Berlin-Streik bei der Deutschen Bahn, die dritte Folge – und dieses Mal wird er sehr lange dauern. Im Tarifstreit mit dem Bundesunternehmen hat die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ihre Mitglieder zu einem weiteren Arbeitskampf aufgerufen. Ab Mittwoch (1. September), 17 Uhr, soll der Güterverkehr wieder ruhen. Am Donnerstag (2. September), 2 Uhr, folgen der Personenverkehr, zu dem auch die S-Bahn Berlin gehört, sowie der Infrastrukturbereich der Bahn. Erst am kommenden Dienstag, 7. September, um 2 Uhr soll die Arbeitsniederlegung enden. Das sagte der GDL-Bundesvorsitzende Claus Weselsky am Montagnachmittag während einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main. Damit werde der jetzige Streik mehr als fünf Tage dauern. „Es ist eine der längsten Arbeitskampfmaßnahmen, die wir durchführen und zwar absichtlich.“ Den Fahrgästen sagte Weselsky: „Es tut uns leid, dass wir in den dritten Arbeitskampf gehen müssen, weil das Management der Bahn unbelehrbar ist.“
Zwar ist diesmal ebenfalls damit zu rechnen, dass ein Teil der Züge fährt, weil nicht alle angesprochenen Mitarbeiter die Arbeit niederlegen werden. Auch private Unternehmen wie Flixtrain, die landeseigenen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sowie nicht zum Bahnkonzern gehörende Zugbetreiber wie die Ostdeutsche Eisenbahn und die Niederbarnimer Eisenbahn sind nicht betroffen. Trotzdem müssen sich die Fahrgäste in Berlin, Brandenburg und bundesweit wieder auf Beeinträchtigungen einstellen.
„Wir treten in den dritten Ausstand, weil die Mitarbeiter der Bahn mit dem Management im Konflikt sind“, so Claus Weselsky. Weiterhin gebe es kein neues Angebot des Unternehmens. Angesichts der Blockadehaltung des Vorstands bleibe der Gewerkschaft nichts anderes übrig, als mit einem weiteren Arbeitskampf zu reagieren, der nun deutlich länger dauern wird als die bisherigen. „Irgendwann muss das Management begreifen, dass es keinen Krieg gegen die Belegschaft führen kann", so der GDL-Chef.
Spott über den „Hochbegabtenzirkel im Vorstand“
Die GDL-Spitze überziehe völlig, entgegnete die Deutsche Bahn ebenfalls am Montag. „Der Streik ist in der Sache durch nichts gerechtfertigt“, hieß es. Aus organisationspolitischem Kalkül mache sie Kunden und Mitarbeiter zu Opfern ihrer Machtinteressen. Die Bahn forderte die GDL erneut auf, unverzüglich ernsthafte Verhandlungen aufzunehmen. „Ein verhandlungsfähiges Angebot liege auf dem Tisch“, hieß es. „Ein Tarifvertrag wird in Verhandlungen erzielt und lässt sich nicht diktieren“, sagte Personalvorstand Martin Seiler. „Wenn die GDL wirklich eine Lösung will, dann muss sie endlich an den Tisch kommen.“
Es hatte sich bereits abgezeichnet, dass es bei der Deutschen Bahn zu einem weiteren Streik kommen würde. Obwohl Forderung und Angebot nicht weit auseinanderliegen, ist seit Langem keine Bewegung erkennbar. Beobachter schätzen ein, dass das Unternehmen den Streit mit der GDL auszusitzen versucht. Ein möglicher Hintergrund sei, dass es sich die Bahn nicht mit der anderen Gewerkschaft, der EVG, verscherzen will. Bahnchef Richard Lutz lehnte es in der vergangenen Woche öffentlich ab, eine neue Offerte vorzulegen. Claus Weselsky müsse an den Verhandlungstisch zurückkehren, verlangte er. Dagegen bekräftigte die GDL die Forderung, dass die Bahn auf die Gewerkschaft zugehen müsse. „Seit dem 7. Juni haben wir kein neues Angebot von der DB bekommen“, so Weselsky. Er machte sich über den „Hochbegabtenzirkel im Vorstand“ lustig, der offenbar nicht begriffen habe, wie Verhandlungen zu führen sind.
Wie berichtet, fordert die GDL unter anderem, die Löhne um 3,2 Prozent zu erhöhen. Die Bahn erklärt sich zwar dazu bereit, besteht aber darauf, den neuen Tarifvertrag mit einer Laufzeit von 40 Monaten abzuschließen. Dann würde die jährliche Erhöhung allerdings unter einem Prozent liegen, kontert die GDL. Sie verlangt einen Tarifvertrag über 28 Monate. Verträge mit diesem Volumen und dieser Laufzeit habe man auch mit den Bahn-Mitbewerbern Transdev, Netinera und Go-Ahead abgeschlossen. Zudem orientiere sich das Gewünschte am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst 2020. Darum sei nicht einzusehen, warum die DB nicht unterschreiben möchte, so die GDL.
2014/15 wurde der Personenverkehr insgesamt 313 Stunden lang bestreikt
Nachdem die Gewerkschaft die Höhe der geforderten Corona-Prämie nach unten korrigiert hat, fordert sie inzwischen seit längerem 600 Euro. Bahn-Personalvorstand Seiler hatte zuletzt angekündigt, dass darüber verhandelt werden könne.
Die GDL wendet sich auch gegen Änderungen in der betrieblichen Altersvorsorge. Sie würden dazu führen, dass die Betriebsrenten niedriger ausfallen als erwartet, so die Kritik. Die Bahn dementiert: Erworbene Ansprüche blieben erhalten. Das vor neun Jahren mit beiden Gewerkschaften eingeführte neue System, das auf einem Pensionsfonds basiert, biete deutlich höhere Zahlungen im Alter. Das Unternehmen wendet sich auch gegen die Darstellung der Gewerkschaft, wonach Führungskräfte der Bahn eine Durchschnittsrente von 20.000 Euro kassieren. Genauso falsch sei es, von „Banker-Boni“ zu sprechen. Der Vorstand habe keine variablen Gehaltsbestandteile bekommen. Bei anderen Mitarbeitern seien die Boni Teil des vereinbarten Gehalts, so die Bahn.
Mehr als sechs Jahre lang gab es keinen GDL-Arbeitskampf bei der Bahn
In einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland warf Bahnchef Lutz der GDL in der vergangenen Woche vor, dass sie die Belegschaft „bewusst spalten“ wolle. „Wie Herr Weselsky in dieser Situation agiert und vor allem wie er redet, ist absolutes Gift für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Eisenbahnerfamilie.“ So würden „Wunden geschlagen, die nur schwer wieder verheilen“. Es sei nicht in Ordnung, wenn der GDL-Chef im Tarifkonflikt bei der Bahn „zwischen ehrenwerten und unehrenwerten Berufen unterscheidet und mit Letzterem auch tausende Führungskräfte meint“. Diese hätten in der Krise auf viel Geld verzichtet. Ihnen jetzt vorzuwerfen, dass sie sich die Taschen vollstopfen, sei „unredlich und schlicht falsch".
Der jüngste Tarifkonflikt zwischen der GDL und der Deutschen Bahn, bei dem es Arbeitskämpfe gab, ging 2015 zu Ende und liegt damit mehr als sechs Jahre zurück. Damals wurden allein der DB-Personenverkehr 313 Stunden lang bestreikt.
Auch für den dritten Streik im laufenden Tarifstreit ist zu erwarten, dass die Bahn versuchen wird, einen Teil des Fern- und Regionalverkehrs aufrechtzuerhalten. Beim jüngsten Arbeitskampf, der den Personenverkehr Anfang der vergangenen Woche 48 Stunden lahmlegte, konnte nach Unternehmensangaben immerhin rund ein Viertel des Fernverkehrs gefahren werden. Im Regionalverkehr will man sogar erneut zirka 40 Prozent des fahrplanmäßigen Betriebs ermöglichen, so das Unternehmen.
Bei der S-Bahn konnte mehr als ein Drittel des Verkehrs gefahren werden
Zwischen Berlin, Hannover und dem Rhein-Ruhr-Gebiet wurde ein Zwei-Stunden-Takt angestrebt. Zwischen Berlin und Hamburg, Berlin, Leipzig und Nürnberg sowie Berlin, Erfurt und weiter in Richtung Frankfurt am Main waren mehrere Fahrten pro Tag geplant. Einzelne Zugfahrten sollte es zwischen Berlin und Stralsund geben. Dagegen sollten zwischen Berlin und Dresden Busse verkehren – im Zwei-Stunden-Takt. Zwischen Berlin, Leipzig und Nürnberg war ebenfalls ein Busverkehr geplant.
Bei der Berliner S-Bahn konnte auch beim zweiten Streik in der vergangenen Woche ein Teil der Leistungen gefahren werden, weil auch dort nicht das gesamte Fahrpersonal am GDL-Streik teilnahm. „Zwischen einem Drittel und knapp 40 Prozent der Fahrten fanden statt“, sagte ein S-Bahner. Auch beim kommenden Streik soll der Ersatzfahrplan gelten, der sich bereits bei den beiden ersten Ausständen bewährt habe, hieß es am Montag bei dem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn. Danach wird der S-Bahn-Verkehr dort eingestellt, wo es Alternativen gibt – zum Beispiel bei der Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), die als Landesunternehmen nicht bestreikt werden.
So werden die S-Bahn-Linien S41 und S42 erneut nicht verkehren, weshalb große Teile der Ringbahn ohne Verkehr sind. Der Ersatzfahrplan sieht auch vor, die S45, S47 und S75 einzustellen. Das bedeutet, dass nach Wartenberg und Spandau ebenfalls wieder keine S-Bahnen fahren werden. Insgesamt sechs Streckenabschnitte sollen erneut außer Betrieb sein: Schönhauser Allee–Westkreuz–Schöneberg (westlicher Ring), Neukölln–Treptower Park (südöstlicher Ring), Charlottenburg–Wannsee, Charlottenburg–Spandau, Springpfuhl–Wartenberg sowie Schöneweide–Spindlersfeld.
Unternehmen schnürt Kulanzpaket für Reisende des Fernverkehrs
Bei der BVG müssen Fahrgäste auch während des dritten Bahnstreiks wieder mit vollen Fahrzeugen rechnen. Auf den Linien M27, M48, M85, 104, 140, 155, 156, 158, 162, 163, 170, 194, 250, 255 und 265 entstanden während des Ausstands in der vergangenen Woche Verspätungen zwischen 15 und maximal 30 Minuten, teilte das Unternehmen mit.




