Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

RBB-Moderatorin Lemke im Interview: „Wer weiß, was morgen wieder ans Licht kommt“

Die „Abendschau“ berichtet erstaunlich kritisch über den Skandal im eigenen Haus. Eva-Maria Lemke über ihre Enttäuschung, Schlafstörungen und das Bio-Parkett.

Moderatorin Eva-Maria Lemke
Moderatorin Eva-Maria LemkeDominik Müller

Seit Montag dieser Woche erleben die Zuschauer des Fernsehsenders RBB eine andere „Abendschau“. Die Nachrichtensendung widmet sich vor allem einem Thema – dem eigenen Sender und den Verfehlungen der Verantwortlichen an der Spitze. Die Moderatorinnen Sarah Oswald und Eva-Maria Lemke sprechen offen über die „schlimmste Zeit“ im Haus und interviewen Vorgesetzte live, ohne Scheu vor Konfrontationen. Wie fühlt sich das an? Ein Gespräch mit Eva-Maria Lemke.

Berliner Zeitung: Wie ist es für Sie gerade, zur Arbeit bei der „Abendschau“ zu kommen?

Eva-Maria Lemke: Ich glaube, momentan geht niemand wirklich gern zur Arbeit. Überall ist eine unglaubliche Schwere zu spüren. Kaum ein Gespräch, das sich nicht um die Vorwürfe und Enthüllungen dreht. Viele haben auch richtiggehend Schlafstörungen. Wir sind jetzt viele Tage mit dem Gefühl ins Bett gegangen: Wer weiß, was morgen wieder Neues ans Licht kommt. Und da wir fast alles von außen erfahren mussten, fühlten wir uns jeder Neuigkeit regelrecht ausgeliefert.

Wann haben Sie entschieden, die Vorgänge beim RBB zur Hauptnachricht der Sendung zu machen?

Das hat sich ohne große Diskussion einfach ergeben, niemand hat das hinterfragt. Allen war klar: Wir können uns da jetzt eigentlich nur noch rausackern. Das machen, was wir können und in der „Abendschau“ auch an 365 Tagen im Jahr machen: aufklären, aufdecken, kritisch hinterfragen, die Verantwortlichen zur Rede stellen.

Gab es Widerstände in der Redaktion oder im Sender?

Es wurde nie hinterfragt, ob wir uns damit auseinandersetzen sollten. Dass wir das tun müssen, das wir eigentlich gar nicht anders können, als die Flucht nach vorn anzutreten, war allen klar. Es gab hier und da vielleicht die Frage, ob wir noch einen gesunden Abstand zu dem Thema haben, ob wir in Gefahr laufen, zu selbstreferenziell zu werden. Aber unsere Aufgabe ist es, das anzusprechen, was die Menschen hier in Stadt und Land angeht, was hier versiebt wurde, was hier schiefläuft. Und davon können wir uns selbst nun einmal nicht ausnehmen. Zumal immer klarer wird, dass hier offenbar nicht anständig mit Geld umgegangen wurde – und es sich dabei um die Rundfunkbeiträge unserer Zuschauerinnen und Zuschauern handelt.

Mussten die Beiträge vorher abgenommen werden? Wenn ja, von wem?

Es gab keine anderen Abläufe als vorher: Es herrscht das klassische Vier-Augen-Prinzip, nach dem wir in unserer Redaktion immer verfahren. Ich kann Ihnen versichern, dass es keinerlei versuchte Einflussnahme von außen gab oder dass der Programmdirektor oder der Chefredakteur vorher noch mal einen Blick darauf werfen wollten. Das hätten wir uns auch nicht gefallen lassen. Ich glaube aber auch, dass gerade allen klar ist, dass es nichts bringt, irgendwas zu beschönigen oder zurückzuhalten. Es darf keine Zurückhaltung in eigener Sache mehr geben. Denn offenbar hat uns unter anderem diese Schonhaltung in diese Situation gebracht.

Wie ist es, den eigenen Verwaltungsrat anzufragen und dann vor der Kamera so hart zu interviewen?

Ich fühle mich – das mag pathetisch klingen – immer zuerst denen verpflichtet, die da draußen zuhören. Und die haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie ausgerechnet der Verwaltungsrat als Kontrollgremium so versagen konnte. Es macht für mich keinen Unterschied, ob ich einen Staatssekretär oder eins unserer Gremienmitglieder nach Verfehlungen befrage.

Waren die Fragen mit Martin Rennert vorher abgesprochen?

Das mache ich grundsätzlich nicht. Und ich erlebe es auch höchst selten, dass meine Studiogäste vorher nachfragen. Es gehört sich einfach nicht. Und das wissen auch die meisten.

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rbb/Thomas Ernst
Zur Person
Eva-Maria Lemke kam 1982 in Ost-Berlin zur Welt und wuchs bis zum Alter von zwölf Jahren in Berlin und danach in Stralsund auf. Sie studierte Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig und Gießen und arbeitete anschließend zunächst als freie Autorin für Printmedien und Radiosender. Nach einem Volontariat beim NDR war sie unter anderem beim Deutschlandradio Kultur und dem ARD-Magazin „ttt“ tätig.

Auch im ZDF war Lemke lange zu sehen. Sie moderierte das „Morgenmagazin“ und die Spätnachrichtensendung „heuteplus“. Für ihre Reisereportagen erhielt sie den Axel-Springer-Preis für Nachwuchsjournalisten. Im Februar 2018 wechselte Lemke zum RBB, wo sie die „Abendschau“ moderiert. Seit Januar 2019 ist sie zudem das Gesicht des politischen Fernsehmagazins „Kontraste“ im Ersten.

Die 40-Jährige ist außerdem Sprecherin, moderiert Veranstaltungen und Diskussionsrunden und plant gerade ihren ersten eigenen Podcast.

Wie war Ihr Verhältnis zu Frau Schlesinger?

Ich hatte ein gutes Verhältnis zu ihr. Ich kenne Patricia Schlesinger schon viele Jahre, aus unserer gemeinsamen Zeit beim NDR. Dort gab es den Spruch: „Patricia ist hier in der Abteilung der einzige richtige Kerl!“ Das war voller Bewunderung gemeint. Sie hatte den festesten Händedruck von allen, war immer verbindlich. Und: Man konnte sich auf sie verlassen. So ist meine Enttäuschung, dass bislang keiner der Vorwürfe wirklich dementiert oder entkräftet wurde, natürlich bodenlos. Ich kann mir denken, dass es einigen so geht. Als sie damals bei ihrem Antritt sagte: „Lassen Sie uns gemeinsam den RBB rocken!“, hat das viele mitgerissen. Jetzt hinterlässt sie ein Haus, das zerrissen ist.

Waren Sie oder das Team der „Abendschau“ auch mal von Frau Schlesinger zum Abendessen eingeladen?

Das kann ich für mich persönlich verneinen. Für die gesamte Redaktion zu sprechen, fällt mir da schwer. Aber ich kann es mir kaum vorstellen.

Waren Sie in der nun sagenumwobenen Chefetage vorher mal, zum Gespräch, einer Dienstbesprechung oder ähnlichem?

Ja, allerdings vor dem Umbau zum ARD-Vorsitz. Mich haben die Kosten ehrlich gesagt etwas überrascht, denn – ohne die Vorwürfe kleinreden zu wollen – strahlt es ja eigentlich wenig augenscheinlichen Luxus aus.

Wie ist das Parkett wirklich?

Offenbar biologisch. Ich habe es aber nicht probiert. Im Ernst: Auch da ist die Höhe der Kosten natürlich nicht mit jedem Schritt spürbar.

Sie und Ihr Team von der „Abendschau“ bekommen viel Lob für den Umgang mit dem eigenen Haus. Hätten Sie sich dem Thema früher in dieser Härte widmen müssen?

Das ist der große Vorwurf, den wir uns gefallen lassen müssen. Dass das Ganze eben nicht durch eine Recherche einer öffentlich-rechtlichen Redaktion herausgekommen ist. Dass es von außen so wirkt, als hätten wir im eigenen Haus eine zu große Zurückhaltung, unangenehme Fragen zu stellen. Wir werden in Zukunft das Gegenteil beweisen müssen. Und noch einmal ganz anders über unsere Ausgabementalität nachdenken: Warum nehmen wir es zum Beispiel als gegeben hin, dass mit einer neuen Intendanz ganze Etagen renoviert werden müssen?

Ist der Ruf der Mitarbeiter des RBB beschädigt?

Ich erlebe unter den Berlinerinnen und Berlinern keine Feindseligkeiten gegen mich oder uns persönlich. Aber viele berechtigte, teilweise bohrende Fragen. Wir können jetzt nur dagegen anarbeiten. Zeigen, dass wir die Wut teilen, dass es uns ganz ähnlich geht. Dann können wir das Vertrauen hoffentlich zurückgewinnen.

Wie waren die Reaktionen der Zuschauer auf die Sendungen am Montag und Dienstag?

Sehr positiv. Offenbar hat viele überrascht, dass wir so hart nachgefragt haben. Auch bei denen, die Verantwortung tragen, die unsere Vorgesetzten sind. Andererseits war die Reaktion teilweise fast beunruhigend überrascht. So als hätte man uns das gar nicht zugetraut. Eigentlich machen wir nur unseren Job: So präzise und unerschrocken wie sonst auch.

Womit zum Thema können wir in der heutigen „Abendschau“ rechnen?

Ich habe heute den Chefredakteur David Biesinger zu Gast und da wird es auch wieder alles andere als gemütlich. Denn neben den offensichtlichen Verfehlungen und Vorwürfen geht es hier ja auch um das große Thema: Wie verhältnismäßig war das alles eigentlich? Selbst wenn sich herausstellt, dass es im juristischen Sinn kein Fehlverhalten gab: Wie rechtfertigen wir es gegenüber uns und unseren Zuschauerinnen und Zuschauern, dass am Programm gespart wird, dass Schichten unbesetzt bleiben, aus Kostengründen Beiträge mit dem Handy gedreht werden – aber in den Chefetagen offenbar keinerlei Spardruck herrschte? Das wird eine Frage sein, der sich der Chefredakteur nicht zum ersten und wohl auch nicht zum letzten Mal stellen muss.