Berlin/Schönefeld - Mit ihrem Plädoyer für eine rasche Verlängerung der U-Bahn-Linie U7 zum Flughafen BER hat Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) eine parteiinterne Diskussion angeheizt. In einem gemeinsamen einstimmigen Beschluss machten die für den Verkehr zuständigen Gremien der Berliner und Brandenburger Sozialdemokraten deutlich, dass sie dieses U-Bahn-Projekt nicht für sinnvoll halten. Es sei teuer und unwichtig. Stattdessen sollten in der Hauptstadt-Region andere, wichtigere Vorhaben vorangetrieben werden, forderten der Arbeitskreis Verkehr der SPD Brandenburg und der Fachausschuss Mobilität der SPD Berlin. Kluge Politik sehe anders aus, so ein Sozialdemokrat. Klare Worte in einer Debatte, die an Tempo gewinnt.
Berlins U-Bahn-Netz soll wachsen: Darin ist sich die neue rot-grün-rote Koalition einig. Aber wo? Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch spricht sich dafür aus, die U3 von Krumme Lanke zum Mexikoplatz fortzuführen und als Nächstes die U7 über den jetzigen Endbahnhof Rathaus Spandau nach Heerstraße Nord zu verlängern. Mit erwarteten 40.000 Fahrgästen pro Tag würde das Spandauer Projekt die meisten Nutzer anziehen. Weil im Umkreis viele Menschen mit wenig Geld leben, hätte die Westerweiterung der U7 auch noch einen „Gerechtigkeitseffekt“, so die Grünen-Politikerin zur Berliner Zeitung.
Giffey: „Ein Hauptstadtflughafen braucht auch eine Hauptstadtanbindung“
Doch nun fuhr die Regierende Bürgermeisterin der Senatorin in die Parade. Franziska Giffey machte deutlich, dass sie die größte Notwendigkeit im Südosten Berlins sieht – wo sie im Bezirk Neukölln fast drei Jahre lang Bezirksbürgermeisterin war. Der Senat habe sich vorgenommen, fünf U-Bahn-Projekte vorzubereiten, bestätigte die SPD-Politikerin am Mittwoch während ihres Antrittsbesuchs bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). „Vor allem eine Strecke hat dabei Priorität: die Verlängerung der U7 bis zum BER – denn: Ein Hauptstadtflughafen braucht auch eine Hauptstadtanbindung. Das ist für die Berlinerinnen und Berliner wie auch für unsere Gäste und Partner wichtig“, stellte Giffey heraus.
Diese Einschätzung wird in Neukölln und Schönefeld auch heute noch geteilt. Auch die Menschen im Rudower Süden und in der angrenzenden Boom-Gemeinde Schönefeld würden profitieren, heißt es dort. Nicht nur am Flughafen, auch in den umliegenden Gewerbegebieten entstünden immer mehr Arbeitsplätze – die ebenfalls gute Anschlüsse benötigten. „Damit die Mobilitätswende gelingt, müssen wir den Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel für die Berlinerinnen und Berliner weiter erleichtern und noch mehr Angebote schaffen“, so Giffey bei der BVG. „Von großer Bedeutung ist deshalb der Ausbau der Streckennetze im Nahverkehr, besonders der U-Bahn.“
Mit ihrem Plädoyer für die U7 zum BER hat sich die Senatschefin allerdings das teuerste der fünf erwogenen U-Bahn-Projekte ausgesucht. Zwar könnte die U7-Verlängerung überwiegend in „einfacher Tieflage beziehungsweise Hochlage“ entstehen, hieß es in einer Machbarkeitsstudie der BVG. Ein kleines oder preiswertes Bauvorhaben wäre dieses Projekt trotzdem nicht. Drei Bauvarianten wurden herausgearbeitet – 7970 oder 8560 Meter lang, mit sechs oder sieben Bahnhöfen, für 672 Millionen bis 799 Millionen Euro.
Dem früheren Brandenburger Infrastrukturminister Reinhold Dellmann ist klar, dass der tatsächliche Finanzaufwand deutlich über der im Juni 2020 veröffentlichten Schätzung liegen würde. „Bei den genannten Beträgen handelt es sich um Nettokosten“, sagte der Sozialdemokrat, der Mitglied des Arbeitskreises Verkehr der SPD Brandenburg ist. Inklusive der Mehrwertsteuer käme man auf Bruttokosten von 800 Millionen bis 951 Millionen Euro. Zudem würden die Baupreise stark steigen. Unterm Strich könnten 40 Prozent hinzukommen, hieß es.
Künftig 13 Fahrten stündlich mit Regionalzügen und S-Bahnen
Würde sich der Aufwand lohnen? Wird die U7 zum Flughafen wirklich gebraucht? Nein, stellen die SPD-Gremien in ihrem Beschluss fest. „Die schon jetzt attraktive Schienenanbindung des Flughafen BER nach Berlin und Brandenburg wird sich 2025 durch die Inbetriebnahme der Dresdner Bahn nochmals erheblich verbessern“, heißt es dort. Dann werden Regionalzüge und S-Bahnen den BER und Berlin 13-mal pro Stunde miteinander verbinden. Dank der neuen Trasse durch den Süden Berlins werde der Flughafen-Express nur noch 20 bis 25 Minuten in die Innenstadt benötigen.
Nur um die Wohnviertel im südlichen Neukölln und Schönefeld sowie die geplanten Gewerbegebiete östlich des BER-Terminals 1–2 besser anzuschließen, sei die Investition von „mindestens einer Milliarde Euro“ Gesamtkosten „nicht angemessen“, hieß es.
Falls das Vorhaben U7 zum BER tatsächlich angeschoben wird, könnte dies dazu führen, dass sich andere, wichtigere Vorhaben verzögern oder gestoppt werden müssen. „Das Projekt steht in erheblicher Konkurrenz zu den Schienenprojekten des i2030-Programms in der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg“, warnen die SPD-Fachpolitiker aus Berlin und Brandenburg in ihrem Beschluss von Mittwoch. Zu i2030 gehören Vorhaben, deren Bedeutung außer Frage steht – wie der Wiederaufbau der S-Bahntrassen nach Falkensee, Velten und Rangsdorf. Die U7 würde mit ihnen in den Wettbewerb um investive Landesmittel, Geld für Verkehrsbestellung und Unterhalt sowie um Bundesmittel treten. Nicht zu vergessen die knappen Ressourcen für die Planung, den Bau und die Genehmigung von Projekten.
Die erste U-Bahn auf Brandenburger Gebiet
Nicht zu vergessen ein spezifisches Brandenburger Thema: 79 Prozent der Trasse zum Flughafen, fast sieben Kilometer, würden im Nachbar-Bundesland verlaufen. Nach dem ÖPNV-Gesetz wäre allerdings nicht das Land, sondern der Landkreis Dahme-Spreewald als zuständiger Aufgabenträger für dieses Vorhaben verantwortlich. Er müsste zum Beispiel für einen Teil der Planungskosten aufkommen – wofür in Lübben wenig Bereitschaft besteht. „Um das zu ändern, müsste das ÖPNV-Gesetz angepasst werden“, so Dellmann.
Die beiden Fachgremien fordern die SPD-Mitglieder der beiden Landesregierungen und die SPD-Fraktionen auf, das Projekt U7 einer vereinfachten standardisierten Bewertung zu unterziehen – „um eine grundsätzliche Förderwürdigkeit abschätzen zu können“. Beim Bund sollten zunächst nur Projekte aus dem „von beiden Landesregierungen getragenen i2030-Programm mit deutlich höherem verkehrlichen Nutzen angemeldet werden“, hieß es weiter. Für das Umfeld der BER sollte mit allen Beteiligten ein attraktives Nahverkehrskonzept mit Bus und Straßenbahn umgesetzt werden. Klar sei auch: Die U-Bahn-Trasse ist freizuhalten.
Fahrgastverband lobt Sozialdemokraten für ihren Vorstoß
„Prioritäten beim Bau neuer Verkehrswege müssen ausschließlich nach fachlichen und nicht nach politischen Gesichtspunkten gesetzt werden“, so Dellmann. „Kluge länderübergreifende Verkehrspolitik zwischen Berlin und Brandenburg stellt die i2030-Projekte und nicht die U7-Verlängerung zum BER in den Mittelpunkt.“




