Grüne Verkehrspolitik

Kampf um Parkplätze in Mitte: „Die Leute fühlen sich nur noch verarscht“

Die Grünen wollen, dass jeder vierte Parkplatz in Berlin verschwindet. Zuerst aus dem Bezirk Mitte. Wie schwer das werden kann, zeigt der Fall Krausenstraße.

Berlin-Mitte: Wer noch einen Parkplatz findet, ist nicht bereit für die Verkehrswende.
Berlin-Mitte: Wer noch einen Parkplatz findet, ist nicht bereit für die Verkehrswende.imago/Shotshop

Fragt man Hendrik Blaukat, dann hat alles miteinander zu tun: Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft, die Verrohung, dieses Entweder-du-bist-dafür-oder-dagegen. All das, sagt Blaukat, liege in Vorgängen begründet, wie dem hier in seiner Straße.

Denn hier, in der Krausenstraße in Mitte, sollte das Parken verboten werden. Für alle Anwohner. Dann aber erst mal doch nicht. Und dann doch wieder, nur nicht für alle. Hendrik Blaukat sagt: „Die Leute fühlen sich nur noch verarscht.“

Das Thema Parken in Berlin ist brandaktuell – und es polarisiert. Für die Grünen sind Parkverbote ein Hebel, um das Autofahren unattraktiv zu machen, zugunsten von Bus, Bahn und Fahrrad. Am vergangenen Wochenende beschlossen die Abgeordneten der Grünen-Fraktion ein Papier, in dem es heißt: Für eine gerechtere Aufteilung des öffentlichen Raums brauche es eine schnelle Umwidmung von Parkraum.

Der Bezirk Mitte sei mit seinem Ziel, jeden vierten Parkplatz zu entsiegeln, ein „Vorreiter fürs gesamte Land“. Hier sollen in den nächsten fünf Jahren 20.000 Parkplätze gestrichen werden. Wer nicht mehr parken kann, so die Logik, der sucht sich (grüne) Alternativen.

Wie schwer es werden könnte, dieses Ziel zu erreichen, erfährt man in der Krausenstraße. Viele Berlinerinnen und Berliner werden die Straße wohl nicht kennen. Die vier Hochhäuser aber, die an sie grenzen und die man sieht, wenn man vom Potsdamer Platz Richtung Alex fährt, dürften den meisten bekannt sein. Rund Sechseinhalbtausend Menschen leben hier auf siebenhundert Metern. „Wir sind das am dichtesten besiedelte Quartier in ganz Mitte“, sagt Hendrik Blaukat. „Macht es Sinn, genau diesen Anwohnern eins vor den Latz zu hauen?“

Wir haben die mit Mails bombardiert.

Hendrik Blaukat, Anwohner

Alles beginnt im Jahr 2017. Es ist die Zeit kurz nach der Abgeordnetenhaus-Wahl, Verkehrssenatorin ist Regine Günther, eine Grüne. In dem Quartier rund um die Leipziger Straße, zu dem auch die Krausenstraße gehört, engagiert sich ein Verein aus Mietern, Eigentümern und Gewerbetreibenden. Sie wollen, dass die Krausenstraße verkehrsberuhigt wird. Zu viel Umgehungsverkehr von den großen Parallelstraßen. Nur durch Zufall erfahren sie, dass bereits eine Planung im Gange ist. Was genau geplant wird, das erfahren sie nicht.

Hendrik Blaukat, 49, ist der Vorsitzende des Vereins und wohnt selbst in einem der Hochhäuser im 16. Stock. Er ist Architekt und arbeitet bei der Deutschen Bahn als Projektmanager für Infrastrukturthemen. Er kennt sich aus mit der Thematik. Seine Mitstreiter von der „Interessengemeinschaft Leipziger Straße“ und er fangen an, dem Senat Anfragen zu schicken: Was plant ihr mit unserer Straße?

Die Straße soll „klimaresilient“ werden

Es dauert. 2017 keine Antwort. 2018 keine Antwort. „Wir haben die mit Mails bombardiert“, sagt Blaukat, dennoch: keine Antwort. 2019 veranstaltet der Verein eine Konferenz, in der es um die Zukunft des Quartiers geht. Auch Vertreter der Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr kommen – und gehen nach einer halben Stunde wieder. Warum, das weiß Blaukat bis heute nicht. Eine Antwort auf die Anfragen des Vereins erhält er jedenfalls auch da nicht. Alles, was der Senat mitteilt, ist, dass es bei den Plänen darum gehe, die Krausenstraße „klimaresilient“ zu machen.

Es vergeht wieder sehr viel Zeit. Im Mai 2021 teilt der Senat dann schließlich mit, die Krausenstraße werde umgestaltet. Und alle 260 Parkplätze sollen verboten werden. Baustart: Ende 2022. Ein Online-Beteiligungsverfahren ist für zwei Wochen auf der Website meinberlin.de geplant. Mitten in den Sommerferien. „Davon erfahren haben nur ein paar der Anwohner“, sagt Blaukat. „Per Postkarte.“

Hendrik Blaukat von der „Interessengemeinschaft Leipziger Straße“
Hendrik Blaukat von der „Interessengemeinschaft Leipziger Straße“Gerd Engelsmann

Die Stimmung bei den Anwohnern ist zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich aufgeheizt. Dabei gebe es durchaus unterschiedliche Meinungen zum Thema, sagt Blaukat. Einige könnten sich vorstellen, auf ihr Auto zu verzichten. So wie er selbst. Im März hat er seinen 3er BMW abgegeben. Zu teuer. „Wir haben einen super Nahverkehr, ein Auto brauche ich nicht“, sagt er.

Viele der Anwohner aber seien älter. Für sie sei das Auto über 60 Jahre lang ein Symbol der Freiheit gewesen. Zudem seien einige auch aus gesundheitlichen Gründen auf das Auto angewiesen. Andere Anwohner hätten einen Garten außerhalb der Innenstadt. Blaukat sagt, als Vereinsvorsitzender müsse er das Spannungsfeld zwischen der eigenen Meinung und den Interessen der anderen aushalten. Und in diesem Fall falle ihm das auch nicht wirklich schwer.

Uns geht es gar nicht um die Frage: Parkplätze, ja oder nein?

Hendrik Blaukat, Anwohner

Im Grunde beschränkt sich der Plan der Verwaltung darauf, Parkplätze zu streichen. Außerdem soll auf einem Teil der Straße und der Gehwege der Belag aufgerissen werden. Entsieglung nennt man das. Die dadurch entstehenden Flächen sollen mit Kies bedeckt werden. „Am Ende wäre das also immer noch diese Stein-Straße, die es jetzt schon ist, nur eben ohne Autos“, sagt Blaukat.

Auf meinberlin.de schlägt sich bald der Frust der Anwohner nieder. Es entfaltet sich ein regelrechter Shitstorm in Richtung der Grünen. Der Verein von Blaukat stellt sich mit den Plänen des Senats vor den örtlichen Lidl und informiert die Anwohner. „Uns geht es gar nicht um die Frage: Parkplätze, ja oder nein?“, sagt Blaukat.

Sondern darum, ernsthaft in die Planungen einbezogen zu werden. „Das ist doch eine Frage, die alle was angeht: Wie soll unsere Stadt aussehen?“ Stattdessen bekämen die Leute zunehmend das Gefühl, ihnen werde gar nicht zugehört. „Kein Wunder, dass dann irgendwann alle nur noch dagegen sind“, sagt er.

„Die Grünen werden Störfeuer bekommen“

Der Verein macht es in der Folgezeit durchaus geschickt. Blaukat und die weiteren Vorstandsmitglieder, ein Architekt und eine Sozialwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Stadtentwicklung, schicken dem Senat mehrseitige Vorschläge, wie man die Straße „smart“ umgestalten könnte. Mit Carsharing-Optionen, Ladesäulen für E-Autos und Stellplätzen für Lastenräder. Und sie spannen vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus Lokalpolitiker für ihre Sache ein, wie Max Landero, inzwischen Abgeordneter der SPD. Mit Erfolg.

Im Herbst 2021 teilt die Senatsverwaltung mit, die Pläne würden nochmals überarbeitet. Die Parkplätze in der Krausenstraße sollen vorerst bleiben. Es scheint, als hätten der Protest und das Engagement etwas bewirkt. Das ist auch ein Signal an die Stadt.

„Wenn die Kommunikation immer so abläuft, wie bei uns“, sagt Blaukat, „werden es die Grünen mit erheblichem Störfeuer zu tun bekommen.“ Dabei sei es mit der neuen grünen Verkehrssenatorin, Bettina Jarasch, bereits einfacher ins Gespräch zu kommen als mit ihrer Vorgängerin. Die Frage aber, die sich die Senatorin stellen müsse, sei aus seiner Sicht nicht: Wie kriegen wir die Parkplätze weg? Sondern: Wie machen wir den Verzicht aufs Auto attraktiv? Es ist der alte Vorwurf: Die Grünen, die „Verbotspartei“.

Wie aber geht es weiter in der Krausenstraße? Auf Anfrage der Berliner Zeitung teilt die Senatsverwaltung für Verkehr am Mittwoch mit: „Es werden nicht alle Parkplätze entfallen, sondern etliche (nach jetzigem Stand etwa 80) übrigbleiben.“ 80 von 260. Das ist knapp einer von drei. Hendrik Blaukat und die Anwohner sagen, davon haben sie noch nichts gehört.