Autofahrer ärgern sich über Radfahrer. Radfahrer fühlen sich von Autofahrern bedrängt. Oft fühlt es sich so an, als ob die Straßen eine einzige Kampfzone wären. Ein Mann, der in der Verkehrsszene bekannt ist, versucht nun das scheinbar Unmögliche: Heinrich Strößenreuther, einst Mitinitiator des erfolgreichen Fahrrad-Volksentscheids Fahrrad und heute CDU-Mitglied, will diesen Kulturkampf befrieden. Mit zwei weiteren Autoren schreibe er ein „Verkehrsbuch ohne Autohass“, berichtet der 55 Jahre alte Berliner. Ein Buch für ein „echtes Miteinander auf den Straßen“, ein Buch, das auch konservative Autobesitzer ansprechen soll. Versöhnen statt spalten: Wie soll das gehen?
„Die gesunde Mehrheit im Blick haben und sich nicht von schreienden Minderheiten aufregen zu lassen.“ Das sei sein Ziel, sagt er. Und das soll auch in dem Buch deutlich werden, für das er sowie seine Mitstreiter Justus Hagel und Michael Bukowski eine Crowdfunding-Kampagne gestartet haben. „Nur eine kleine Minderheit der Auto- und Radfahrer schimpft, die meisten Menschen möchten einfach nur sicher von A nach B kommen. Anstelle gegenseitiger Ideologievorwürfe brauchen wir mehr Ehrlichkeit und gute Argumente.“ Auch davon solle das Buch handeln, sagt Strößenreuther.
Das Treffen mit ihm hat gerade erst begonnen, da geht es schon gegen die Grünen, die bis Ende April fast sieben Jahre für die Verkehrspolitik im Senat verantwortlich waren. Sie hätten das Rote Rathaus nicht verloren, weil die CDU einen „Autowahlkampf“ gemacht hat, sagt er. Sie hätten ihre Politik nicht richtig vertreten und Fehler gemacht. So fragt sich Strößenreuther, warum das Bezirksamt die Friedrichstraße kurz vor der Wahl gesperrt hat – obwohl der Verkehr ein sensibles Wahlkampfthema war.
„In Berlin wurde wider gutes Gewissen gehandelt“
Es sei auch nicht schlau gewesen, die Barrieren im Winter aufzubauen, als kaum jemand flanieren wollte. „In New York hat man aus der Sperrung des Times Square einen Event gemacht. 4000 Liegestühle wurden hingestellt, es gab eine große Party“, sagt Strößenreuther. „In Berlin wurde wider gutes Gewissen gehandelt.“ Trotzdem hätten sich Senatorin Bettina Jarasch und Bezirksstadträtin Almut Neumann (beide von den Grünen) gewundert, dass die Sperrung der Friedrichstraße nicht funktioniert.

Auch manche Radverkehrsprojekte hätten den Grünen geschadet. Im Dahlemer Weg in Zehlendorf entstanden Radwege, die mit 618 Pollern geschützt wurden. Dabei hielt sich der Radverkehr auf den „Vollpfostenradwegen“ in Grenzen. „Da wurden sehr breite Radwege, auf denen kaum jemand unterwegs ist, mit Steuergeld gebaut. Nicht sinnvoll.“ Kritik in den Außenbezirken entzündete sich auch anderswo, wo dem Autoverkehr ebenfalls 2,50 Meter Radfahrstreifen abgeknapst wurden. „Auf denen aber ebenfalls kaum ein Radfahrer fuhr, während Autos im Stau standen“, so Strößenreuther.
„Gegen den gesunden Menschenverstand“
Manche Maßnahmen seien „gegen den gesunden Menschenverstand“ gegangen, ärgert er sich. „Man darf die Autofahrer nicht vergessen – das hat Kai Wegner schon bei der Wahl 2016 gefordert.“ Nun hat das Credo des heutigen Regierenden Bürgermeisters und CDU-Politikers zum Machtwechsel beigetragen.

Strößenreuther nimmt auch die Fahrradszene aufs Korn, deren Galionsfigur er lange war. Teile von ihr ergingen sich in „Autohass“, meint er. „Fahrradaktivisten sagen: Das müsst Ihr jetzt schlucken. Dabei vergessen sie, dass es für einige Autofahrer erst einmal schlechter wird.“ Wenn Parkplätze wegfallen oder Radfahrstreifen eingerichtet werden, könne dies den Alltag schwieriger machen. „Da fehlt oft die empathische Haltung“ – und der Wille, mit guten Argumenten für Veränderungen zu werben.
Als die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) Radverkehrsprojekte prüfen ließ, war der Aufschrei groß. „Doch die Kritik war in Teilen ungerecht.“ Denn jede neue Regierung habe das Recht, Prioritäten neu zu setzen. „Die Wut war auch deshalb so groß, weil in den sieben Jahren davor unter den Grünen wenig für die Radfahrer passiert ist.“ Mit der CDU gebe es eine Partei, auf die Radaktivisten ohne Skrupel böse sein können. Dabei gehe er jede Wette ein: Unter Manja Schreiner würden bis 2026 mehr Radverkehrsanlagen gebaut als seit 2016 unter den Grünen.
Heinrich Strößenreuther provoziert gerne. 2014 erntete er ein großes Medienecho, als er die App Wegeheld online stellte. Mit ihr können falsch geparkte Autos gemeldet werden. Später wetterte er gegen die „Autojustiz“, die Verkehrsstraftaten mit milden Urteilen bagatellisiere. Der Berliner Zeitung erzählte der passionierte Alltagsradfahrer, dass er Autofahrer zur Rede stelle, wenn sie ihn geschnitten hätten. „Wenn ich mich heftig ärgere, öffne ich die Beifahrertür hinten rechts und lasse sie offen stehen. Dann muss der Fahrer aussteigen, um sie wieder zu schließen.“ Es gebe aber Ausnahmen: „In Neukölln, Wedding oder Moabit verzichte ich meist auf Gespräche, weil es sein könnte, dass sich die Situation unangenehm hochschaukelt.“
Ein Weihnachtsgeschenk für 9,90 Euro
Jahrelang gehörte der Wirtschaftsinformatiker, der in einem Dorf bei Wilhelmshaven aufwuchs und unter anderem bei der Bahn arbeitete, zu den Hauptfiguren der Fahrradszene. So startete er vor acht Jahren mit anderen die Initiative Volksentscheid Fahrrad, die später Vorbild für weitere Abstimmungen dieser Art wurde. Nachdem in nur drei Wochen über 105.000 Berliner unterschrieben, wurden 2018 die ersten Teile des Mobilitätsgesetzes verabschiedet, das als erstes Gesetz dieser Art den Radverkehr sicherer und attraktiver machen soll. Die Vorgaben an die Breite von Radwegen stellt Strößenreuther für die Außenbezirke heute infrage – wie Wegner und Schreiner.
Später wurde berichtet, dass er sich aus der Szene zurückgezogen habe, von Streit war die Rede. Längere Zeit war Heinrich Strößenreuther kaum noch in den Medien präsent – bis 2021 überraschend gemeldet wurde, dass er der CDU beigetreten sei, womit ihm eine weitere Provokation gelang. Denn in der Szene gelten Christ- und Freidemokraten als Autofreunde, als Fans der fossilen Lebensweise.
Doch mit dem Buch will das Autorentrio keinesfalls Auto- und Radfahrer gegen sich aufbringen. Passend zum Fest der Liebe soll das Werk, das im November im Eigenverlag für 9,90 Euro erscheinen soll, ein Weihnachtsgeschenk werden. „Wir müssen die Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer besser verstehen“, so Justus Hagel, wie Strößenreuther CDU-Mitglied und sein Nachfolger als Vorsitzender der Klimaunion in Berlin. Die Autoren hoffen, mindestens 5000 Bücher zu verkaufen. Die Crowdfunding-Kampagne soll die Druckkosten von rund drei Euro pro Exemplar abdecken.
Mit dem Begriff Wende haben manche Ostdeutsche Probleme
Ein Wohlfühlbuch für Autofahrer wird es aber wohl trotzdem nicht werden. Denn Heinrich Strößenreuther kommt es darauf an, zu betonen, dass er an seinen Grundauffassungen festhalte. Erderhitzung und Klimakrise müssten angegangen werden, Kraftfahrer „Privilegien“ abgeben. Weniger Autos, mehr Fahrräder seien das Ziel. Und zwar möglichst bald und mit klaren, schnellen Entscheidungen. Strößenreuther hält sogar neue Fußgängerbereiche für sinnvoll. So sollten Teile der Oranienstraße in Kreuzberg und des Schiffbauerdamms in Mitte für Autos gesperrt werden, sagt er.






