Serie: Wohn-Wahnsinn Berlin

„Leider vergeben“: Wenn die Herkunft bei der Wohnungssuche zum Problem wird

1,5 Zimmer zu viert: Fatma Yildirim lebt mit ihrer Familie auf 46 Quadratmetern. Seit drei Jahren suchen sie vergeblich. Berlin und die Wohnungsnot – unsere Serie.

Frau Yildirim floh mit ihrer Familie nach dem Putschversuch in der Türkei nach Deutschland. Nun lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in einer 1,5-Zimmer-Wohnung in Neukölln. 
Frau Yildirim floh mit ihrer Familie nach dem Putschversuch in der Türkei nach Deutschland. Nun lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in einer 1,5-Zimmer-Wohnung in Neukölln. Sebastian Wells/OSTKREUZ

Man fühlt sich gleich wohl in Fatma Yildirims kleiner Wohnung. „Kommen Sie herein“, begrüßt sie ihre Gäste herzlich an der Tür, bietet Hausschuhe an und einen gemütlichen Platz auf dem Sofa. Sie hat sich gemeldet, als wir Menschen mit einem Wohnungsproblem in Berlin gesucht haben. Nun zeigt sie, wo die Probleme liegen.

Erst mal sind sie nicht offensichtlich. Lieber Kaffee oder Tee? Fatma Yildirim hat alles da – auch extra gebacken und Salate gemacht. Türkische Spezialitäten. Die Heimat der Yildirims ist die Türkei. „Ach“, winkt sie ab, wenn die Besucher sich zieren, „das mache ich doch für alle meine Gäste.“ Ihre eineinhalb Zimmer sind auch wunderbar gemütlich, Fatma Yildirim hat ein strahlendes Lächeln und signalisiert Mühelosigkeit. Dabei kostet es sie jeden Tag zwei Stunden, alles was ihr Mann und die zwei halbwüchsigen Kinder morgens hinterlassen haben, zu verstauen und wegzuputzen.

Berliner Zeitung/Uroš Pajović

Es ist eng – und das schon lange. 46 Quadratmeter für 485 Euro warm: In dieser Wohnung in Neukölln mit Blick auf die Baustelle für die Autobahn A100 leben sie seit drei Jahren zu viert. 

Fatma Yildirim ist 41 Jahre alt, ihr Mann zwei Jahre älter, die Kinder, ein Mädchen und ein Junge, sind 15 und 13. Ihre Wohnung liegt in Neukölln und hat einen kleinen Balkon. Die Häuser, vier Stockwerke hoch, wirken gepflegt. Gegenüber stehen ein paar Hochhäuser, die Straße ist grün und ruhig. Fatma Yildirim führt ihre Besucher herum. So blitzblank geputzt wirkt die Wohnung geräumig. Aber der Eindruck täuscht.

Die Küche ist mit knapp zehn Quadratmetern der größte Raum. Es gibt einen Esstisch. Das Wohnzimmer ist etwas kleiner. Trotzdem stehen zwei Sofas, ein Schrank und ein Schreibtisch drin. Tagsüber nutzt die ganze Familie den Raum. Abends klappen sie die beiden Sofas auf und verwandeln die Fläche in eine Bettlandschaft. In diesem Raum schlafen die beiden Teenager. Neben einem Bad und einem winzigen Flur gibt es noch eine Kammer mit einem Bett und einem Kleiderschrank, in der Fatma und ihr Mann schlafen. Die Wohnung ist viel zu klein für vier Personen, aber sie finden nichts anderes. „Wir haben unsere übrigen Möbel im Keller eingelagert. Wir dachten nicht, dass es so lange dauern würde, eine größere Wohnung zu bekommen“, sagt Fatma Yildirim.

Seit einem Jahr nicht zu Besichtigungen eingeladen

Versucht haben sie in den letzten drei Jahren eine Menge. Aber die meisten Wohnungen sind entweder zu teuer oder die Vermieter wollen die Familie nicht. Die Gründe dafür bleiben im Dunkeln. Absagen, die Fatma auf ihrem Mobiltelefon gespeichert hat, sind im Ton durchweg freundlich gehalten und meist ohne Begründung. Bereits vergeben, heißt es höchstens mal.

Unangenehme Zwischenfälle hat sie bisher nicht erlebt. Anhaltspunkte, dass es sich um Diskriminierung handeln könnte, gibt es aber. Egal wie schnell sie sich gemeldet haben, die Wohnung war immer schon weg. Jetzt sind sie bereits seit einem Jahr nicht mehr zu Besichtigungen eingeladen worden. Fatma Yildirim erklärt sich das mit dem steigenden Druck auf dem Wohnungsmarkt.

Eine unsichtbare Form von Diskriminierung ist allerdings ein durchaus bekanntes Phänomen. Sie trifft Ausländer, Behinderte, Sozialhilfeempfänger, Alleinerziehende mit Kindern, Großfamilien, Menschen mit ausländisch klingendem Namen. Die Antidiskriminierungsstellen informieren über Rechte der Betroffenen.

Häuser in Gropiusstadt: In der Nähe wohnt Familie Yildirim. 
Häuser in Gropiusstadt: In der Nähe wohnt Familie Yildirim. Sebastian Wells/OSTKREUZ

Die Yildirims haben zwar deutsche Aufenthaltstitel und Eingliederungsurkunden, aber auch türkische Pässe. Fatma Yildirim trägt außerhalb der Wohnung ein Kopftuch. Ihr ist bewusst, dass das Probleme machen könnte. Sie schränkt Kontakte ein. „Ich gehe zum Beispiel nie zu unserer Wohnungsverwaltung, obwohl ich mit denen einiges zu besprechen hätte. Aber vielleicht schadet uns das, meint mein Mann“, sagt sie. Der Gedanke tut ihr weh. „Ich fühle mich abgewertet. Nur weil ich ein Kopftuch trage, muss ich wohl auch eine Analphabetin sein. So denken manche Leute“, sagt sie.

Vielleicht haben die Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche aber auch mit einem übersteigerten Sicherheitsbedürfnis der Vermieter zu tun. Die Yildirims können keinen Gehaltszettel für eine feste Anstellung vorweisen, weil Fatma noch nicht berufstätig ist und ihr Mann sich vor einiger Zeit selbstständig gemacht hat. Er hat ein kleines Geschäft für türkische Spezialitäten in Buckow aufgemacht und bringt monatlich etwa 1000 Euro nach Hause. Sie bekommen einen Zuschuss vom Jobcenter. Das Amt zahlt etwas mehr als die Miete. Alles zusammengerechnet kommen sie auf ungefähr 2000 Euro im Monat. Für Vermieter also eigentlich kein Problem, zumal das Jobcenter die Miete übernimmt. Aber in Zeiten der Wohnungsnot werden Bewerber mit komplizierteren Einkommensmodellen oft direkt aussortiert.

Wäsche in der Küche

Die drei Jahre zu viert auf 46 Quadratmetern haben bei Fatma Yildirim Spuren hinterlassen. „Wenn ich doch nur ein Zimmer mehr hätte“, sagt sie. Allein der Gedanke an den Winter mit einem aufgeklappten Wäscheständer in der Küche mache sie fertig. „Ich habe wirklich viel geweint. Man kann nichts tun“, sagt sie.

Dann wieder versucht die Familie diszipliniert, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Man sieht dem eigentlichen Wohnraum zum Beispiel nicht an, dass darin Teenager hausen. Keine Poster oder Fotos an der Wand. Keine Privatsphäre, nicht mal die Möglichkeit, die Fläche teenagergerecht verlottern zu lassen. Fatma Yildirim hat die Bettdecken Kante auf Kante zusammengelegt und in einer Ecke neben dem Kleiderschrank gestapelt. Sogar der Schreibtisch ist leer und abgeräumt. Die Kinder besuchen ein Gymnasium am Hermannplatz. „Meine Tochter hat noch nie Freunde nach Hause eingeladen. Mama, sagt sie, hierher? Das will sie nicht.“

Für die Jugendlichen sei die Enge am härtesten, sagt ihre Mutter. Früher in der Türkei hätten sie jeder ein eigenes Zimmer gehabt. „Wir waren wohlhabend“, sagt Yildirim. Sie versteht darunter eine größere Wohnung und ein Auto.

Familie Yildirim kam nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 in der Türkei nach Deutschland. „Wir mussten fliehen“, sagt Fatma Yildirim und erzählt von ihrer Zeit in Ankara als berufstätige, finanziell unabhängige Frau. „Ich bin Naturwissenschaftlerin von Beruf und Mathematiklehrerin“, sagt sie. Sie habe ihre Arbeit nach dem Putschversuch verloren, wie so viele Lehrer in der Türkei. 14 Jahre lang unterrichtete sie an einer Mittelschule, 5. bis 8. Klasse.

Serie Wohn-Wahnsinn in Berlin
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt der Stadt ist mehr als angespannt. Politiker aller Parteien sprechen vom größten Problem, das Berlin zu lösen hat. Doch wie ergeht es denen, die mittendrin stecken, weil sie umziehen müssen oder nach Berlin kommen wollen? Wir treffen Menschen, die mit oder ohne WBS suchen, die ins Umland fliehen, weil sie in Berlin nichts finden, oder die mit der Familie in zu kleinen Wohnungen ausharren. Und lassen die Glücklichen erzählen, die eine neue Wohnung aufgetan haben: Welche Tipps und Tricks haben wirklich geholfen?
Wenn auch Sie uns Ihre Wohnungssuche schildern wollen, können Sie uns gerne schreiben.
Kontakt: leser-blz@berlinerverlag.com

Ihr Mann arbeitete als Beamter, erst im Außenministerium, später im Jugendministerium. Auch er verlor seine Arbeit. Dann begann die Jagd auf echte und vermeintliche Sympathisanten der Gülen-Bewegung, die Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan für den Putschversuch verantwortlich macht. Die Yildirims gerieten in den Fokus. Als eine Gefängnisstrafe drohte, tauchte Fatmas Mann unter. Auch sie musste mit Schwierigkeiten rechnen, weil sie zeitweise für eine Schule der Gülen-Bewegung gearbeitet hatte.

Am Ende verließ die Familie die Türkei. Berlin wurde zur neuen Heimat, weil hier ein Bruder von Yildirims Mann lebte. Sie beantragten Asyl. „Wir hatten einmal ein wunderbares Leben. Jetzt können wir nicht mal mehr in die Türkei reisen. Wir würden direkt im Gefängnis landen“, sagt Fatma Yildirim. Wenn man gegen Gesetze verstoße, könne man eine Strafe annehmen, sagt sie. Aber politisch verfolgt zu werden als Terroristen? „Das macht uns fertig“, sagt sie.

Fatma Yildirim in ihrer Küche. Mit zehn Quadratmetern ist sie der größte Raum in der Wohnung.
Fatma Yildirim in ihrer Küche. Mit zehn Quadratmetern ist sie der größte Raum in der Wohnung.Sebastian Wells/OSTKREUZ

Immerhin haben sie in Berlin eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Mittlerweile ist Fatma Yildirim in Deutschland auch als Lehrerin anerkannt. Einen Job würde sie angesichts des Lehrermangels wohl schnell finden. Bis sie an einer deutschen Grundschule gleichgestellt mit deutschen Lehrkräften unterrichten darf, muss sie allerdings für ein Semester ein drittes Fach studieren. Außerdem will sie ihr Deutsch noch weiter verbessern. 

In einem Jahr will sie bereit sein für den Neustart ins Berufsleben. Bis dahin weiter vom Jobcenter abhängig zu sein, gefällt ihr nicht. „Ich würde wirklich gern etwas zurückgeben. Der deutsche Staat hat uns sehr geholfen“, sagt sie.

Zeitweilig hatte die Familie einen Wohnberechtigungsschein für Sozialwohnungen, seit sich ihr Mann selbstständig gemacht hat, nicht mehr. „Ein Schritt vor und einer wieder zurück“, sagt Yildirim. Sie will die Bescheinigung erneut beantragen, um die Chancen auf eine Wohnung zu verbessern. Aber es fühlt sich für sie auch nach einem Teufelskreis an. „Erst haben die Leute gesagt, wenn man vom Jobcenter abhängig ist, findet man nur schwer eine Wohnung. Dann kam die Selbstständigkeit, jetzt sagen sie, nein, das ist zu unsicher.“ Demnächst will ihr Mann mit einem Partner ein neues Unternehmen gründen, er würde als Geschäftsführer angestellt sein. Vielleicht klappt es dann endlich.

Yildirim legt Ordner auf den Tisch. Sie hat alles abgeheftet, ihre Deutschzertifikate, die Anerkennungsurkunde als Lehrerin, die Eingliederungsvereinbarung mit dem Jobcenter, eine Verabredung mit der Caritas, wo sie ehrenamtlich in einem Laden arbeitet, in dem Lebensmittel zu verbilligten Preisen abgegeben werden und Secondhand-Kleidung. Das macht ihr Freude und sie kann selbst günstig einkaufen. Vieles entwickelt sich gut bei den Yildirims, kann man den Akten entnehmen. Nur die Wohnungssuche nicht.

„Vielleicht muss ich das Kopftuch weglassen“

Die Ablehnung beginnt tiefere Spuren zu hinterlassen. „Vielleicht muss ich das Kopftuch weglassen“, sagt Yildirim. Sie trägt es als Glaubensbekenntnis. Sie verstehe, dass das Tuch durch islamistische Gewalttäter in Verruf gekommen ist, sagt sie. „Schlechte Menschen haben schlechte Dinge getan. Aber das gilt ja nicht für alle. Wir anderen sind liebe Menschen“, sagt sie. 

Das Kopftuch wird ihr den Einstieg in die Berufstätigkeit erschweren. Sie könne das Berliner Beharren auf Neutralität in den Schulen nachvollziehen. „Aber wir leiden darunter, und das ist ja auch nicht gut“, sagt sie. Zur Not wird sie ohne das Tuch unterrichten, das hat sie sich schon überlegt. In der Türkei habe sie auch zeitweilig ohne Kopfbedeckung gearbeitet. „Das nehme ich vielleicht Kauf“, sagt sie, in der Schule ohne, im Privatleben mit Kopftuch, „für mich eine schlechte Sache, aber ich muss ja arbeiten, und ich liebe meinen Beruf auch.“ 

Die Senatsverwaltung für Justiz hat auf einer Internetseite über Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt einen Kurzfilm veröffentlicht. Im Video meldet sich eine junge Frau auf ein Wohnungsinserat und wird jedes Mal abgelehnt, wenn sie einen ausländischen Namen, eine Behinderung oder sich als alleinerziehend mit Kind erwähnt.  Begründungen werden ihr nicht genannt.

Die Küche der Familie Yildirim
Die Küche der Familie YildirimSebastian Wells/OSTKREUZ

Die Verwaltung versucht gegen solcherlei unsichtbare Diskriminierung vorzugehen. Sie beauftragte Gutachten und förderte ein Projekt mit dem türkischen Bund. „Vor dem Hintergrund des wachsenden Drucks auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist zu beobachten, dass auch die Problematik der Diskriminierung bei der Suche nach Wohnraum an Schärfe zunimmt und das Engagement für Chancengleichheit beim Zugang zu Wohnraum deswegen umso wichtiger ist“, heißt es bei der Justizverwaltung.

Dass das Problem größer wird, lässt sich am gestiegenen Beratungsbedarf ablesen. Laut einer bundesweiten Umfrage aus dem vergangenen Jahr fühlt sich jede dritte Person mit Migrationshintergrund bei der Wohnungssuche diskriminiert.

Familie Yildirim versucht sich selbst zu helfen. Vielleicht eine frei werdende Wohnung von Bekannten oder Verwandten in Berlin übernehmen? Aber meist ist die Miete zu hoch. „Gerade haben wir die Hoffnung ein bisschen aufgegeben“, sagt Fatma Yildirim. Also bleibt, die eigene Hausverwaltung – die Häuser gehören der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land – immer wieder aufzusuchen.

Und dann ist da noch ihr Schwager. „Er sagt, er will eine Wohnung für uns kaufen“, sagt Fatma Yildirim und lächelt schüchtern. Es wirkt auf sie wie ein kleines Wunder, dass jemand so etwas für sie tun würde. Ob sie ein solches Angebot annehmen kann, darüber muss sie allerdings erst noch nachdenken.