Stadtentwicklung

Sanierungsfall Tempelhof: 5000 Havariefälle und Störungen pro Jahr

Die Herrichtung des stillgelegten Flughafens wird nach einem aktuellen Bericht mindestens 15 bis 25 Jahre dauern – und 1,5 Milliarden Euro kosten.

Stillgelegter Flughafen Tempelhof: Von den 200.000 Quadratmetern vermietbarer Bruttogeschossfläche sind rund 127.000 Quadratmeter vermietet, davon 72.000 dauerhaft.
Stillgelegter Flughafen Tempelhof: Von den 200.000 Quadratmetern vermietbarer Bruttogeschossfläche sind rund 127.000 Quadratmeter vermietet, davon 72.000 dauerhaft.IMAGO/Frank Sorge

Pro Jahr sind 5000 Havariefälle und Störungsmeldungen zu bearbeiten, an den Dachflächen kommt es vermehrt „zu immer stärker werdenden Undichtigkeiten und Wassereinbrüchen“: Das Gebäude des stillgelegten Flughafens Tempelhof ist ein schwerer Sanierungsfall, wie aus einem Bericht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hervorgeht, der der Berliner Zeitung vorliegt.

„Die Sanierung und Herstellung der Betriebs- und Verkehrssicherheit“ wird dem Papier zufolge „einen Zeitrahmen von mindestens 15 bis 25 Jahren“ in Anspruch nehmen – abhängig von der jeweiligen Finanzierung. Die Kosten belaufen sich den Angaben zufolge auf „rund 1,5 Milliarden Euro“.

Von der vermietbaren Gesamtfläche von 200.000 Quadratmetern  sind laut dem Bericht rund 127.000 Quadratmeter vermietet. Besonders gravierend: Nur für rund 74.000 Quadratmeter besteht den Angaben nach „eine Baugenehmigung oder Duldung“, das entspricht einem Anteil von 37 Prozent. Rund 52.000 Quadratmeter werden folglich zurzeit „ohne baurechtliche Genehmigung“ vermietet, wie aus dem amtlichen Papier hervorgeht. Dabei handle es sich überwiegend um dauerhaft vermietete Flächen. Pikant: Zu den Mietern gehört auch die Polizei. Für deren Flächen konnte aber „unter anderem aufgrund der Installation einer mobilen Brandmeldeanlage eine brandschutzrechtliche Genehmigung beziehungsweise Duldung der Nutzung erteilt werden“, heißt es in dem Bericht.

Flugbetrieb wurde im Jahr 2008 eingestellt

Dass es für den in der Nazizeit erbauten Flughafen Tempelhof keine Baugenehmigung gibt, hatte die Berliner Zeitung bereits im Jahr 2015 aufgedeckt. Der Umfang der Flächen, die ohne Genehmigung genutzt werden, ist aber neu. Erst im Jahr 2018 wurde dem aktuellen Bericht zufolge zum ersten Mal nach Schließung des Airports „eine Bestandsaufnahme der Genehmigungsstände der Flächen im Flughafengebäude vorgenommen“. 

„Der Umstand, dass für große Teile des Flughafens Tempelhof keine Baugenehmigung vorliegt oder nachweisbar ist, ergibt sich aus der Geschichte des Standorts", sagte die Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Petra Rohland, auf Anfrage. Vielfach seien „keine bauzeitlichen Unterlagen“ auffindbar. „Durch die wechselhaften Eigentumsverhältnisse in der Vergangenheit und eine teils seit Jahrzehnten bestehende öffentliche Nutzung, wurde dieser Zustand erst im Zuge der Grundlagenermittlung in den Jahren 2018/2019 in vollem Umfang gewahr“, so die Sprecherin.

Die Mietflächenbegehungen im Jahr 2018 haben laut dem aktuellen Bericht ergeben, „dass bei vermieteten Flächen überwiegend erhebliche Mängel und dringender Handlungsbedarf bestehen, da dort die Betriebssicherheit, vor allem hinsichtlich des Brandschutzes, nicht gewährleistet werden kann“.

Temporäre Brandmeldeanlage wurde eingebaut

Von der landeseigenen Tempelhof Projekt GmbH, die für das Gebäude zuständig ist, sei daraufhin ein „Maßnahmenplan“ entwickelt worden, der „eine Weiternutzung oder eine Weitervermietung“ ermögliche, heißt es in dem Bericht. „Dazu gehörten: die Bereitstellung einer Betriebsfeuerwehr,  der Einbau einer temporären Brandmeldeanlage und einer temporären Sicherheitsbeleuchtung sowie die Erstellung von Schließungskonzepten“, erklärte Behördensprecherin Rohland. Sie verweist zugleich darauf, dass  55.000 Quadratmeter Veranstaltungsflächen mit einer „interimistischen Versammlungsstättengenehmigung" vermietet würden. So liege  für rund 129.000 Quadratmeter eine Genehmigung vor.

Der Flughafen Tempelhof war im Jahr 2008 geschlossen worden, ohne dass es ein tragfähiges Nachnutzungskonzept gab. Nach dem Volksentscheid von 2014 gegen eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes wurde das Gebäude zwischenzeitlich als Ankunftszentrum und Notunterkunft für Geflüchtete genutzt.

Die aktuellen Pläne sehen vor, dass der stillgelegte Airport zu einem „Zukunftsort und neuem Stadtquartier für Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft mit öffentlicher Infrastruktur und öffentlichen Nutzungen“ werden soll. Für das Flughafengebäude gibt es zurzeit 68 Mietverträge mit 74 Nutzern. Sie belegen von den 200.000 Quadratmetern rund 63 Prozent (127.000 Quadratmeter). Neben der Polizei gehören dazu unter anderem die private Sigmund-Freud-Universität, die neben Psychotherapiewissenschaft und Psychologie auch den Studiengang Medien und Digitaljournalismus anbietet, sowie die Abteilung Verkehrsmanagement der Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr. Auch das Jugendzentrum Potse ist seit September 2021 in Tempelhof.

Alliiertenmuseum soll von Dahlem nach Tempelhof ziehen

Das Alliiertenmuseum ist schon lange als Mieter des Hangars 7 vorgesehen. Mit dem Umzug des Museums, das derzeit noch an der Clayallee in Dahlem residiert, würde nach Einschätzung der Senatsplaner ein „weiterer Besuchermagnet“ entstehen. Das Problem: Noch ist unklar, wann das Museum nach Tempelhof umzieht. „Bevor das Projekt fortgeführt werden kann, erfolgt gegenwärtig die Prüfung des Raumprogramms und dessen Finanzierung durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)“, heißt es in dem Senatsbericht. Sobald die Kosten bewilligt sind, soll der Architekturwettbewerb starten.

Der ausgearbeitete Vertrag sieht vor, dass der Bund eine rund 11.000 Quadratmeter große Fläche in Tempelhof für 99 Jahre nutzen kann. Das Alliiertenmuseum wird dabei zu einer jährlichen Nutzungsentschädigung von 95.770,33 Euro zuzüglich Nebenkosten verpflichtet. Der Bund verpflichtet sich zugleich zu einer einmaligen Zahlung von circa 4,6 Millionen Euro.

Das Deutsche Technikmuseum, das schon jetzt historisches Fluggerät in Tempelhof stationiert hat, darunter einen Rosinenbomber, eine Iljuschin sowie eine Focke-Wulf, wird sich laut dem Bericht derzeit nicht stärker in Tempelhof präsentieren. Es bestünden „keine belastbaren inhaltlichen und finanziellen Planungen für eine dauerhafte Luftfahrtausstellung im Hangar 6“ heißt es. Die Haushaltslage Berlins und die Planungen für den Hauptstandort des Technikmuseums ließen „eine derartige Hangar-Nutzung auch in absehbarer Zeit nicht erwarten“. Vor Jahren hatte das Museum eine stärkere Präsenz in Tempelhof noch erwogen.

Schöne Pläne, die auf vielfältige Probleme stoßen

Als weiteres Projekt zur Entwicklung des Quartiers wird in dem Bericht die Ansiedlung der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) genannt. Sie könnte in den Hangar 5 ziehen und damit nach Einschätzung der Senatsplaner „die Initialzündung“ für die Etablierung eines Mediencampus sein. Ähnlich wie beim Alliiertenmuseum ist ein schneller Umzug nach Tempelhof aber eher unwahrscheinlich. Weil die Sanierung und der mietergerechte Ausbau des Hangars ab Sicherstellung der Finanzierung „einige Jahre“ in Anspruch nehmen werden, der jetzige Mietvertrag der DFFB am Potsdamer Platz aber schon 2025 ausläuft, strebt die Akademie laut dem Bericht zunächst eine „Interimslösung“ an einem anderen Standort an. Tempelhof muss also warten.

Immerhin: Das erste große Öffnungsprojekt in Tempelhof, die Sanierung des sogenannten Kopfbaus West mit dem alten Flughafentower, soll in diesem Jahr fertiggestellt werden. Die Eröffnung ist, nach einem Probebetrieb, im Frühjahr 2023 geplant. Probleme gab es hier mit der für den Rohbau zuständigen Firma. Ihr musste laut Bericht „wegen Leistungsverzug und Mangelleistung“ gekündigt werden. Die Bauverzögerung schlage sich unter anderem in den Baunebenkosten nieder. Die Gesamtkosten dieses Projekts beliefen sich auf 37 Millionen Euro.

Schwierigkeiten gibt es auch noch mit einem anderen Vorhaben: dem Bau der 1,2 Kilometer langen Geschichtsgalerie auf dem Flughafendach zur Seite des Tempelhofer Feldes. Hier gibt es zum einen laut Bericht eine Kostenerhöhung um rund 28,5 Millionen Euro gegenüber dem ursprünglich veranschlagten Budget von 41 Millionen Euro, sodass nun mit Ausgaben in Höhe von 69,5 Millionen Euro gerechnet wird. Das Projekt soll in drei Bauabschnitten realisiert werden. Der erste soll 2026 abgeschlossen werden. Der Terminplan wird aber aktuell überprüft – „aufgrund unerwarteter Schäden am Tragwerk“. Es könnte also später werden.

Kostenexplosion droht bei Gedenkort

Ohnehin gibt es noch einen anderen Konflikt. Um die Geschichtsgalerie als Gesamtmaßnahme errichten zu können, muss nämlich die Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr aus ihren jetzigen Räumen in Tempelhof ausziehen, heißt es. Erst nach dem Wegzug an einen neuen Standort könne mit den „tiefgreifenden statischen sowie bautechnischen Eingriffen begonnen werden“. Als möglicher Ausweichstandort wird ein Neubau in der benachbarten Friesenstraße genannt.

Nicht gut sieht es ferner um den geplanten Gedenkort KZ Columbiahaus aus. Ursprünglich war die Realisierung des Gedenkorts bereits für die zweite Jahreshälfte 2021 geplant. Aufgrund einer nachträglich vorgenommenen Änderung am ursprünglich eingereichten Entwurf und einer angekündigten Verdopplung der Kosten ruht das Projekt laut dem Bericht aktuell. Die rechtlichen Rahmenbedingungen würden überprüft, heißt es.

Was ebenfalls teuer werden könnte, ist die Altlastensanierung. Im gesamten Flughafengebäude finden sich laut dem Bericht Schadstoffe wie teerhaltige Baustoffe, asbesthaltige Stoffe zum Brandschutz und künstliche Mineralfasern. Als Berlin den Flughafen vom Bund erwarb, wurde vereinbart, dass sich der Bund an den Sanierungskosten für die relevanten Gebäudeteile in Höhe von 90 Prozent beteiligt – allerdings nur bis zur maximalen Kaufpreishöhe. Anfang 2023 soll das Gesamtschadstoffgutachten vorliegen. Dann wird feststehen, welche Beträge auf Berlin und den Bund zukommen.

Abgeordneter fordert Tempo für klimagerechte Sanierung

Der Grünen-Abgeordnete Julian Schwarze drückt aufs Tempo: „Eine umfassende und klimagerechte Sanierung ist unerlässlich“, sagt er. Diese Mammutaufgabe werde viel Zeit kosten. „Die Planungen dazu sollten schnellstmöglich beginnen. Gleichzeitig wollen wir Bestandsnutzungen in den Gebäuden sichern und weitere gemeinwohlorientierte Zwischennutzungen ermöglichen.“ Die Vergabe von Flächen müsse in Zukunft transparent ablaufen. Intransparente Vergaben wie bei der Kunsthalle Berlin dürften sich nicht wiederholen. „Wichtig ist aus unserer Sicht, dass der Partizipationsprozess für die interessierte Öffentlichkeit wieder aufgenommen wird“, so Schwarze.