Verkehr

Radbahn am Kotti: Wie lässt sich der Raum unter dem Viadukt besser nutzen?

Unter der U1 eine Radbahn zu errichten, ist nicht so einfach – seit einem Jahr wird es versucht. Doch die Initiatoren lassen sich ihren Optimismus nicht nehmen.

Wie steht es um das Pilotprojekt an der Skalitzer Straße? Ein Jahr ist seit der Eröffnung vergangen.
Wie steht es um das Pilotprojekt an der Skalitzer Straße? Ein Jahr ist seit der Eröffnung vergangen.Emmanuele Contini

Matthias Heskamp steht unter der Hochbahn und blickt sich um. „Ich glaube, man braucht viel Fantasie“, sagt er schließlich. „Aber die haben wir.“ Auf dem Plakat neben ihm sieht man, was er und sein Team sich ausgemalt haben: Die Zeichnung zeigt das Viadukt auf der Skalitzer Straße, zwischen Görlitzer Park und Kottbusser Tor. Die Sonne scheint, hier sind viele Fahrradfahrer unterwegs, alles ist grün, überall blüht es. Von Autos weit und breit keine Spur. 

Blickt man einen halben Meter nach rechts, vom Plakat in die Realität, sieht man ein ganz anderes Bild. Es lärmt, links und rechts brausen Lkw, Busse und Autos auf der in beide Richtungen zweispurigen Fahrbahn. Der Fahrstreifen unter dem Viadukt, der eigentlich eine Radbahn werden sollte, ist übersät mit Taubenkot.

Auf dem bisher geöffneten Aktionsfeld ist aber schon einiges passiert – es ist mal mehr, mal weniger begrünt, oben an den Bögen hängt eine Lichtinstallation; es gibt auch eine kleine Station, an der man sein Fahrrad reparieren kann. Hundert Meter weiter in Richtung Kotti hört das Grün jedoch auf. Was bleibt, ist der Taubenkot sowie der Blick in einen langen, grauen und vor allem zugeparkten Tunnel. 

Ein Jahr Reallabor Radbahn: Erweiterung verzögert sich

Vor einem Jahr startete das Projekt Reallabor Radbahn hier in Kreuzberg. Das Ziel war damals, eine Radbahn unter dem Viadukt zu schaffen. Heute hat sich der Fokus ein wenig verschoben. Jetzt betont das Team vor allem das Anliegen, die Stadt lebenswerter und nachhaltiger zu gestalten – ob durch eine Radbahn oder vielleicht durch etwas anderes, das sei immer noch in der Findungsphase.

Reallabor Radbahn: Geschäftsführer Matthias Heskamp und Pressesprecherin Luise Flade
Reallabor Radbahn: Geschäftsführer Matthias Heskamp und Pressesprecherin Luise FladeEmmanuele Contini

Wie kann man den freien Raum unter dem Viadukt nutzen – anders als für Parkplätze? Die große Vision war eine kilometerlange Radstrecke unter der Hochbahn entlang der U-Bahn-Linie 1. Bis dahin ist es aber buchstäblich noch ein weiter Weg. Bisher muss sich ein ungefähr hundert Meter langes Aktionsfeld dem Realitätscheck unterziehen. 

„Klar würden wir irgendwann gerne die Ziellinie erreichen“, sagt Matthias Heskamp. „Und das Narrativ der Radbahn ist immer noch da. Trotzdem sind wir für Diskussionen offen, für was der Platz noch genutzt werden kann.“ 

Genau ein Jahr nach Eröffnung des Aktionsfeldes sollte die Strecke eigentlich um 200 Meter verlängert werden, das Testfeld jetzt erst entstehen. Für die Bebauung und Begrünung sollte eine Firma gefunden werden, das Projekt wird vom Bund finanziert. Die große Ankündigung der Eröffnung Ende August muss Matthias Heskamp, der Geschäftsführer und Architekt des Projekts, allerdings zurückziehen. 

„Wir haben bis dato keine Firma gefunden“, berichtet Heskamp, „dabei ist es so ein interessantes Projekt.“ Laut ihm und seiner Pressesprecherin Luise Flade mache es vor allem die Sommerzeit gepaart mit dem Fachkräftemangel schwierig, Auftragnehmer zu finden.

Das Aktionsfeld ist seit einem Jahr dauerhaft installiert: Um die Instandhaltung kümmert sich Heskamps Team.
Das Aktionsfeld ist seit einem Jahr dauerhaft installiert: Um die Instandhaltung kümmert sich Heskamps Team.Emmanuele Contini

Außerdem sei ihr Projekt für Firmen planerisch ein Mehraufwand.  Schließlich handle es sich um eine „Laborsituation“, ein Pilotprojekt, das erst noch evaluiert und bewertet werden müsse. „Zum Beispiel wollen wir nicht einfach eine Sorte Blumen pflanzen, sondern mehrere“, erzählt Luise Flade, „um dann herauszufinden, welche Pflanzen sich hierfür überhaupt eignen.“  Die Verzögerungen seien aber kein Grund, aufzugeben: „Wir geben den Firmen einfach mehr Zeit und warten auf den Winter“, sagt Heskamp. Stand jetzt sollen die Bauarbeiten im Oktober beginnen.

Noch ist das Viadukt in erster Linie ein Parkplatz

Zum Fotografieren setzen sich Matthias Heskamp und Luise Flade auf eine selbstgebaute Bank. Ihre Fahrräder, mit denen sie – wie auch sonst – hergekommen sind, stehen auf dem Mittelstreifen. Ein Auto, das dort parkte, rollt an und kommt nicht an den Rädern vorbei.

Der Fahrer wartet geduldig, bis die Fotos gemacht sind und Heskamp und Flade ihre Fahrräder aus dem Weg räumen. Noch ist der Platz unter dem Viadukt umstritten – Ziel des Reallabors Radbahn ist es jedoch, dass die Parkplätze, die sich momentan auf den 200 Metern unter der Hochbahn befinden, ersatzlos gestrichen werden.

Stattdessen soll zwischen den Pfeilern eine schöne grüne Landschaft entstehen, in der Mitte ein Raum zum Fahrradfahren und potenziell auch ein Ort zum Verweilen. Die schriftliche Genehmigung zum Entfernen der Parkplätze sei jedoch noch nicht endgültig auf dem Tisch, nötige Vorgespräche wurden aber alle bereits geführt. 

Vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sei bisher viel Zuspruch für das Projekt gekommen, Bezirksbürgermeisterin Clara Hermann sprach schon bei der Eröffnung vor einem Jahr öffentlich ihre Unterstützung dafür aus. Auch von den meisten Anwohnern hätten sie Zuspruch erhalten. „Da es erst mal um 200 Meter geht, tut das bisher niemandem wirklich weh“, sagt Matthias Heskamp, und „dafür kriegt man ein schönes grünes Stück Stadt“.

Selbst reparieren: Eine kleine Fahrradstation wurde eingerichtet. Noch ist aber nicht viel Betrieb – die Teststrecke ist auch nur wenige Meter lang.
Selbst reparieren: Eine kleine Fahrradstation wurde eingerichtet. Noch ist aber nicht viel Betrieb – die Teststrecke ist auch nur wenige Meter lang.Emmanuele Contini

Von Kai Wegners Fahrradpolitik, die viele andere Projekte wie etwa die autofreie Friedrichstraße gestoppt hat, ist das Radbahnprojekt hier auf der Skalitzer Straße nicht betroffen. „Wir persönlich wurden in keiner Weise wegen des Regierungswechsels benachteiligt“, sagt Matthias Heskamp, im Gegenteil: Selbst die CDU und die FDP würden das Projekt befürworten.

„Wir hoffen natürlich trotzdem, dass die Politik eine Richtung einschlägt, mit der Stadtraum gerecht unter allen Verkehrsteilnehmenden aufgeteilt wird“, fügt Luise Flade hinzu. Es gehe keineswegs darum, die Gruppen gegeneinander auszuspielen, sondern um eine gute Lösung für alle, die im Hinblick auf den Klimawandel auch zeitgemäß sei. 

Ein Experiment, das ein symbolisches Zeichen setzen will

Ob daraus letztendlich die neun Kilometer lange Radbahn entsteht, die einst geplant wurde, ist noch unklar. „Das hier war von Anfang an ein Ausprobieren“, sagt Flade. Man sei gewillt, sich der letztlich besten Option zu beugen. „Es geht um die Ertüchtigung und Qualifizierung des öffentlichen Raums: Wie man ihn besser nutzen kann als lediglich für parkende Autos und Tauben.“ Der Optimismus des Teams und das zukunftsweisende Denken sollten außerdem als symbolisches Vorbild für die Stadt Berlin dienen.

Was aber außer Frage stehe, sei, dass sich die momentane Verkehrssituation für Radfahrer hier noch deutlich verbessern müsse. „Der Fahrradweg auf der Skalitzer Straße ist gefühlt einen halben Meter breit und eine Buckelpiste, darauf lässt sich nicht gut fahren“, sagt Luise Flade. „Es muss ein neues Angebot geben – egal ob wir das sind oder ob es eine neue Planung von der Senatsverwaltung und dem Bezirk gibt.“

Denn Matthias Heskamp und Luise Flade sind sicher: Je besser die Infrastruktur für Radfahrer, desto mehr wird das Fahrrad auch genutzt. Am 9. September wollen sie auf dem Aktionsfeld ein Sommerfest veranstalten, um zu Austausch, Diskussion und zum Verweilen einzuladen – mitten auf der Skalitzer Straße.