Großer Andrang, volle Regionalzüge – und häufig müssen Fahrgäste zurückbleiben. Wer am Wochenende klimafreundlich mit der Bahn von Berlin an die Ostsee reisen will, muss nicht selten gute Nerven haben. Fahrgäste fragen: Warum gibt es nicht mehr Kapazität? Jetzt hat die Berliner Zeitung zusammengestellt, welche größeren Verbesserungen auf den Strecken nach Stralsund und Rostock geplant sind. Doch bis sie in Kraft treten, ist weiterhin Geduld gefragt. Und werden sie überhaupt ausreichen? Ein Überblick.
„Außergewöhnlich hohes Fahrgastaufkommen. Ein Zustieg weiterer Personen und die Mitnahme von Fahrrädern ist nicht mehr möglich.“ Mit dieser Mitteilung wurden am Wochenende Reisende konfrontiert, die sich mit dem Regionalverkehr der Deutschen Bahn (DB) in Richtung Ostsee aufmachen wollten. Bei Twitter, das jetzt X heißt, warnte DB Regio Berlin-Brandenburg vor der Mitfahrt. Viele Fahrgäste versuchten es trotzdem. Es kam erneut zu chaotischen Zuständen auf den Regionalexpresslinien RE3 und RE5.
„Am Wochenende haben wir viele Beschwerden bekommen“, sagt Thomas Schirmer, Pressesprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn in Berlin und Brandenburg. „Viele Züge waren überfüllt. Allerdings bekamen wir auch Rückmeldungen von Bahnmitarbeitern.“ Die gestressten DB-Leute hätten berichtet, dass sich Fahrgäste mit Gepäck oder Fahrrädern in die Regionalzüge drängten, obwohl niemand mehr hineinpasste.
Für den Regionalzugverkehr sind die Bundesländer zuständig – in diesem Fall Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. In ihrem Auftrag planen der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg(VBB) und die Verkehrsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern, wann wo wie viele Züge fahren, deren Betrieb dann mit Bundesgeld finanziert wird. Dort heißt es, dass die Regionalzugverbindungen von Berlin nach Stralsund und Rostock leistungsfähiger werden sollen. Was ist geplant?
Neue Regionalbahnlinie verbindet Neustrelitz mit Rostock
Zum einen wird es ab 2024 eine neue Regionalbahnlinie geben, die Neustrelitz mit Waren, Güstrow und Rostock verbindet. Diese Ergänzung des bestehenden Verkehrsvertrags Warnow II. wurde am Montag bekannt. In der Bekanntmachung ist davon die Rede, dass die Linie RB50 heißen und im Dezember 2024 starten soll – zuletzt war von der Linie RB20 und von Mai kommenden Jahres die Rede. Die Regionalbahnen haben in Neustrelitz Anschluss von und nach Berlin. Sowohl sie als auch die Regionalexpresszüge des RE5, die schon dort verkehren, fahren im Zweistundentakt. Die Folge wird ein Stundentakt im Regionalverkehr zwischen Berlin und Rostock sein.
Zum anderen gilt ab Dezember 2026 ein neuer Verkehrsvertrag für die Nord-Süd-Linien, zu denen der RE3 und der RE5 gehören. Abgesehen von vielen weiteren Verbesserungen werden die Züge auf diesen Strecken mehr Kapazität bieten, so der Verkehrsverbund.
Derzeit ist es auf der Linie RE3 so: Von April bis Oktober ziehen Loks jeweils fünf Doppelstockwagen von Berlin über Eberswalde nach Schwedt und Stralsund. Auf der Linie RE5 über Neustrelitz nach Stralsund und Rostock sind ebenfalls solche Züge unterwegs, ergänzt von Elektrotriebzügen des Typs Alstom Twindexx. In allen Fällen beziffert der VBB die Kapazität auf „mindestens 480 Sitzplätze“, davon „mindestens 24“ in der 1. Klasse. Platz sei für 73 Fahrräder. Im Winter sind die Züge kürzer.
Auf der Linie RE5 gibt es künftig nicht mehr, sondern weniger Fahrradplätze
Ab Dezember 2026 werden auf beiden Strecken ganzjährig fünf Wagen pro Fahrt eingesetzt, so der Verkehrsverbund. Allerdings wird sich der Kapazitätszuwachs auf der Linie RE5 über Neustrelitz nach Stralsund und Rostock in Grenzen halten. Dort sollen Zugverbände mit Loks und fünf erneuerten Doppelstockwagen rollen. Sie haben 506 Sitzplätze, davon 28 in der 1. Klasse – insgesamt also lediglich zwei Dutzend Plätze mehr als derzeit. Die Zahl der Fahrradstellplätze pro Zug sinkt sogar auf 72.
Auf der Linie RE3 nach Schwedt und Stralsund verkehren künftig fünfteilige Elektrotriebzüge des Typs Stadler Kiss. Jeder Zugverband bietet 579 Sitzplätze, davon 28 in der ersten Klasse. Das sind insgesamt also rund hundert Plätze mehr als heute. Die Zahl der Fahrradstellplätze pro Zug soll leicht auf 84 steigen. Beobachter argwöhnen, dass die zusätzliche Bestuhlung auf Kosten des Komforts gehen wird. Pro Fahrgast gebe es weniger Raum, Gepäckunterbringung könnte zum Problem werden.

„Optional können die Züge des RE3 verlängert werden“, erklärte Verbundsprecherin Elke Krokowski. In diesem Fall würden dreiteilige Züge des Typs Stadler Flirt angehängt, was die Zahl der Sitzplätze auf 780 erhöht. Ostseetouristen profitieren davon aber nicht. „Das betrifft den stark nachgefragten Streckenabschnitt zwischen Berlin und Prenzlau“, so Krokowski. „Dafür sind aber Bahnsteigverlängerungen an mehreren Stationen erforderlich, unter anderem in Angermünde.“ DB Station & Service prüfe dies. Die Bauarbeiten könnten Anfang der 2030er-Jahre beginnen.
„Der heutige Zweistundentakt reicht einfach nicht mehr aus“
Damit sprechen die Planer ein grundsätzliches Problem an: Die Regionalzughalte sind auf maximal fünf Wagen ausgelegt. Bei Erneuerungen und anderen Baumaßnahmen wurden Bahnsteige verkürzt oder kürzer als bisher neu gebaut. „Auf den Ostseelinien sind die Bahnsteige irrsinnig kurz geplant worden“, bemängelt Lukas Iffländer, der Vize-Bundesvorsitzende von Pro Bahn. „Woanders, etwa zwischen Bamberg und Nürnberg, hat man auf 200 Meter ausgebaut und kann Doppelstockzüge bis 8 Wagen einsetzen. Ab Dezember verkehren dort Züge mit 654 Sitz- und 72 Fahrradstellplätzen.“
Ein zweites Thema ist die Zugfrequenz. „Der heutige Zweistundentakt reicht einfach nicht aus“, sagt Sven Krein aus Velten, der häufig zwischen Berlin und Anklam unterwegs ist. Zumindest während der Saison müsse es auf der Linie RE3 mindestens einmal stündlich eine Verbindung von Berlin an die Küste geben, forderte der Stamm-Fahrgast. „Außerdem sollte es wie früher zusätzliche Züge für den Ausflugsverkehr geben, die nicht überall halten und deshalb mehr Wagen haben können.“ Solche Verbindungen gab es von Berlin nach Wolgast, Binz und Warnemünde.
Bahnkundenverband schlägt Fahrradzüge von Berlin an die Küste vor
Erste Schritte hin zu mehr Verbindungen auf der Linie RE3 wurden bereits getan. So fährt am Wochenende morgens ein zusätzlicher Regionalexpress nach Stralsund, der am Abend wieder in Berlin eintrifft. Zum Fahrplanwechsel im Dezember verlängert Mecklenburg-Vorpommern die Linie RE10 aus Stralsund über den jetzigen Endpunkt Züssow hinaus nach Pasewalk, sodass es auf diesem Abschnitt einen Stundentakt geben wird. Wenn südlich davon die Lücke über die Landesgrenze nach Prenzlau oder Angermünde geschlossen würde, würden auch Berliner und Brandenburger profitieren.
So oder so: Baustellen werden auch künftig den Bahnverkehr ans Meer betreffen. So fahren auf der Usedomer Bäderbahn östlich von Ückeritz nur tagsüber Züge, morgens und abends müssen die Fahrgäste auf Busse ausweichen. 2024 sind weitere Sperrungen geplant – etwa von März bis Mai zwischen Neustrelitz und Neubrandenburg.
Michael Wedel, Vorsitzender des Deutschen Bahnkundenverbands (DBV) Nordost, fordert mehr Kreativität für den Verkehr Berlin – Ostsee. „Es wäre sinnvoll, in den Sommermonaten vor allem an den Wochenenden morgens und abends zwei Fahrradzüge fahren zu lassen“, sagt er der Berliner Zeitung. „Das würde so aussehen, dass bei Fünf-Wagen-Zügen alle Wagen im unteren Bereich nur mit Klappsitzen ausgestattet sind, sodass dort auch Fahrräder ausreichend Platz haben.“
Die Busbranche erinnert an ihre Forderung, auch den Fernbusverkehr ins Deutschlandticket zu integrieren. „So könnten schnell zusätzliche Kapazitäten geschaffen und die Regionalbahnen entlastet werden“, sagt Christiane Leonard, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmen. „Fahrräder in den Fahrradanhänger und los geht es an die Ostsee!“
Empfehlungen aus dem BLZ-Ticketshop:














