Verkehr

Gegen Chaos im Zug: Experte fordert Reservierungspflicht für Fahrräder

Wenn viele Berliner einen Ausflug unternehmen wollen, reicht die Kapazität in der Bahn oft nicht aus. Nun wird ein radikaler Vorschlag diskutiert.

Startklar für die Reise im Regionalexpress: Szene im Berliner Hauptbahnhof
Startklar für die Reise im Regionalexpress: Szene im Berliner HauptbahnhofMonika Skolimowska/dpa

Fahrrad und Bahn: eine schöne Kombination. Das eigene Zweirad in den Zug laden, im Grünen aussteigen und losfahren: So sieht für viele Berliner ein perfekter Ausflug aus. Doch weil bei schönem Wetter viele Menschen auf diese Idee kommen, stoßen die Bahnen oft an ihre Kapazitätsgrenzen. Jetzt ist ein früherer Berliner Fahrradaktivist, der die Deutsche Bahn (DB) bei diesem Thema berät, mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten: Während der Saison solle für Fahrräder auch im Regionalverkehr eine Reservierungspflicht gelten, sagte Heinrich Strößenreuther der Berliner Zeitung.

Es sei eine „klassische Situation“, die er schon oft erlebt habe, so Strößenreuther. In Berlin steigt er zum Beispiel in den Regionalexpress RE5 nach Rostock und stellt sein Fahrrad ins Mehrzweckabteil. „Fast jedes Mal habe ich Angst: Bekomme ich das Rad rechtzeitig vor dem Aussteigen aus dem Gewirr heraus?“ Nicht selten ist der Bereich überfüllt. Fahrräder stehen kreuz und quer, manchmal verhaken sie sich auch.

Den Fahrrad- und den Bahnverkehr besser miteinander verknüpfen: Das ist das Thema der Branchenoffensive Fahrrad und Bahnen, die Strößenreuther als Berater und Moderator betreut. Dort geht es vor allem darum, Abstellmöglichkeiten an Bahnhöfen zu schaffen – Stichwort Bike and Ride. „Mehr Zug- und Mitnahmekapazitäten“ sind aber ebenfalls ein Thema. „Dazu gehören auch intelligente Nutzungskonzepte für Züge und Bahnhöfe, um mehr Zugreisende und auch Fahrräder in den heute insbesondere zu Stoßzeiten überlasteten Systemen befördern zu können“, heißt es in dem Konzept.

„Wer keinen Fahrradplatz reserviert hat, zahlt 60 Euro“

Um die bestehenden Kapazitäten sinnvoll zu verteilen und Überfüllung zu vermeiden, schlägt Strößenreuther eine Fahrradreservierungspflicht vor. „Sie sollte während einer definierten Fahrradsaison gelten – etwa vom 1. April bis 1. November.“ Wer sein Rad im Regionalzug mitnehmen möchte, muss nicht nur wie jetzt schon eine Fahrradkarte kaufen, sondern auch über eine App einen Stellplatz im Zug buchen. Das wäre das Ziel.

80 Prozent der Stellplätze sollten buchbar sein, lautet der Vorschlag. Den Rest könnte das Zugpersonal vergeben, damit es nicht zu Härtefällen kommt. Wenn jemand einen platten Reifen hat oder wenn wegen der Verspätung eines anderen Zuges die Reisekette auseinandergebrochen ist, sollte es möglich sein, dass Zugbegleiter Kulanz zeigen. Ansonsten aber müsse es heißen: „Wer keinen Fahrradplatz reserviert hat, zahlt 60 Euro“, so Heinrich Strößenreuther. „Das ist für manche sicher unangenehm. Aber nicht nur die Familie mit drei Kindern fühlt sich wohler, wenn es weniger Stress gibt.“

Mit Piccolo und Sandwich von Berlin an die Ostsee

Denkbar wäre es, die Reservierungspflicht zunächst auf einer Strecke von und nach Berlin zu testen. „Ein Pilotprojekt würde helfen.“ Auch könnte die Pflicht vorübergehend aufgehoben werden, wenn das Wetter über einen längeren Zeitraum hinweg schlecht ist. 

Strößenreuther wünscht sich mehr Kreativität, um das seit vielen Jahren bestehende Problem zu lösen. „In Bayern fahren Skibusse. Etwas Vergleichbares könnte es in Berlin an Wochenenden im Sommer für Radtouristen geben“, sagte er. Sonnabends und sonntags sollten morgens Busse mit Fahrradanhängern zu attraktiven Ausflugszielen starten – etwa vom Bahnhof Friedrichstraße an die Ostsee. Auch in den Bussen müssten Plätze reserviert werde. „Jeder erhält einen Piccolo oder ein anderes Getränk. Und ein Sandwich, auch das ist im Preis inbegriffen. Dann kommt Stimmung wie früher bei der Klassenfahrt auf, und es geht entspannt ins Wochenende“, sagte er. „Abends fahren die Busse wieder nach Berlin zurück. Das würde die Bahn entlasten.“

In den Regionalzügen mit Reservierungspflicht müssten die Zugbegleiter allerdings Einsteiger kontrollieren – und Radfahrer ohne Reservierung abweisen. Klar, dass dann Streit drohen könnte. Wäre das nicht eine zusätzliche Belastung für das Personal? Nein, meinte Heinrich Strößenreuther. Als er bei der DB und beim Zugbetreiber Metronom tätig war, habe er häufig mit Zugbegleitern über das Thema gesprochen, sagte er. Für sie seien die jetzigen Zustände ein Problem. „Derzeit werden die Konflikte beim fahrenden Personal abgeladen. Die Beschäftigten fänden es schön, wenn sich das ändern würde.“

Auf einer Regionalexpresslinie sinkt die Fahrradkapazität

Die Berliner Fahrradlobby sieht Strößenreuthers Vorschlag jedoch mehr als skeptisch-ablehnend. „Die Zugbegleiter sind nicht in der Lage, in allen Mehrzweckabteilen für einen geordneten Ablauf zu sorgen“, sagt Hannelore Lingen, Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). „Auch eine Kontrolle der Fahrradreservierungen dürfte kaum möglich sein.“ Zu befürchten sei, dass Tagesausflügler vorsorglich in mehreren Zügen reservieren. Das würde insbesondere bei der Rückfahrt nach Berlin Plätze blockieren. Oft sei es ungewiss, welcher Zug am Abend erreicht wird.

Der ADFC kommt zu einer klaren Bewertung. „Eine Reservierungspflicht für Fahrräder in Regionalzügen wäre weder für die Bahn noch für die Radfahrer:innen eine Lösung“, sagte Hannelore Lingen. „Es gibt dort keine festen Radstellstellplätze, die gebucht werden könnten.“ Es handele sich immer um Mehrzweckabteile, die von allen Reisenden genutzt werden. „Außer Fahrrädern werden auch Kinderwagen, Kinderanhänger, Tandems, Rollstühle, Rollatoren und alle Arten von größeren Gepäckstücken befördert.“

Radfahrer steigen im Berliner Hauptbahnhof in einen Regionalzug der DB ein. Vor allem am Wochenende sind die Kapazitäten oft bald erschöpft.
Radfahrer steigen im Berliner Hauptbahnhof in einen Regionalzug der DB ein. Vor allem am Wochenende sind die Kapazitäten oft bald erschöpft.Rüdiger Wölk/imago

Die Ostsee-Linien RE3 und RE5 seien eigentlich gut ausgestattet, so Lingen. Hier habe die Bahn bereits mit Fahrradwagen, die im Unterdeck kaum noch Sitzplätze haben, im Sommer die Kapazitäten stark erhöht. Laut Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) stehen von April bis Oktober pro Regionalexpresszug 73 Fahrradstellplätze zur Verfügung. Ab Ende 2026 werden es 84 (RE3) beziehungsweise 72 (RE5) Stellplätze sein. Was die Radmitnahme im Zug anbelangt, hätten Berlin und Brandenburg einen Vorteil gegenüber einigen anderen Bundesländern, so Lingen. So gebe es hier keine Sperrzeiten.

Könnten spezielle Fahrradzüge das Problem lindern?

Wenn mehr Fernzüge mit ausreichend Fahrradstellplätzen von Berlin ans Meer fahren würden, könnte das ebenfalls helfen, sagte die ADFC-Landesvorsitzende. „Hilfreich wäre auch die von der Bahn bereits angekündigte App, mit der die Auslastung der Mehrzweckabteile in Echtzeit einsehbar ist. Radfahrer:innen können sich auf dem Bahnsteig gleich richtig positionieren. Das spart auch Zeit beim Einsteigen.“

Aber auch die Fahrgäste können etwas tun. „Es kommt sehr darauf an, wie das Gepäck und die Fahrräder verstaut werden. Nicht jeder nimmt sein Gepäck vom Rad und achtet darauf, sein Fahrrad platzsparend abzustellen“, sagte Hannelore Lingen.

Der Deutsche Bahnkundenverband (DBV) äußerte sich ebenfalls kritisch zu Strößenreuthers Vorschlag. „Diese Lösung halten wir in der Praxis für nicht umsetzbar“, fasste Michael Wedel, Ländervorsitzender des DBV Nordost, zusammen. Trotzdem müssten die Verantwortliche endlich darüber nachdenken, wie sie das Problem angehen. „Künftig werden noch mehr Menschen auf das Fahrrad umsteigen“, so Wedel. Längere Züge seien nötig, dafür müssten Bahnsteige verlängert werden.

Als kurzfristige Lösung regte der DBV-Ländervorsitzende an, Entlastungszüge mit viel Platz für Fahrrädern einzusetzen, die nicht überall halten. „Es wäre sinnvoll, in den Sommermonaten vor allem an den Wochenenden morgens und abends zwei Fahrradzüge fahren zu lassen“, sagte er der Berliner Zeitung. „Das würde so aussehen, dass bei Fünf-Wagen-Zügen alle Wagen im unteren Bereich nur mit Klappsitzen ausgestattet sind, sodass dort auch Fahrräder ausreichend Platz haben.“