Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich in zehn Tagen zum 78. Mal – und damit stellt sich für Berlin wieder eine heikle Frage. Wie bleibt das Gedenken in der Stadt friedlich? Sowohl Russen als auch Ukrainer erinnern an den Sieg der Roten Armee über Hitlerdeutschland. Die Gedenkfeiern im vergangenen Jahr fanden vor dem Hintergrund des russischen Einmarsches in der Ukraine statt, der damals nur gut zwei Monate zurücklag. Um Konflikten vorzubeugen, wurden russische und ukrainische Fahnen sowie eine Reihe anderer Symbole an 15 Berliner Gedenkstätten verboten. Die Verbote galten am 8. und 9. Mai.
Der Beschluss war umstritten. Vor allem ukrainische Aktivisten beschwerten sich nach dem 9. Mai, die Polizei hätte die Vorschriften bei Verstößen mit russischen oder sowjetischen Symbolen nicht immer durchgesetzt.
Jetzt flammt der Streit im Vorfeld des diesjährigen Gedenkens wieder auf. Die Berliner Initiative Demokrati-JA, ein Verband von aus Russland stammenden Deutschen, die sich gegen den Krieg und das Putin-Regime stellen, teilt mit, dass die Stadt Berlin zurzeit prüfe, „ob analog zum Jahr 2022 eine Allgemeinverfügung erlassen wird“. Auf Anfrage der Berliner Zeitung bestätigt eine Sprecherin der Berliner Polizei, dass eine Wiederholung des Fahnenverbots erwogen wird.
Kritik von ukrainischen und auch russischen Gruppen
Demokrati-JA verurteilt ein Fahnenverbot, es drohe die „Behinderung eines differenzierten, zeitgemäßen Gedenkens“. Das mögliche erneute Verbot stößt auch beim ukrainischen Verein Vitsche auf Kritik. „Wir sind schockiert, dass das Flaggenverbot noch mal erwogen wird“, so eine Sprecherin. „Wir hatten nicht erwartet, dass dieser eingestandene Fehler vom letzten Jahr wiederholt wird.“ Sollte es ein erneutes Verbot geben, werde der Verein auch rechtliche Schritte prüfen.
In einer Pressemitteilung von Demokrati-JA heißt es, der Gruppe sei nach Anfrage bei der Polizei gesagt worden, „dass das Gedenken an den 8. und 9. Mai 1945 und damit an die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus klar zu trennen ist von der derzeitigen Krisensituation“. Lisa Wolfson, Mitbegründerin der Gruppe, schreibt, diese Position verweigere Ukrainern sowie russischen Kriegsgegnern, zu deren Vorfahren sowohl Opfer der Nazis wie deren Gegner gehören, das Recht, der Befreiung vom Nationalsozialismus ohne „Kreml-Propaganda“ zu gedenken.
Wolfson findet, spätestens seit Beginn des russischen Angriffskrieges sei das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg nur in Solidarität mit der Ukraine möglich. „Wir werden während unserer Veranstaltung die offensichtlichen Zusammenhänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart nicht thematisieren dürfen“, sagt sie. Das Verhalten des Senats, erneut ein Verbot ukrainischer Fahnen an den Gedenktagen zu erwägen, sei „feige“, denn der Schritt trage nicht zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit an den Gedenktagen bei.
Auch die weiß-blau-weiße Fahne der internationalen russischen Bewegung gegen Putin und den Krieg in der Ukraine würde dem Verbot unterliegen. Das sei „Flaggen-Heuchelei“, so Wolfson. Sie wirft dem Senat vor, damit Aktivisten wie ihr „einen Maulkorb anlegen“ zu wollen.
„Der Kreml missbraucht die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg“
Ein „differenziertes“ Gedenken will Demokrati-JA mit einer Mahnwache am 8. und 9. Mai im Treptower Park gewährleisten. Sie soll als Ort des Dialogs mit allen Besuchern der Gedenkstätte an diesen Tagen dienen – auch mit den Menschen, die „unter dem Einfluss der Kreml-Propaganda“ stehen. Man wolle diesen Menschen erzählen, wie die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg vom Kreml „hemmungslos verfälscht und perfide missbraucht“ wird, um den Angriffskrieg auf die Ukraine zu rechtfertigen. Teilnehmen werden unter anderem Mitglieder der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial und Markus Meckel (SPD), ehemaliger Bundestagsabgeordneter und einstiger Außenminister der DDR.






