Serie: Wohn-Wahnsinn Berlin

Mangelware WG-Zimmer in Berlin: „Die Leute bekommen sofort 400 Anfragen“

WG-Zimmer kosten in Berlin 550 Euro im Monat. Und sind kaum zu haben. Wie suchen Studierende richtig? Was hilft? Die Berliner und die Wohnungsnot: unsere Serie.

Simon Arzuman, Student an der TU Berlin, sucht seit Monaten eine Wohnung in Berlin.
Simon Arzuman, Student an der TU Berlin, sucht seit Monaten eine Wohnung in Berlin.Sebastian Wells/OSTKREUZ

Simon Arzuman sucht seinen Aushang an den Säulen im Foyer der Technischen Universität. Die Säulen sind mit Schichten von Abreißzetteln beklebt. Studierende suchen mit diesen Zetteln nach einem WG-Zimmer in Berlin, sie schreiben auf Deutsch und Englisch, geben Handynummer und E-Mail-Adresse an. Viele versichern, dass sie bereits WG-erfahren sind, ordentlich, am Gemeinschaftsleben interessiert.

Sie beschreiben sich als das perfekte Mittelmaß, irgendwo zwischen pflegeleicht und „bloß nicht zu langweilig“. Niemand scheint nur einfach eine Bleibe zu suchen. Dabei dürfte vielen von ihnen jedes Dach über dem Kopf lieb sein, Tausende sind noch ohne Zimmer zu Semesterbeginn.

Die 9378 Plätze in den 33 Wohnheimen des Berliner Studierendenwerks sind belegt. 19.000 Studentinnen und Studenten beginnen im Wintersemester ihr Studium in Berlin und viele wissen noch nicht, wo sie schlafen werden. Es gibt eine Warteliste. Auf ihr standen zum 1. Oktober laut Angaben des Studierendenwerks 4620 Namen.

Selbst für Notunterkünfte in den Heimen fehle der Platz, sagt Ellen Krüger, die Leiterin des Infocenters Wohnen im Studierendenwerk. Sie berichtet von „verzweifelten Anrufen“ von Studierenden. Gerade Semesteranfänger aus dem Ausland irrten nun mit ihrem Gepäck verloren durch die fremde Stadt, um einen Schlafplatz in einem Hostel zu finden.

Zu viele Studierende suchen jetzt ein Zimmer in Berlin – die Preise sind hoch

Wer als Studentin oder Student in Berlin in diesen Wochen eine Unterkunft sucht, wird zermürbt. Die Krise zeigt sich am Angebot von WG-Zimmern: Knappes Gut wird immer teurer. Laut der digitalen Unterkunftsvermittlungsplattform WG-Gesucht kostete ein WG-Zimmer in Berlin im Jahr 2020 im Schnitt 484 Euro. 2021 musste man durchschnittlich 495 Euro für ein WG-Zimmer zahlen. In diesem Jahr haben sie noch einmal einen Sprung auf 550 Euro monatlich gemacht.

Warum ist das so? Bei der Plattform WG-Gesucht bekommt man die Auskunft, es gebe einen Zusammenhang mit der Normalisierung der Lage an den Universitäten, seitdem die meisten Corona-Beschränkungen weggefallen seien. Viele Studierende hätten die Lockdowns bei ihren Eltern überbrückt. Sie holten nun Umzüge nach. Studentinnen und Studenten aus dem Ausland kämen nach der Aufhebung der vielen Reisebeschränkungen während der Pandemie wieder zahlreich nach Berlin, erklärt eine Sprecherin.

Die Pandemie habe zudem bei einigen Studierenden den Abschluss verzögert. Sie nutzten ihre WG-Zimmer deshalb länger als üblich. So verschärfe sich der Mangel.

Alle, die ein Studium beginnen können, haben ihre Zulassung für das Mitte Oktober beginnende Wintersemester im August bekommen. Das zwingt sie nun dazu, in sehr kurzer Zeit auf einem ohnehin leer gefegten Markt ein Zimmer zu finden.

Sie konkurrieren dabei mit Auszubildenden, Berufseinsteigern und Sozialleistungsempfängern um die günstigsten Wohnangebote auf dem Markt. Der Staat unterstützt 500.000 der drei Millionen Studierenden in Deutschland mit Bafög-Leistungen. Die Bundesregierung erhöhte die Wohnpauschale im Juli auf 360 Euro. Doch für ein etwa auf WG-Gesucht inseriertes Zimmer fehlen dann immer noch circa 200 Euro.

Serie: Wohn-Wahnsinn in Berlin
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt der Stadt ist mehr als angespannt. Politiker aller Parteien sprechen vom größten Problem, das Berlin zu lösen hat. Doch wie ergeht es denen, die mittendrin stecken, weil sie umziehen müssen oder nach Berlin kommen wollen? Wir treffen Menschen, die mit oder ohne WBS suchen, die ins Umland fliehen, weil sie in Berlin nichts finden, oder die mit der Familie in zu kleinen Wohnungen ausharren. Und lassen die Glücklichen erzählen, die eine neue Wohnung aufgetan haben: Welche Tipps und Tricks haben wirklich geholfen?
Wenn auch Sie uns Ihre Wohnungssuche schildern wollen, können Sie uns gerne schreiben.
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Das Moses-Mendelssohn-Institut für Immobilienforschung und Wohnungswirtschaft warnt davor, dass die Warmmieten aufgrund der steigenden Energiekosten sogar noch weiter steigen könnten.

Simon Arzuman, 19 Jahre alt, hat sich in die Warteliste für ein Wohnheimzimmer in Berlin eingetragen. Er würde gerne mit anderen Studierenden zusammenwohnen. Er hat aber keine Hoffnung, dass in einem Heim in Berlin in absehbarer Zeit ein Zimmer für ihn frei wird.

Er geht im Foyer der TU von Säule zu Säule und kramt im Papierwald nach seinem Abreißzettel. Dann wird er fündig. Er beschreibt sich auf seinem Aushang als „sympathisch, weltoffen, humorvoll“. Und freut sich gerade darüber, dass ein Abschnitt zum Abreißen mit seiner E-Mail-Adresse bereits fehlt. Es ist ein guter Moment in schwierigen Wochen.

Simon Arzuman ist nach dem Abi weit gereist

Simon Arzuman stammt aus der Nähe von Würzburg. Der breitschulterige junge Mann trägt eine Lederjacke und bindet sein langes blondes Haar zu einem Dutt. Das äußere Erscheinungsbild passt zu seiner Beschreibung auf dem Aushang. Arzumann ist nach dem Abitur erst mal auf Reisen gegangen. Er war längere Zeit unterwegs in Georgien und der Türkei. Und in Armenien. Seine Familie stammt aus der früheren Sowjetrepublik. Er hat in Armenien die Arbeit eines Sozialprojekts kennengelernt. Man organisiere Bildungsangebote in entlegenen Gegenden der Kaukasusrepublik, erzählt Arzuman.

Der Gedanke, selbst einmal für eine Nichtregierungsorganisation zu arbeiten und sich dafür so gut wie möglich ausbilden zu lassen, sei auf der Reise entstanden, sagt er. Er entschied sich für ein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens und bewarb sich an der Technischen Universität. Noch bevor die Zusage der TU kam, hat er sich im Sommer an den Computer gesetzt, um ein Zimmer in Berlin zu finden. Da war er noch unterwegs. Zu spät angefangen hat er also nicht.

Ich habe auch schon draußen im Schlafsack und im Zelt übernachtet.

Simon Arzuman, Student

Bekannte hätten ihn vor einer schwierigen Wohnungssuche in der Hauptstadt gewarnt, berichtet er. Er habe das ernst genommen, ohne in Panik zu verfallen. Nach der Rucksackreise durch den Kaukasus fühle er sich älter als 19. „Vielleicht lag es daran, dass ich so lange unterwegs und auf mich allein gestellt war. Ich habe auch schon draußen im Schlafsack und im Zelt übernachtet. Ich war mir sicher, dass es in Berlin klappen wird“, sagt der Neu-Student. Die bestandenen Abenteuer haben ihn in seiner Zuversicht bestärkt.

Arzuman legte sich zunächst digital auf den verschiedenen Plattformen auf die Lauer. Es sei sinnlos, auf Angebote vom Vortag zu antworten, erklärt der Student. „Die Leute bekommen 400 Anfragen in kurzer Zeit, viele schauen sich nur die an, die sie in den ersten 30 Minuten erhalten“, sagt er. Arzuman stellte sich auf seinem Smartphone einen Messengerdienst so ein, dass ihn neue WG-Angebote als Pushnachricht erreichten. Er bastelt sich eine Standardantwort auf die Angebote, die er mit einem Klick an die Inserenten schicken kann.

Gute Vorbereitung ist die halbe Miete

Simon Arzuman und sein Freund durchforsten Inserate für Wohngemeinschaften und Ein-Zimmer-Wohnungen auf den Onlineportalen, aber auch die Angebote für Zwei-Zimmer-Wohnungen. „Wir dachten, wir gründen einfach zusammen eine Zweier-WG, falls wir kein Zimmer in einer WG finden.“

Und dann macht sich der Student auch noch auf die analoge Suche. Er entwirft einen Abreißzettel, druckt ihn gut 150 Mal aus und nimmt den Zettel-Packen mit auf eine Stadtrundtour. Arzuman steuert zunächst die Hochschulen an. Er hinterlässt seine Abreißzettel an Schwarzen Brettern und an den Eingängen von Mensen. Er entdeckt, dass es Schwarze Bretter auch in vielen Supermärkten Berlins gibt, und befestigt einige Zettel auch dort. Und einige Aushänge klebt er an Ampelmaste. „Da laufen viele Leute vorbei“, sagt er. Und hofft.

Simon Arzuman sucht seit Monaten eine Wohnung.
Simon Arzuman sucht seit Monaten eine Wohnung.Sebastian Wells/OSTKREUZ

Zettel an Ampeln und in Supermärkten: Die Spur führt durch die Stadt

Die Zettel hängen nun in verschiedenen Bezirken in ganz Berlin. So habe er schon etwas von der Stadt gesehen, sagt Simon Arzuman. Nur ein Zimmer oder eine Wohnung für eine eigene WG hat er bisher nicht gefunden.

Er berichtet von einigen Besichtigungen, zu denen er zumindest eingeladen wurde. Einmal sei es um ein Zimmer gegangen, das 700 Euro Miete gekostet hätte. Er schätzt die Größe des Raums auf 15 oder 16 Quadratmeter. „Das kam für mich nicht infrage“, sagt er.

Arzuman will sich einen Job suchen, um sein Studium in Berlin mitzufinanzieren. Seine Eltern werden den größten Anteil seiner Lebenshaltungskosten stemmen. Er will aber einen eigenen Beitrag leisten. Arzuman schätzt das Budget für ein Zimmer, das seine Eltern und er auf Dauer aufbringen können, auf 500 bis 600 Euro im Monat. Doch in dieser Preiskategorie gibt es kaum Angebote.

Wir haben nichts gefunden unter 1500 Euro im Monat.

Simon Arzuman, Student

Auch die Idee, gemeinsam mit seinem Freund, eine Zwei-Zimmer-Wohnung zu mieten, scheitert an der Marktlage und den hohen Preisen in Berlin. „Wir haben nichts gefunden unter 1500 Euro im Monat“, sagt Arzuman. Er fragt sich, wie Studierende ein Zimmer finden sollen, deren Eltern ihre Kinder gar nicht finanziell unterstützen können.

Manche WG in Berlin will schwarz vermieten

Ein paar WG-Besichtigungen hat er absolviert, er hat Fragen beantworten müssen. Die möglichen Mitbewohner wollten wissen, wie sein Schlafrhythmus sei oder wie er es mit Drogen halte. Andere erkundigten sich, ob er auch schwarz zur Untermiete wohnen würde. Manche Fragen seien vernünftig und nachvollziehbar gewesen, sagt er, andere seien ihm sehr persönlich erschienen.

Was antwortet ein Bewerber, um das Mittelmaß zwischen pflegeleicht und „nicht zu langweilig“ zu finden? Wie viel Ehrlichkeit darf sein? Darauf gibt es wohl so viele Antworten wie Interessenten bei einem WG-Casting. Und jede kann danebenliegen. Ein Match hat sich bisher bei Simon Arzuman nicht ergeben.

Er berichtet auch von „merkwürdigen Angeboten“. Einmal habe ihm jemand eine Wohnung für 500 Euro im Monat versprochen. Die Kaution sollte er allerdings bezahlen, bevor er die Wohnung besichtigen konnte.

Er hat auch viele Inserate gesehen, in denen ausdrücklich Frauen gesucht wurden und die sehr explizit formuliert waren. Sie verschwänden häufig wieder von den Plattformen. „Ich glaube, da gibt es einige, die die Notlage von jungen Studierenden ausnutzen wollen.“

Eine Bleibe in Berlin bis Ende Oktober ist fix

Simon Arzuman und sein Freund haben bis Ende Oktober eine andere Bleibe gefunden. Immerhin, Simon ist froh darüber. Er erzählt von einem anderen Freund, der in seiner Not ein Zimmer auf dem Onlineportal Airbnb gemietet habe – für 900 Euro im Monat. Das Semester läuft nun, die Wohnungssuche geht weiter. Das koste Energie, sagt er. Er hat jetzt bei der armenischen und türkischen Gemeinde nachgefragt, ob dort jemand vermietet. Er setzt weiter auf das Netzwerkprinzip.

Ein Bekannter habe in Leipzig schnell ein günstiges Zimmer gefunden, erzählt Simon. In einem schwachen Moment habe er daran gedacht, im Frühling nach Leipzig zu wechseln. Eigentlich will er aber unbedingt in Berlin studieren. Die Vielfalt der Subkulturen reize ihn, sagt er.

Ich habe mir das mit Berlin in den Kopf gesetzt.

Simon Arzuman, Student

Simon Arzuman will sich vorerst weiter durchboxen. „Ich habe mir das mit Berlin in den Kopf gesetzt und ziehe es durch, selbst wenn ich zur Not einige Zeit im Hostel schlafen muss“, sagt er. Sollte er in einem Jahr immer noch kein dauerhaftes Zuhause in der Hauptstadt gefunden haben, will er sich den Wechsel nach Leipzig noch mal durch den Kopf gehen lassen.