Ein besserer Ort als der auf der Westseite der Lichtenberger Brücke hätte kaum gefunden werden können. Das Hochhaus steht unmittelbar an der Frankfurter Allee, die wie eine breite Schneise in Ost-West-Richtung zwischen den Häusern liegt. Es gibt weit und breit kein höheres Gebäude als das Q218. Die vier Windräder, die auf dessen Dach nochmals 25 Meter in den Himmel ragen sollten, hätten den Wind ganz für sich allein gehabt. Wenigstens 80 Single-Haushalte sollten sie mit Strom versorgen und die Verbrennung von Tausenden Tonnen Kohle oder Erdgas vermeiden.
Doch daraus wird nun nichts. Denn während das Vorhaben der Wohnungsbaugesellschaft Howoge in verschiedenen Senatsverwaltungen als innovativ begrüßt wurde, versagte man im Lichtenberger Rathaus die nötige Baugenehmigung mit dem Verweis darauf, „dass die Rotationskörper abstandsflächenrelevante gebäudeähnliche Wirkung haben und bauplanungsrechtlich nicht zulässig“ seien. Windkraft, nein, danke.
Der Berliner Senat setzt auf Sonnenenergie
Tatsächlich sind Windräder in Berlin eine selten genutzte Kraftwerksvariante. Gerade einmal sechs solcher Anlagen gibt es hier. Zusammen können sie pro Jahr 40.000 Megawattstunden Strom erzeugen, was knapp 0,7 Prozent der Berliner Elektroenergie-Produktion entspricht. Strom wird in dieser Stadt in erster Linie aus Steinkohle und Gas gewonnen. Um das zu ändern, setzt der Senat auf Sonnenkraft. Nach dem sogenannten Masterplan Solarcity soll ein Viertel des in Berlin erzeugten Stroms „möglichst schon 2035“ aus der Sonne gewonnen werden. Sind Windkraftanlagen also verzichtbar?
Auf einem Dach der Hochschule für Technik und Wirtschaft an der Wilhelminenhofstraße in Schöneweide dreht sich eine sogenannte Kleinwindkraftanlage. Sie wurde zu Forschungszwecken dort installiert. Die Leistung beträgt ein Kilowatt. „Alles, womit wir Strom erzeugen können, sollten wir nutzen“, sagt Horst Schulte. Der studierte Elektrotechniker ist Professor an der HTW und forscht seit Jahren auch an Kleinwindkraftanlagen.
Nach seiner Ansicht sei in Berlin durchaus Potenzial für Anlagen auf Hochhäusern vorhanden. Die Gebäude sollten mindestens zehn Etagen haben und außerhalb des „Spreebeckens“ liegen, in dem sich etwa die Bezirke Mitte und Kreuzberg-Friedrichshain befinden. Ertragreiche Gegenden wären laut Schulte beispielsweise das Tempelhofer Feld, der Südosten der Stadt und die Teile oberhalb von Reinickendorf und Prenzlauer Berg.
Allerdings warnt Schulte auch vor Euphorie. Zwar zähle jede Kilowattstunde. Richtig sei aber auch, dass Photovoltaikanlagen zehnmal günstiger sind. Zumindest dann, wenn sie auf Bestandsgebäuden installiert werden. Da seien Kleinwindkraftanlagen aufwendiger. Laut Schulte müssten solche Anlagen daher bereits bei der Gebäudeplanung mitgedacht werden. Er ist dennoch sicher: „Langfristig werden sie in Großstädten unverzichtbar sein.“
E-Autos mit Windstrom versorgen
Dass sich mit Windrädern Strom von Dächern holen lässt, wurde auf dem Euref-Campus am Schöneberger Gasometer schon vor Jahren bewiesen. 2015 begann dort ein Forschungsprojekt. Insgesamt sechs Windräder wurden dafür mit vertikalen Rotoren auf verschiedenen Hausdächern sowie auf dem Gasometer installiert. Sechs Jahre waren sie im Einsatz. „Anfangs gab es Beschwerden über Vibrationen“, erzählt Frank Christian Hinrichs, der auf dem Campus heute das Unternehmen Inno2grid leitet. Die Probleme habe man aber schnell ausräumen können. „Auch über Lärm gab es nie wieder Klagen“, sagt er. „Die Anlagen haben sich bewährt. Wir haben bewiesen, dass es geht.“
Auf dem Campus wurden die Windräder zusammen mit Photovoltaikanlagen in ein intelligentes Stromnetz (Smart Grid) eingebunden, das auch die 36 E-Auto-Ladepunkte auf dem Gelände mit Strom versorgte. Laut Hinrichs seien allein 2020 dort 2000 Ladungen registriert worden. Für den Firmenchef war das Projekt in jedem Fall ein Erfolg. Und er ist auch davon überzeugt, dass sich Kleinwindkraftanlagen wirtschaftlich betreiben lassen. Sein Ansatz ist das Energiekonzept für ein Haus oder ein Quartier. Es gehe darum, dort so viel Strom wie möglich selbst zu erzeugen. Das brauche allerdings intelligente Lösungen. „Hinstellen allein reicht nicht“, sagt Hinrichs.
Für das Berliner Start-up Mowea sind Kleinwindkraftanlagen das Geschäftsmodell. Seit 2016 werden an der Storkower Straße in Prenzlauer Berg solche Kleinkraftwerke entwickelt. Im Frühjahr zog das Unternehmen den ersten Großauftrag an Land. Für Vodafone wird Mowea 52 Mobilfunkmasten mit insgesamt 750 Kleinwindkraftanlagen bestücken. Pro Jahr sollen so 650.000 Megawattstunden Strom entstehen. Inzwischen sind die ersten 1000 Turbinen bestellt.
Aber das sei erst der Anfang, sagt Marketingchef Robert Johnen. Er sieht auch im Immobiliensektor „erhebliches Potenzial“. Tatsächlich soll spätestens zum Jahresende die erste Anlage auf dem Dach eines Gebäudes installiert sein. Im nächsten Jahr soll die Serienfertigung der Turbinen beginnen, weitere Anlagen sollen montiert werden. Die Besonderheit der Windkraftanlagen von Mowea: Es sind quadratische Module, die sich wie Legosteine zusammenfügen und stapeln lassen. Jedes Modul misst etwa zwei mal zwei Meter und liefert im Jahr bis zu 750 Kilowattstunden Strom.
Johnen hält den Einsatz vor allem auf Bürogebäuden und in Gewerbegebieten für sinnvoll. Ab einer Gebäudehöhe von fünf Stockwerken und einer mittleren Windgeschwindigkeit von mindestens vier Metern pro Sekunde könne man „in Richtung einer Wirtschaftlichkeit vorstoßen“, sagt er. In jedem Fall sei das Potenzial von Kleinwindkraftanlagen zu groß, um darauf verzichten zu können.
Dazu hat man sich aber offenbar in Berlin entschieden. Wenngleich die Stadt bis 2045 klimaneutral werden will, ist vom Ausbau der Windkraft keine Rede. Im Koalitionsvertrag findet sich dazu einzig der Passus, dass man „gemeinsam mit Brandenburg den Zubau von Windenergieanlagen“ anstrebe. Soll heißen: In Brandenburg ja, hier bitte nicht.
Auf Nachfrage in der Senatsenergieverwaltung war dann zu erfahren, dass die Freiflächen zur Nutzung für Windenergieanlagen in der dicht bebauten Stadt eben nur sehr begrenzt zur Verfügung stünden. Jedoch sei die Errichtung weiterer Windenergieanlagen auf Berliner Landesfläche „nicht ausgeschlossen“. Derweil zeigen Hamburg und Bremen der Hauptstadt, was möglich ist. Denn während in Berlin die installierte Leistung von Windkraftanlagen knapp 17 Megawatt beträgt, liegt diese in Hamburg bei 119 Megawatt, 201 sind es in Bremen. Geht hier also wirklich nichts?
Bis zu 40 Windkraftanlagen wären in Berlin möglich
Es geht, wenn der politische Wille vorhanden ist, heißt es in der Windkraftbranche. Und dort hat man auch schon mal das Potenzial ausgelotet. Einer nicht öffentlichen Machbarkeitsstudie zufolge könnten im Berliner Stadtgebiet wenigstens 15, vielleicht sogar 40 Windkraftanlagen aufgestellt werden. Sie könnten genug Strom erzeugen, um damit mehr als 200.000 Haushalte zu versorgen. Als mögliche Standorte werden Gewerbegebiete und Freiflächen aufgeführt. Konkret geht es etwa um den Cleantech Business Park in Marzahn. Aber auch entlang der Avus könnten der Studie zufolge Windräder platziert werden. Wenn man wollte.



