Ein junger Russe weigert sich, gegen die Ukraine in den Krieg zu ziehen. Als der 25-Jährige den Einberufungsbefehl zur russischen Armee bekam, flüchtete er nach Berlin. Doch Deutschland will Nikita R. abschieben. Seit Ostern befindet er sich nun im Kirchenasyl der Evangelischen Verheißungskirchengemeinde Neuenhagen-Dahlwitz. Das bestätigte deren Pfarrer Sven Täuber am Mittwoch der Berliner Zeitung. Wo genau sich Nikita R. aufhält, will der Pfarrer nicht sagen.
Nikita R., über dessen Fall die Berliner Zeitung am 21. Februar berichtete, stammt aus Nowosibirsk. Wegen des besseren Verdienstes arbeitete der Russe im vergangenen Jahr in Polen in der Nähe von Katowice in einer Fleischfabrik. Im August bekam er den Einberufungsbefehl, den ihm seine Großmutter per Mail nach Polen übermittelte.
Weil er nicht töten will und weil er in der Ukraine selbst Verwandte hat, setzte sich der Wehrdienstverweigerer nach Berlin ab, wo seine Mutter und sein Stiefvater leben. Nikita R. beantragte Asyl in Deutschland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Asylantrag als unzulässig ab. Es verfügte, dass er zurück nach Polen müsse. Denn laut der sogenannten Dublin-III-Verordnung ist das EU-Land für einen Asylbewerber zuständig, über das dieser in die EU eingereist ist. Allerdings lehnt Polen nach Angaben von Flüchtlingsorganisationen die meisten Asylgesuche von Russen ab – was die Abschiebung nach Russland und die Einberufung in die Armee zur Folge hätte.
Gerührt, wie viele Leute spontan zu helfen bereit waren
Am Gründonnerstag entschied das Verwaltungsgericht Berlin, dass Nikita R. Deutschland verlassen müsse. Das Gericht sah in Polen weder „systemische Schwachstellen“, wie etwa das Verwaltungsgericht Hannover in einem ähnlich gelagerten Fall, noch sei eine unmenschliche Behandlung zu befürchten.
Der Berliner Rechtsanwältin Christiane Meusel, die für den 25-Jährigen die Klage gegen die Abschiebung eingereicht hatte, kam daraufhin die Idee, für den Russen das Kirchenasyl zu organisieren. Meusel, die in DDR-Kirchenkreisen aufgewachsen und gut vernetzt ist, schrieb verschiedene Kirchengemeinden an. Und ist jetzt „selbst gerührt, wie viele Leute spontan zu helfen bereit waren“, wie sie sagt.
Christiane Meusel argumentiert: „Bei Abschiebung nach Russland drohen Nikita eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung durch harte Haft oder ein Einsatz gegen die Ukraine. Mittels Einberufungsbefehls wird er gezwungen werden, Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Bevölkerung zu begehen. Bei Nichtbefolgung von Befehlen drohen ihm militärrechtliche Sanktionen bis hin zur Todesstrafe. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde er bereits nach seiner Rückkehr schon deswegen verhaftet und bestraft, weil er sich seiner Einberufung entzogen hat.“

Bundesregierung bekannte sich zu russischen Wehrdienstverweigerern
Im Fall der russischen Kriegsdienstverweigerer versagt die Dublin-III-Regelung schon deshalb, weil es keine Direktflüge von Russland nach Deutschland als „Ankunftsland“ gibt. Christiane Meusel fordert, russische Militärdienstverweigerer mit ukrainischen Flüchtlingen gleich zu behandeln und sie von den Dublin-III-Voraussetzungen zu befreien.
Dazu hatte hatte sich eigentlich die Bundesregierung bekannt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich schon im vergangenen September dafür aus, diesen Menschen Schutz anzubieten. Und auch seine Parteifreundin Nancy Faeser, der das BAMF untersteht, war dafür, dass Personen, die sich „dem russischen Regime“ entgegenstellen und daher „in größte Gefahr“ geraten, Asyl wegen politischer Verfolgung beantragen können. Die Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sei bereits entsprechend angepasst, hatte die Bundesinnenministerin verkündet.
Das ist schlichtweg die Unwahrheit. Das BAMF vertrat noch bis vor kurzem die Ansicht, dass Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren lediglich ein Bußgeld (wie beim Falschparken) oder eine Geldstrafe drohe.


