Spülwasser in einem Fahrradanhänger und an manchen Zelten hängen Banner mit der Forderung, die Abschiebepraxis zu stoppen.
Die Stimmung ist entspannt. Menschen mit Piercings, Buttons und bunten Haaren schlendern über den Zeltplatz, viele davon sind nicht weiß. Eine Frau lacht, als die Mitfahrgelegenheit an den drei Polizeiwagen, die unweit des Camps stehen, vorbeifährt – viel Präsenz für wenig Aufstand. Aktionen des zivilen Ungehorsams seien nicht geplant, sagt Amoakuh, das könnte unter Umständen das Bleiberecht der Geflüchteten gefährden, die unter ihnen seien und von Abschiebung bedroht sind.
Einen offenen Raum schaffen
Aktivist Rex Osa aus Stuttgart findet, es seien noch zu wenige Geflüchtete in dem Camp. „Das fehlt“, sagt er. „Bei meinem ersten Camp war ich nur zum Spaß: kostenloses Essen und Freunde finden.“ Es gehe darum, einen offenen Raum zu schaffen, in dem das Bewusstsein für die Themen entsteht. Er bezeichnet diesen Ort als „Powerhouse“, in dem sich Mitglieder der verschiedenen Organisationen nach langer Zeit wiedersehen und nach dem Austausch wieder durchstarten. „Eigentlich ist das ein Ort für mich“, sagt er. „Aber wegen meiner Pollenallergie kann ich nicht hier schlafen.“
Der Aktivist engagiert sich unter anderem in seinem Herkunftsland Nigeria, kümmert sich um abgeschobene Menschen nach der Ankunft und klärt darüber auf, „wie brutal Migration ist“. Jeder habe das Recht zu migrieren, doch er will die Menschen darauf vorbereiten, was auf sie zukommen könnte. „Siebzig Prozent sind nach der Flucht traumatisiert, viele werden psychisch krank“, sagt er.

Der 50-jährige Rex Osa öffnet seine Limo mit den Zähnen, er spricht ausführlich über das Asylsystem, weniger über seine eigene Erfahrung. Auch er sei dreieinhalb Jahre von Abschiebung bedroht gewesen, bis er im zweiten Asylverfahren den unbefristeten Aufenthalt bestritt. Von der „Bewegungsstiftung“ bekommt er die Mindestsicherung für seine aktivistische Arbeit bei Refugees for Refugees.




