Noch ist die Tanzfläche fast leer. Nur ein einsamer, mittelalter Mann tippt mit den Füßen im Takt auf den Boden, den Oberkörper leicht nach hinten gelehnt und eine Bierflasche in der Hand. Er trägt schwarze, kurze Hosen, schwarze Schnürstiefel und ein T-Shirt seiner Lieblingsband: Rammstein.
Doch es ist nicht Till Lindemann, der hier singt, sondern Oomph und Nina Hagen. „Steck mir den Finger in den Hals, bis ich, bis ich, bis ich mich übergeben kann“, singen sie. Es ist ein martialisches Lied, das mit Pop wenig gemein hat. Man würde es wohl kaum als „Partylied“ bezeichnen – wäre man nicht auf einer Metalparty. Die findet in dieser Sonntagnacht zu Ehren von Rammstein im M-Bia-Club am Alexanderplatz im Anschluss an das zweite von drei Konzerten in Berlin statt. Weder ist es eine von der Band organisierte Party noch sind Lindemann, „Flake“ und Co. vor Ort.
Dennoch ist es eine gute Party, nicht nur nach Maßstäben der eingeschworenen Gemeinschaft aus hartgesottenen Rammstein-Fans. Alle sind freundlich, die Toiletten sind sauber, niemand fickt wild in der Ecke rum, Drogen scheinen auch keine große Rolle zu spielen.
„Ich werf’ den Stein zu meinem Spaß, das Wasser sich im Kreis bewegt, der Alte sieht mich traurig an, und hat es wieder glatt gefegt“: nun ertönt endlich Rammstein. Die Tanzfläche füllt sich. Gegen 1 Uhr wird sie so voll sein, dass die Besucher sich vor ihr stauen.
Stefan Becker ist der Mann, der sich allein auf die Tanzfläche wagte. Der 52-Jährige macht eine kleine Pause, in der er erzählt, dass er schon am Sonnabend bei dem ersten Rammstein-Konzert in Berlin war. An dem Abend gab es nur leider keine After-Show-Party, zu der er hätte gehen können. Die Band selbst organisiert keine mehr, seitdem mehrere Frauen Vorwürfe gegen Till Lindemann erhoben haben, sie seien für After-Show-Partys gecastet und dem Sänger gezielt zugeführt worden. Einige vermuten, dass sie mit K.o.-Tropfen betäubt wurden.
Metalparty wie in Mitteldeutschland
„Es gilt die Unschuldsvermutung“, sagt Becker. Er finde es bedenklich, wie der Rechtsstaat in sozialen Medien „ad absurdum“ geführt werde. Wenn die Vorwürfe gegen Till Lindemann stimmen, dann müsse er bestraft werden, ganz klar. „Aber das kann nicht auf Twitter und Co. entschieden werden.“
„Ramm-stein – Ramm-stein – Ramm-stein“, skandiert die Menge wie schon auf den beiden bereits stattgefundenen Konzerten im Olympiastadion. Etwa zwei Drittel der Partygänger sind Männer – viele untersetzt und mit langen, schon angegrauten Bärten. Es ist eine Metalparty wie sie auch in jeder kleinen Großstadt in Deutschland stattfinden könnte. Ein wenig aus der Zeit gefallen, angesichts queerer Pornceptual-Events und ähnlichen Veranstaltungen in der Hauptstadt, bei denen es vornehmlich um öffentlichen Sex geht – aber stimmungsvoll.
Karo Hackl ist ebenfalls Fan in der eingeschworenen Rammstein-Gemeinde. Wie viele ärgert sie sich über die Medien. Die Presse berichte einseitig über Rammstein. Schon immer hätten deutsche Zeitungen negativ über die Band berichtet. „Jetzt scheinen sie endlich was gefunden zu haben, womit sie ihn (Till Lindemann, Anm. d. Red.) fertig machen können“, sagt die 41-Jährige und zieht Fälle wie Jörg Kachelmann hinzu, um ihre These zu untermauern. Bei dem sei hinterher auch nichts gewesen. Wenn was gewesen sein sollte, gehöre Lindemann aber natürlich bestraft. Die 41-Jährige finde es nur bedenklich, dass ohne Beweise „Mist über ihn ausgekippt“ werde.
Wie für Berlin zu erwarten, findet sich auch im M-Bia-Club an diesem Abend viel internationales Publikum. Im Ausland sind die Vorwürfe um Till Lindemann kaum ein Thema. Dies spiegelt sich auch in den Aussagen der Touristen in dieser Nacht wider.
Vorwürfe gegen Till Lindemann: „Die Richter sollten urteilen“
So hat beispielsweise der 24-jährige James Smith aus London nicht einmal von den Vorwürfen gehört. Und der 27-jährige Tom Bendd aus der Slowakei zuckt gar mit den Schultern: „None of my business.“ Henriette Olsen, 36 Jahre jung, erzählt stolz, sie sei extra aus Norwegen für das Konzert angereist. „Die Richter sollten urteilen“, sagt sie und tippt dann wieder auf ihrem Smartphone.
Ein Mann verlässt die Tanzfläche und wischt sich das verschwitzte Gesicht mit seinem Rammstein-T-Shirt ab. Es ist unklar, wie viel die Band mit ihrem Merchandise verdient. Sicher ist nur: Bandshirts sind vielleicht in Prenzlauer Berg aus der Mode gekommen, hier aber sind sie ein Statement.
Auch Darren aus England trägt ein Bandshirt. Zudem hat er einen Turnbeutel von Rammstein auf dem Rücken. Er sagt, er unterstütze die Band. Er würde sie nicht unterstützen, wenn tatsächlich etwas passiert sei. Aber Stand jetzt wäre Till Lindemann im Gefängnis, wäre etwas passiert, sagt der 50-Jährige. Er ist Rammstein-Fan seit 2004. Dass die Mühlen deutscher Gerichte langsam mahlen, ist ihm vermutlich nicht bewusst.





