Rave

Loveparade-Urgestein: Zyniker unken von Toten im Tiergarten

Rave the Planet findet am Samstag statt. Ein Veteran der Szene hat große Zweifel an der Seriosität von Dr. Motte und wünscht den Ravern viel Glück. Ein Gastbeitrag.

Früher war es größer, aber auch besser organisiert, sagt der Loveparade-Mitgründer.
Früher war es größer, aber auch besser organisiert, sagt der Loveparade-Mitgründer.imago images

Paraden veranstalten ist ein undankbarer Job. Es gilt an Tausend Dinge und Auflagen zu denken, von Sanitätern bis hin zu Sanitärbereichen, von Soundsystemen bis hin zu Umweltauflagen. Alles kostet etwas, und Geld bringt das Ganze erst mal nicht, denn wenn Hunderttausende an einer kostenlosen Demonstration teilnehmen, macht dies dem Veranstalter die Taschen nicht voll.

Die 90er waren im Vergleich goldene Jahre, Techno war neu und heiß, Sponsoren standen zwar nicht Schlange, aber waren da, Tonträger zur Veranstaltung verkauften sich wie geschnitten Brot, die Mauer war gefallen und die Hoffnung auf Weltfrieden omnipräsent.

Ob Dr. Motte die Loveparade tatsächlich erfunden hat, dazu gibt es unterschiedliche Geschichtsschreibungen; manche erzählen, es sei eine Miriam gewesen, verbunden wird sie mit Mottes Namen. Sein wichtigster Beitrag waren in den Augen der Mitveranstalter nicht seine oft wirren Ideen und Theorien, auch nicht seine Ansprachen – sondern die Tatsache, dass Motte die Parade immer als Einzelperson anmeldete. Wäre etwas passiert, wäre er damit alleine haftbar gewesen, was ihm womöglich gar nicht klar war; darauf aufmerksam machten die Mitveranstalter ihn nicht.


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Tatsächlich hat sich daran im Grunde nichts geändert

Heute Morgen erfuhr ich, dass Motte inzwischen – ehrenamtlich – der Geschäftsführer der GmbH Rave the Planet ist, und ich bedauerte ihn fast ein bisschen. Aber auch Techno-Deutschland – weil der gelernte Betonmischer, dem man gerade so zutraut, seine DJ-Gage zu zählen, hier die Geschäfte und Geschicke einer Veranstaltung in die Hand nimmt, die immerhin eine halbe Million Leute und mehr interessiert, statt einfach braves Maskottchen zu sein, Pardon, Vordenker ohne Leitungsfunktion. Aber wahrscheinlich ist es wie damals – irgendjemand soll die Verantwortung tragen.

Zugegeben, als Rave the Planet im letzten Jahr startete, war mir das Spektakel suspekt, in der GmbH spielten die Herren Quirin von Adelmann und Florian Löhlein eine tragende Rolle, die unter anderem Macher des DDR-Museums und rührige Geschäftsleute sind und die Motte auf ihrer Veranstaltung Nineties Berlin kennengelernt hatten. Der Erfolg des ersten Rave the Planet überraschte mich, auch wenn meine gar nicht so ungeübten Augen dort eher 200.000 als 300.000 Gäste sahen. Ich dachte zu dem Zeitpunkt, dass die Leute es antiquiert und oll finden würden, hinter stinkenden, umweltverschmutzenden Diesel-Trucks herzulaufen, doch weit gefehlt.

Die Masse liebt Tanzen hinter Dieseltrucks noch immer

Eigentlich war dieser Rave the Planet für Motte ein Triumph, den er sich auf der zweiten Hälfte der Wegstrecke aber sensationell tölpelhaft zerstörte, indem er zum Entsetzen seiner Mitstreiter ein „Querdenker“-Symbol wie einen religiösen Fetisch umherschwenkte. Natürlich wollte er nachher nicht gewusst haben, um was für ein Symbol es sich handelte, Sponsoren und Partner dürfte es dennoch abgeschreckt haben. Auch die Herren vom DDR-Museum waren aus der Gesellschaft ausgeschieden.

So verging das Jahr mit den üblichen Betteleien um Spenden, Tim Zeiss wurde als neuer Geschäftsführer eingesetzt, und man hatte das Gefühl, einem erfolgreichen nächsten Rave the Planet stünde nichts entgegen. Nun gut, das Motto „Music is the Answer“ kam nicht nur mir dämlich und antiquiert vor. Zu Zeiten von Ukraine-Krieg und Klimakrise ist eben gerade Musik nicht die Antwort.

Bemerkenswert ist, dass das bestimmende Gesicht von Rave the Planet nicht mehr Motte ist, sondern seine dynamische Ehefrau Ellen Dosch-Roeingh, die als Einpeitscherin und Vokalistin mit Megafon auffällt und den „Doktor“ zum bloßen Sidekick verkommen lässt, der fürs Absonderliche zuständig ist.

So äußerte er den Verdacht, dass alle großen Sanitätsdienste Rave the Planet auf perfide Weise boykottieren würden. Ohne Verschwörungstheorie gehts nun mal selten bei Motte. Vergleichbar wäre dies damit, wenn eine Location drei Superstar-DJs mit dem Angebot kontaktierte, dass sie doch bitte in zwei Tagen für lau bei ihnen spielen sollten, und wenn dann keiner zusagt, von einer Verschwörung, einem Boykott aller Superstar-DJs sprechen würde.

Leider wahr: Music ist nicht die Answer, Money ist die Answer

Es war der Start einer Woche des Geldeinsammelns. Großspurig verkündete Frau Dosch-Roenigh in einem Appell an die 300.000 Teilnehmer des Vorjahres, dass wenn jeder fünf Euro beisteuern würde, man 1,5 Millionen hätte, mit denen man nicht nur fünfmal die Sanitäter bezahlen, sondern auch noch „viele andere tolle Sachen“ machen könnte. Die Realität sieht anders aus. Über gofund.me kamen in der Woche circa 20.000 Euro bis Freitagmittag zusammen. Rechnet man wie Miss Ellie, dann sind das immerhin sieben Cent pro vermeintlichem Teilnehmer, andere Geldquellen sind nicht so transparent einsehbar. Überhaupt ist die Kommunikation von Rave the Planet eine einzige Katastrophe. Social-Media-Kanäle bleiben tagelang ohne Update, Ankündigungen wie die von Motte zur letzten Pressekonferenz erfolgen über Instagram-Accounts.

Besagte Pressekonferenz war nach dem Eindruck vieler Beobachter eher besorgniserregend. Motte las einige Parolen von seinem Handy ab, beschuldigte die Stadt, seinem Team nichts als Steine in den Weg zu legen, um gleichzeitig dem Kultursenator „Christian“ Chialo – dessen Vorname eigentlich Joe lautet –  für seine Hilfe zu danken. Den falschen Vornamen korrigierte Motte erst auf Hinweis seiner Mitstreiter. Der zweite Geschäftsführer Tim Zeiss bekannte freimütig, man habe einen kommerziellen Sanitätsdienst angeheuert, dieser sei schweineteuer, man habe zwar derzeit auch das Geld noch nicht, sei aber zuversichtlich, es noch durch Spenden auftreiben zu können. Ohne irgendwem nahetreten zu wollen: Wie seriös ist eine Firma, die sich auf diesen Desperado-Deal einlässt? Immerhin: Die Klage vor dem Verwaltungsgericht, einen Sanitätsdienst zu stellen, wurde von Rave the Planet zurückgezogen. Der Weg ist frei für die Parade!

Das könnte sich anhören wie der Beginn eines fantastischen Happy Ends. Oder der Beginn einer großen Katastrophe. Bei 35 Grad und mit den derzeit umherschwirrenden todbringenden „Blue Punisher“-Ecstasypillen könnte es – Sanitätsdienst hin oder her – zu kritischen Situationen kommen. Zyniker unken schon, dass man bald nur mehr wenig von den Toten im Tunnel hören werde, die von den Toten im Tiergarten übertroffen würden.

Eine besondere Rolle wird dem Einsatzleiter des zuständigen Polizeiabschnitts zukommen; er muss die Veranstaltung schlussendlich genehmigen. Im letzten Jahr wurde die Party kurz vor der Siegessäule abgebrochen, dieses Jahr fängt sie dort erst an. Ich wünsche allen Teilnehmern gute Kondition und Gesundheit – trinkt viel Wasser und kommt da heil wieder raus!

Zum Autor: Jürgen Laarmann war von 1991 bis 1996 Gesellschafter und Veranstalter der Loveparade, er designte 1991 das bekannte Logo mit dem Strahlenkranz um das Herz, außerdem war er in den 90ern Inhaber und Chefredakteur des Magazins Frontpage sowie Gesellschafter der Mayday GmbH. Er arbeitet heute als freier Journalist.


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