Kassenärztliche Vereinigung

42.000 verbotene Fahrten: Kassenärzte wurden illegal durch Berlin gefahren

Laut Landesamt hatte der Fahrdienst seit November keine Erlaubnis mehr. Dieser beschuldigt wiederum das LABO der Untätigkeit. Was ist da los?

Die 23 neuen Elektroautos, mit denen die Fahrer die Bereitschaftsärzte zu den Patienten bringen sollen, stehen ungenutzt herum.
Die 23 neuen Elektroautos, mit denen die Fahrer die Bereitschaftsärzte zu den Patienten bringen sollen, stehen ungenutzt herum.Privat

Wer akute Bauschmerzen oder hohes Fieber hat, muss jetzt noch länger auf den Hausbesuch eines Arztes warten. Denn die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV), die die Bereitschaftsärzte zu immobilen Patienten schickt, hat keine Autos mehr. Die Ärzte müssen nun Taxis nehmen.

Der Grund: Die Fahrzeuge der KV waren angeblich illegal unterwegs. Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) lehnte deshalb die Erneuerung der Genehmigung für die bisherige Transportfirma ab. Diese hatte bis zu ihrer Insolvenz 2020 den Fahrdienst betrieben und wurde dann von der in Gelsenkirchen ansässigen Stölting Service Group GmbH gekauft.

Die vom LABO erteilten Konzessionen für alle 23 Autos liefen im November 2022 aus. Trotzdem habe die Firma weiterhin Fahraufträge durchgeführt, obwohl sie seit dem 13. November keine gültige Genehmigung für den gewerblichen Personenverkehr mehr hätte, teilte das LABO auf Anfrage der Berliner Zeitung mit. Dies sei bei diversen Fahrzeugkontrollen durch die Polizei festgestellt worden.

Die Ermittlungen im Rahmen der daraufhin eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahren hätten ergeben, dass vom 13. November 2022 bis 3. Mai 2023 wahrscheinlich über 42.000 illegale Fahrten durchgeführt worden seien.

Vor der KV Berlin reihen sich die Taxen aneinander

Nachdem das LABO Anfang Juni per Bescheid die Erneuerung der Konzessionen ablehnte, schickte die Firma alle 60 Fahrer in den Zwangsurlaub. Wann der „Urlaub“, der mit einer geringeren Bezahlung verbunden ist, für sie endet, ist nicht abzusehen. Und so reihen sich vor dem Haus der KV Berlin die Taxen aneinander.

Die Verletzung der Vorschriften zur Personenbeförderung sowie die unterlassene Beibringung antragsrelevanter Unterlagen hätten dazu geführt, dass die Zuverlässigkeit des Unternehmens beziehungsweise der zur Führung der Geschäfte bestellten Personen als nicht gegeben anzusehen war.

Nach Darstellung der Behörde stellte die Transportfirma erst am 23. Dezember, also einen Monat nach Ablauf der befristeten Erlaubnis, einen Antrag auf Erneuerung der Genehmigung. Es seien mehrfache schriftliche und mündliche Hinweise und Aufforderungen gestellt worden zur Einreichung von Unterlagen, die die Genehmigungsbehörde benötige, um die gesetzlich niedergelegten Voraussetzungen überhaupt prüfen zu können.

LABO: Kein Nachweis über die fachliche Eignung der Geschäftsführung

Weil nach Darstellung des LABO bis heute noch Unterlagen fehlen, hätten die Genehmigungsvoraussetzungen nach dem Personenbeförderungsgesetz nicht geprüft werden können. Insbesondere habe die persönliche Zuverlässigkeit nicht festgestellt werden können, „so dass der Antrag auf Verlängerungsantrag schon deshalb abgelehnt werden musste“, begründet das LABO.

Laut Behörde wurden viele Unterlagen nicht eingereicht: etwa der Nachweis der fachlichen Eignung der mit der Führung der Geschäfte beauftragten Personen. Der bisher bekannte fachkundige Mitarbeiter sei wohl bereits am 20. April 2022 aus dem Unternehmen ausgeschieden. Laut LABO sei deshalb bereits zu diesem Zeitpunkt eine der wesentlichen Genehmigungsvoraussetzungen weggefallen.

An der Masurenallee in Berlin-Charlottenburg stehen die Taxen Schlange vor dem Haus der Kassenärztlichen Vereinigung.
An der Masurenallee in Berlin-Charlottenburg stehen die Taxen Schlange vor dem Haus der Kassenärztlichen Vereinigung.Privat

Der Genehmigungsbehörde hätte diese Neuerung bekannt gegeben werden müssen. Weiterhin fehlen Kontoauszüge zur Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit, Führungszeugnisse und Auskünfte aus dem Gewerbezentralregister für zwei der Geschäftsführer. Das LABO wartet nach eigenen Angaben auch auf die Unbedenklichkeitsbescheinigungen des Finanzamtes für alle Geschäftsführer und der Berufsgenossenschaft Verkehr und die Unbedenklichkeitsbescheinigung über die Krankenkassenbeiträge des angestellten Fahrpersonals.

Erforderliche Aufzeichnungen über die Beförderungsaufträge, die die Firma hätte beibringen müssen, fehlten ebenfalls. Inzwischen seien diese ersatzweise im Rahmen des Ordnungswidrigkeiten-Verfahrens bei der KV selbst angefordert und geliefert worden, teilt das LABO mit.

Firma Stölting: Das LABO wünscht keine Kontaktaufnahme mit uns

Die Firma Stölting hat gegen den Ablehnungsbescheid Rechtsmittel eingelegt. Von der Berliner Zeitung mit den Vorwürfen konfrontiert, teilte der Geschäftsführer der Stölting Service Group, Boris Westerfeld, schriftlich mit: „Eine Kontaktaufnahme ist bislang von Seiten des LABOs nicht erwünscht gewesen. Das LABO teilte mit, dass es derzeit keine Veranlassung für ein gemeinsames Gespräch sehe.“

Weiter äußert sich der Geschäftsführer: „Nach unserer Auffassung haben wir den Antrag auf Erneuerung der Genehmigung vollständig einschließlich aller Anlagen eingereicht.“ Seit über 20 Jahren arbeite man verlässlich mit der Kassenärztlichen Vereinigung zusammen und unterstütze diese bei der ambulanten Versorgung immobiler Patienten.

„Gerade wegen dieser hohen Bedeutung unserer Dienstleistung für die Patientenversorgung in Berlin haben wir mehrfach beim LABO nachgefragt, haben jedoch keine Auskunft darüber erhalten, welche konkreten antragsrelevanten Dokumente, Belege und Nachweise vermeintlich noch fehlen sollen“, so Westerfeld. „Auch können wir nicht verstehen, warum die Entscheidungsfindung des LABO derart lange Zeit in Anspruch genommen hat, bei einem Sachverhalt, bei dem es um die ärztliche Versorgung hilfsbedürftiger Menschen geht.“

Die Berliner Zeitung wollte von der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin wissen, ob diese sich für die Geschäftstätigkeit ihres Vertragspartners interessiert hat und ob eventuelle Kontrollmechanismen versagt haben. Diese Frage wollte die KV nicht beantworten. Eine Sprecherin verwies auf eine frühere Antwort, wonach aufgrund der nicht erteilten Genehmigung Einschränkungen bei der Versorgung immobiler Patienten nicht auszuschließen seien.

Inzwischen sollen schon 210.000 Euro an Kosten für die Taxifahrten angefallen sein. Diese muss die Firma Stölting als Vertragspartner der KV Berlin tragen.