Sonntags die „Hörbar“, Freitagsabends der „Soundcheck“ und natürlich jeden Morgen der „Schöne Morgen“. Seit ich ein kleiner Junge bin, gehört Radioeins zu meinem Alltag. Noch bevor ich die Namen der Moderatorinnen und Moderatoren lernte, kannte ich ihre Stimmen: Die quitschige von Patricia Pantel, die warme von Bettina Rust, die eloquente von Volker Wieprecht. Radioeins vom RBB lief bei uns überall, im Bad, beim Frühstück, im Auto. Es ist ein kleiner, persönlicher Gedanke, der mir in diesen Tagen durch den Kopf geht, jetzt, wo wieder einmal diskutiert wird, ob es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) noch braucht. Für mich würde ohne ihn viel fehlen in Berlin.
Der Skandal um Patricia Schlesinger, die zurückgetretene RBB-Intendantin, ist schlimm. Er legt offen, dass sich einzelne auf unser aller Kosten bereichert haben. Und er gießt Wasser auf die Mühlen all jener, die schon immer etwas gegen den ÖRR hatten. Es sind die Schwurbler und Querdenker dieser Welt, die AfD, aber auch Teile der CDU und der Medienbranche, die rufen: „Jetzt endlich abschaffen“ – auch hier in der Berliner Zeitung. Sie nehmen den Skandal zum Anlass, mit neuem Nachdruck auf ihre Agenda zu pochen. Doch wird hier einiges vermengt, das nicht zusammengehört. Ja, der Skandal wirft ein schlechtes Licht auf den ÖRR. Sollte er deswegen gleich ganz abgeschafft werden? Auf keinen Fall.
Man muss sich nur einmal die Vorwürfe ansehen, die jetzt wieder herausgekramt werden. Es sind im Grunde nur zwei: Der ÖRR sei zu teuer und er sei zu links-grün, zu wenig konservativ und bilde deshalb nicht die ganze Gesellschaft ab. Als Begründung werden Statistiken angeführt wie eine Insa-Umfrage im Auftrag der Bild-Zeitung, die sagt: 84 Prozent der Bevölkerung seien für die Abschaffung des Rundfunkbeitrages. Oder eine Umfrage von 2020 unter den Volontären der ARD, wonach unglaubliche 92 Prozent der Jungjournalisten Grün-Rot-Rot wählen würden – natürlich zur großen Empörung der altbekannten Kritiker.
Was dabei selten gesagt wird: Die Aussagekraft von Online-Umfragen, wie die von Insa oder Civey, werden von Experten schon seit langem angezweifelt. Und die Volontärs-Umfrage von 2020 beantworteten gerade einmal 77 von 150 Befragten. Volontäre von SWR und ZDF wurden gar nicht gefragt. Selbst ein Autor der Umfrage gab zu, sie sei nicht repräsentativ.
Aber man muss sich gar nicht auf das Feld dieser Argumente begeben. Sie haben mit dem aktuellen Schlesinger-Fall schlicht nichts zu tun. Stattdessen zeigt die Affäre einmal mehr, warum es auch in Zukunft wichtig sein wird, einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu haben, der von wirtschaftlichen Zwängen unabhängig ist.
Die Sender müssen in Zukunft bescheidener auftreten
Man sieht es jetzt beim „Medienmagazin“ von Radioeins, oder im RBB-Fernsehen: Die Journalisten bleiben kritisch und setzen sich schonungslos mit den Verfehlungen in ihrem Haus auseinander. Die „Abendschau“ widmete in den vergangenen drei Tagen fast die Hälfte ihrer Sendezeit diesem Thema. Eva-Maria Lemke und Sarah Oswald grillten live ihren Programmdirektor, ein Mitglied des Verwaltungsrates und ihren eigenen Chefredakteur. In welcher anderen öffentlichen Institution, in welcher Behörde, welchem Ministerium wird so mit einem Eklat im eigenen Haus umgegangen?
Klar: Der ÖRR muss reformiert werden. Dicke Gehälter für Spitzenpersonal, hohe Pensionsansprüche, während gleichzeitig beliebte Programme wie „Zibb“ eingespart werden – das darf nicht sein. Auch die teils prekären Arbeitsverhältnisse freier Mitarbeiter. Der Spardruck ist schwer vermittelbar, wenn unterdessen die RBB-Chefetage für über eine halbe Million Euro renoviert wird. Es braucht bessere Compliance-Regeln, insgesamt müssen die Sender in Zukunft bescheidener auftreten. Und noch eine Sache wäre wünschenswert: Noch nie saß auf dem Intendanten-Sessel ein Ostdeutscher. Jetzt gäbe es die Möglichkeit, dies zu ändern.
Es gibt also viel zu tun und trotzdem brauchen wir einen starken ÖRR. Würde er abgeschafft, hätten wir alle zwar 18,36 Euro mehr im Monat, was schön sein könnte. Doch was uns abhandenkäme, wäre eine wichtige Säule in der Berichterstattung. Man sieht es in anderen Ländern, wo es ein solches System nicht gibt. In den USA zum Beispiel schreitet das Aussterben des Lokaljournalismus unaufhaltsam voran. Über 2500 Lokalzeitungen wurden dort seit 2005 eingestellt. 500 werden noch folgen. Dort gibt es Landstriche, in denen gar kein Journalismus mehr betrieben wird. Ein wundervoller Nährboden für Populisten und Desinformation.
Auch die Medienlandschaft in Teilen von Deutschland sähe ohne ÖRR ziemlich dünn aus. Selbst in Berlin gäbe es ohne den RBB nur noch ein paar Mini-Sender und Verlagshäuser, die teils am wirtschaftlichen Existenzminimum kämpfen. Das Einfallstor für die Beeinflussung durch Investoren ist bei solchen besonders groß. Solange es den ÖRR gibt, wird es in Deutschland eine Institution geben, die das verhindert. Die die Bürger informiert und damit eine lebendige Demokratie garantiert.




